93 / Wirklich/Unwirklich / Prosa / Beppo Beyerl: Verhext die Schinder Wawerl

Ist der Opferstock geplündert, im Dezember 1674, in der Pfarrkirche in Kuchl, nebst in den Filialkirchen von St. Koloman und St. Ulrich. Aber das Schloss nicht aufgebrochen, woher denn, aber trotzdem leerer Opferstock, weil irgendwer mit Staberln und mit Vogelleim herausgefischt die einzelnen Kreuzermünzen.
Natürlich die Gerichtsdiener blicken wie die Haftelmacher, und prompt wird er geschnappt, Anfang 1675. Der Paul Kaltenpacher aus Berchtesgaden.
Kommt er ins Amtshaus zu Golling, dort der Schreiber Thomas Kopeindl die Befragung. Nein, woher denn, nicht peinlich, was da denkst, bloß sozusagen informelles Verhör und keine Peinlichkeiten.
Und, sagt der Paul Kaltenpacher aus Berchtesgaden, Schnecken, er ganz unbeteiligt an den Plünderungen der Opferstöcke, er nur gewartet mit ihrem Hund vor der Kirche, sozusagen in Tschiffposition, wenn du das besser kapierst. Und, sagt er, schuld die Schinder Wawerl und ihr Sohn, der Jokl. Alstern, die Schinder Wawerl, mit ihrer Dose, in der die Spinnen herumrennen, und dem Ehschonwissen, das sie immer aufhebt an Wegkreuzungen und wieder niederlegt. Die haben die Opferstöcke aufgebrochen.
Wird die Schinder Wawerl geschnappt, am 9. Jänner 1675, vom Herrn Gerichtsdiener, und gesperrt ins Amtshaus zu Golling. Ihr Hund, haha, allerdings nicht verhaftet, im Gegenteil, zermalmt der alten Bettlerin vor dem Amtshaus den linken Unterschenkel. Dann der Hund sicherheitshalber zum Abdecker in Taugl zur weiteren Verwahrung. Ziemlich wütend der Hofrat in Salzburg, wie er erfahren, dass der Hund der Bettlerin den Unterschenkel zertrümmert. Warum, weil das Pflegegericht zu Golling muss die Baderkosten für die Behandlung der Bettlerin übernehmen. So hofrätlicher Befehl an den Abdecker in Taugl, dass er den Hund auf der Stell erschlage.
Jetzt musst wissen, also die Schinder Wawerl, schon 50, klein, schirch und zerbrechlich. Ihr Vater war Abdecker 31 Jahre lang, und wo, jetzt wirst schaun, in Golling. Sie, also die Schinder Wawerl, um 1654 einen vazierenden Henkersknecht geheiratet, also noch schlimmer als Abdecker, weil Bettler. Und herumvaziert in den Ländern Oberösterreich, Steiermark und Kärnten, wo sie zwischen 1665 und 1670 mehrere Unwetter gezaubert. Ihre eigene Aussage, 1675 vor Gericht.
Und zurück nach Golling im Jahre 1673, sie als Bettlerin sozusagen dort Fuß gefasst. Hat sie geschrieben, nein, hat sie nicht geschrieben, weil sie nicht schreiben hat können, aber hat sie gerichtet, irgendeine Bittschrift an den Salzburger Hofrat, um die Abdeckerstelle ihres Vaters zu erhalten. Bittschrift abgewiesen. Ein Jahr später, 1674, schon wieder Bittschrift, und prompt wieder abgewiesen. Und die Schinder Wawerl im September 1674 eine zweitägige Keuchenhaft, weil sie sozusagen die Behörden gepflanzt mit ihren ewigen Bittschriften. Hat sie den Hänsl verzaubert, und zwar in der Nähe von St. Gilgen. Und hat sie Unwetter gezaubert, im Bayrischen drüben. Ihre eigenen Aussagen, 1675, na weißt du schon wo, vor Gericht.
Alstern, zurück zum Verhör. Am 10. Jänner, einen Tag nach der Verhaftung. Nein, auch nicht peinlich, nur sozusagen gütlich. Und gibt die Wawerl zu, das mit den Opferstöcken in den Kirchen, allerdings sie nur in Tschiffposition Schmiere gestanden, den Rest ihr Sohn, also der Jokl, und der Kaltenpacher. Und, fügt sie sozusagen hinzu, auch die Opferstöcke in den Kirchen von Vagaun und Baumhofen.
Alstern, kannst sagen, die Sache ist ausgestanden, logo und klaro, da gibt es nichts zu rütteln.
Natürlich gibt es zu rütteln, kennst nicht den Thomas Kopeindl. Die Zeugenbefragungen, aufgeschrieben von Thomas Kopeindl. Sagt der Georg Eibel, dass sie dem Kind den Brei weggefressen hat. Sagt der Hans Siller, dass sie sein Haus anzünden hat wollen, weil sie kein Almosen gekriegt. Sagt die Magdalena Lehrnauer, dass der Hund von ihr dem Wanderhändler Brot gestohlen hat, und als die Wawerl samt Hund von ihrem Hof davon, hat sie mit den Fingern die Feige gezeigt. Hingegen sagen andere, dass die Wawerl ein armes altes Waserl, aber solche Aussagen wenig spektakulär, wenn du sagst, bitte mir fällt nichts ein, weil ich nichts weiß.
Wart, da les ich, da im Protokoll vom Thomas Kopeindl, die Sache mit dem alten Peter Hoffer, dass also die Wawerl mit ihm gestritten, weil er ihr kein Almosen gegeben, vielleicht auch, weil er sie vom Hof verscheucht, da hat sie Gebet heruntergeleiert und dann ihn verwunschen, auf dass er krumm werde oder überhaupt sterbe.
Gibt der Thomas Kopeindl also die Akte an den Salzburger Hofrat. Und antwortet der Salzburger Hofrat am 18. Jänner: Verhör fortsetzen, mit An- und Zuschrauben des Daumenstockes.
Und am 24. Jänner: Der Wawerl Daumen an- und zugeschraubt. Sagt sie auf Kreuzer und Pfennig genau die Summen aus den Opferstöcken der Kirchen. Keine Kunst, muss sie ja wissen, außer dass sie es vergessen hat. Aber steht weiter im Protokoll des Thomas Kopeindl: Zaubern und Drohen, bei Wegkreuzungen Niederlegen. Und da schrillt es in den Ohren! Zaubern und Drohen nämlich juridisch ganz was anderes als das Fladern von Opfermünzen!
Und Akte wieder zurück an Salzburger Hofrat. Ordnet an weitere Befragung der Alten samt wohlempfindlicher Bindung ans Seil, dass du weißt, was ich mein.
Und am 5. Feber: Wird sie wohlempfindlich ans Seil gebunden. Jetzt wirst aber schaun. Sagt sie, dass sie durch Zauberei zwei Stück Vieh getötet hat. Horch, sie kann zaubern, hat es vor einem Jahr in Kärnten gelernt, hat ein Stupp zwei Bauern unter dem Türstock zum Stall gelegt, dann das Viech gestorben.
Auf einmal, nicht blöd der Thomas Kopeindl, fällt ihm ein die Aussage des Kaltenpacher, mit dem Ehschonwissen, das sie an Wegkreuzungen aufhebt und wieder niederlegt. Und was jetzt, lässt er zwei Personen ausforschen. Den Blasi Ramsauer. Seine Kühe kalben nicht mehr, und im Türstock ein braunes Pulver gefunden. Und die Maria Pichler. Seit 30 Jahren verendet alljährlich ein Rind. Und auch das braune Pulver gefunden. Und ein Notabene im Verhörprotokoll: Hausabbrennen!
Und der Hofrat jetzt ganz sozusagen im Amt. Setzt er eigenen Sachbearbeiter ein, den Johann Koboldt. Und der Koboldt wills genau wissen. So Rückantwort an den Kopeindl: Wieder Bindung zum Seil, und ganz genauer Fragenkatalog gestellt.
Am 20. Feber: Wawerl wieder ans Seil gebunden. Und die Wawerl spricht: Jawoll, hat sie das Vieh verzaubert, weil ihr in den Höfen das Butterschmalz verweigert worden. Und mit dem gleichen braunen Pulver hat die den Hänsl, den bei St. Gilgen, und dann den Sohn der Wirtsleute in Anif, und dann einen Buben aus Morzg, der vielleicht Wolferl heißt, verzaubert, sodass diese erkrümmen und sodann versterben.
Und dass sie bei Menschenverzauberungen jeweils angerufen den Teufel, ebenso beim Öffnen ihrer Handschellen. Und dass, nicht vergessen, Johannessegen hilft gegen das braune Pulver.
Klar, jetzt aber der Thomas Kopeindl am Ende seiner Kräfte. Schreibt er an Hofrat, dass die Wawerl nichts mehr sagt. Weil sie nichts mehr sagt, infolgedessen sie viel verbirgt, das Luder mit dem Teufel im Bunde. Und plädiert er für Überstellung in die Zentrale nach Salzburg, zum Hofrat.
Jawoll, übernimmt die oberste Justizbehörde selbst den Fall, weil klar, nicht mehr lokale Sache mit Aufbrechen von Opferstöcken. Sondern viel mehr: Zauberei. Und wer weiß, am Ende noch mehr: Hexe!
Und wird die alte Wawerl mit dem Kaltenpacher am 8. März nach Salzburg überführt. Wird sie befragt am 24. März in der Folterkammer vom Johann Koboldt. Jetzt nichts Neues oder Sensationelles, eher informativ, Erstgespräch und so. Stellt der Johann Koboldt aber mehrere Anträge, etwa die Befragung des Kaltenpacher, und Ausforschen, wer oder was mit „unseren Herrgott holen“ gemeint.
Der Koboldt hat nämlich deutlich Blut geleckt. Weil Hexendelikt weiß er aus dem Effeff. Schadenzauber, Bund mit dem Teufel, Hexenflug, Hexentanz. Und das mit den Kühen in werweißwo: klar und eindeutig Schadenzauber. Und das mit dem „unseren Herrgott holen“: Wahrscheinlich Hostienschändung.
Und antwortet die Wawerl: Ja, sie hat drei bis vier Wochen vor Weihnachten insgesamt 15 Personen durch das Legen von Zauberpulver entweder erkrümmt oder getötet. Und gibt sie Namen an. Viele heißen Hofer, noch mehr mit Vornamen Georg, einer heißt sogar Georg Hofer. Und dann, sie hat Wetter gemacht.
Alstern, jetzt ist es soweit. Der Hofrat waltet seines Amtes Gang. Lasst er nachforschen in den Bezirken Golling, Glanegg, Hallein und St. Wolfgang über die Personen, die erkrümmt worden. Und über die Wetter. Da dauert Antwort, weil kompliziert, und schließlich anno 1675 recht lang. Aber dann. Abtenau und Golling melden Unwetter im Jahre 1674, in Golling zwei Stunden lang Hagel vom 3. zum 4. August, im Lungau vom 9. zum 10. August!!!
In der Zwischenzeit der Koboldt auch nicht untätig. Am 8. Mai, also fünf Monate nach ihrer Gefangennahme, der Wawerl neue Tortur. An der Leiter. Doch wie es der Teufel will, abgeändert wegen der Fackel. Wieso weil kann niemand mit Fackel umgehen, die zum Ausbrennen der Achselhöhle, wenn die Wawerl auf die Leiter gesteckt wird. Also neue Methode: Wawerl an Händen aufgezogen, an den Füßen 40 Pfund schwerer Stein gehängt.
Und was die Wawerl gesteht. Sie zählt allerhand Leute auf, von hier und von dort, die Hexen oder Zauberer sind. Doch als man sucht nach den Leuten in den zuständigen Gerichten, wie es der Teufel will, niemand kann die Leute finden. Jetzt hätt ich fast vergessen, der Paul Kaltenpacher, also der Bub aus Bayern! Sitzt noch immer hochlöblich zu Salzburg! Am 6. Juni Befragung durch den Koboldt, wie sich es gehört, mit Beinschrauben und wohlempfindlich am Seil. Aber wie man das Seil dreht und wendet, nichts sagt der Kaltenbacher-Bub. So schreibt der Koboldt, die Haft ist die Strafe für den Diebstahl in der Kirche, und der Verdacht auf Zauberei, also der ist durch die Tortur gereinigt. Und wird der Kaltenpacher-Bub jetzt freigelassen.
Der Schinder-Wawerl hingegen letztes Verhör am 7. Juni. Hat der Koboldt genug gewusst, und der Hofrat kann das Constitutum ad bancum iuris auf den 28. Juni festgelegen. Jetzt wenn du nicht verstehst, musst halt nachfragen. Keine Ahnung, weil lateinisch, auf Deutsch, alle sitzen auf Bänken, und der Pfarrer betet zu Gott, na zu wem denn sonst.
Doch die Wawerl, die Reue von ihr ist unbeständig, und der Wille zum Tod nicht ausgeprägt, weiß ich genau, steht nämlich im Protokoll.
Alstern, datiert mit 28. Juni, die Geständnisse der Wawerl zusammengefasst. Selber Text auch Vorlage für die Urgicht, die kurz vor der Hinrichtung verlesen. Allerdings wegen der Schonung der Nerven oder wegen jugendfrei und so die Geständnisse weggelassen, die von der Buhlschaft mit dem Teufel, wenn du weißt, was ich mein, was der Teufel mit einer Hexe alles machen kann.
Die Geständnisse. Sie hat zweimal an Wegkreuzungen Zauberpulver ausgestreut, das mit dem Bücken, wenn du dich erinnerst. Sie hat Vieh verzaubert. Sie hat Menschen verzaubert. Sie hat Wetter gemacht. Und sie hat, gib acht, vor 12 Jahren in Werfen den Teufelsbund geschlossen, acht Tage später Hexentanz. Der Teufel sie gezwickt in die rechte Hand, mit dem Blut Namen auf einen Zettel geschrieben.
Dann sie, pfui und bäh, und schleich dich zu Gott, der Dreifaltigkeit, der Mutter Gottes, allen Heiligen und sein Lebtag auch den sieben Sakramenten. Zwölfmal sie auf Hexentänzen, zweimal sogar während der Haft. Vom Teufel ihr überreicht schwarzes stinkendes Pulver, das Pulver in Zelle verstreut. So für sie kein Problem, das mit dem Ausfahren aus der Zelle. Bei den Hexentänzen: Remasuri. Hat sie den Teufel mit Sau, Hund, Katze, Wolf und Bär angebetet. Und jetzt in den zwölf Jahren ihrer Hexenzeit: Nach der Kommunion die Hostie wieder aus dem Mund genommen, im Versteck auf die Erde geworfen und mit Füßen getreten. Dann im linken Schuh zum Hexentanz gebracht, wo alles wiederholt. Sodann Hostie bespuckt, mit Scheiße eingerieben und vergraben. Ha!
Am 12. Juli erstattet der Koboldt dem Hofrat Bericht: Nach Carolina, Artikel 109, der Tod durch Feuer, klare Sache. Aber weil die Seele dabei hinich wird, jetzt pass auf, mildernde Umstände. So schon Verbrennen, aber vor dem Verbrennen gnadenhalber Erdrosseln. Auf der Schranne Zwicken mit glühender Zange, auf dem Weg zur Richtstätte ein zweites Mal Zwicken mit glühender Zange. Doch bei Ratifizierung zweite gnadenhalbe Änderung: Nur einmal Zwicken mit glühender Zange, beim Weg zu Richtstätte.

Anfang August die Urgicht vorgelesen und die Schinder Wawerl erst erdrosselt und dann verbrannt. Und die ihre Pflicht getan, leben friedlich weiter.

 

Beppo Beyerl
Geb. 1955 in Wien, schreibt Reportagen und Bücher über die Insassen Wiens und die Bewohner der restlichen Welt. Er hat drei Heimaten: Wien, Südböhmen, und den istrischen Karst. Aktuelle Bücher: „Die bösen Buben von Wien“ (Styria 2022); „Streifzüge entlang des Donau“ (2023).