93 / Wirklich/Unwirklich / Prosa / Walter Baco: Stören Sie mich nicht …

Stören Sie mich nicht, ich denke mir gerade mein Leben zurecht, sage ich zu einem von mir, der sich gerade sein Leben zurechtdenkt und sich dabei gestört fühlt, ausgerechnet von mir!

Außerdem versuche ich doch, alles neu zu ordnen, neu? wieso, war es je in Ordnung? Geschachtelt, abgepackt, eingeteilt, bereit zum Versand nach Nirgendwo, was soll man da noch groß ordnen, ist ja nichts mehr da was zählen würde, mit oder ohne Mathematik, mit oder ohne Kopf oder Zahl, in der Grammatik ja da muss Ordnung herrschen, sonst geh der Satzbau flöten und der Zusammenhang, in der Musik und in der Logik, wobei da jeder angeblich seine eigene haben könnte, zumindest behaupten das die Häuptlinge des Denkens, die aber wiederum kreuzweise widerlegt werden von den dutzenden rechnerischen Formeln, alles genau abgepasst auf unseren Verstand oder umgekehrt - so ist das Leben möchte man fast sagen, ist es so? oder so? könnte es anders verlaufen? Unbedingt, unzählige Möglichkeiten gäbe es, sich und andere, die Welt also zu empfinden, von fühlen gar nicht zu reden. Vom Fühlen kann man nicht reden oder nur peripher, beinahe wäre man geneigt anzunehmen, dass man wählen kann zwischen Denken und Sein, wenigstens könnte man sich aussuchen, was man denkt, wie man über etwas denkt, logisch beispielsweise oder unter Heranziehung emotionaler Aspekte, Gegebenheiten, die genauso, wenn nicht gar mehr unser Dasein bestimmen, unsere Art, wie wir wahrnehmen, die freilich auch von Gewohnheiten geprägt ist und von vielen anderen Faktoren, um nur einige (nicht) zu nennen.

Ob wir unser Sein wahrnehmen oder unser Denken, das ist zweierlei; das Sein können wir fühlen, es ertasten, es zumindest versuchen. Das Denken können wir verfolgen (oder umgekehrt), es liefert uns Möglichkeiten, Urteile, da verliert man leicht den Faden, den zum Fühlen sowieso.

Richtig oder falsch war einmal. Jetzt gilt, wie in der Teilchenphysik, richtig und falsch, sowohl als auch, richtig?

So ist das Leben – ein bisschen Denken, und dabei auf das Fühlen nicht vergessen. Nicht vergessen (beim Denken über das Fühlen), das Sein zu fühlen.

 

Walter Baco
Autor, Komponist, Regisseur, Performance-Künstler, Kurator. Soziales Engagement, Friedenskonzerte, zahlreiche Bücher, Hörbücher und Musik-CDs.