Stein / Etcetera 89 / Prosa / Christa Bacovsky: Ein Stein - löchrig wie ein Emmentaler

Im Angesicht des Steins spüre ich in mir eine gewissen Sprödigkeit, eine Steifheit ... und wenn ich’s genau überlege, wollte ich schon immer ein großer, imposanter Stein sein. In meiner Psyche ist viel Steinernes. Nie von einer Stelle zur anderen wechseln müssen, stabil bleiben im gewohnten Umfeld. Steine haben sicher nie Angst. Wovor auch? Sie sind so unangreifbar, mächtig. Kann man als Stein Käse essen? Wohl kaum! Aber gerade deshalb sollte es ausgerechnet dieser Stein sein. Wenn schon kein Käse, dann wenigstens ein Stein, der wie Käse aussieht. Löcherig! Emmentaler im Speziellen. Essen Sie auch so gern Emmentaler? Ich bin ihm verfallen – dem Emmentaler aus Maria Taferl. Nicht im Emmental, nicht in der ganzen Schweiz findet man einen so köstlichen Emmentaler wie jenen aus Maria Taferl. Nun ja, dieser spezielle Käse hat mich vom Thema ein bisschen entfernt.
Also, zurück zum Stein: Mein Stein, dem ich gegenüber stehe, ist kein Steinchen, er ist ein Fels. Werfen ließe er sich nicht. Man kann ihn nicht wie einen flachen Kiesel über eine glatte Wasseroberfläche springen lassen, immer weiter hüpfend, kleine Kreise bildend. Mein Stein könnte einmal Baumstamm gewesen sein. Seine rindenähnliche, mit zahlreichen Löchern versehene, im Laufe von Äonen hart gewordene Oberfläche weist darauf hin. Ich nehme Anlauf und springe auf seine Plattform. Rolle mich auf der Schnittfläche ein. Er war bestimmt einmal ein Baum. Man hat ihn entzwei gesägt. Sehr ordentlich. Geglättet. Keine Unebenheiten. Nichts raspelt, nichts drückt. Bewegungslos meine Arme, reglos meine Beine, starr mein Kopf, der Körper in Ruhestellung. Unter den wärmenden Sonnenstrahlen liege ich, doch sie berühren mich nicht. Bin Baum, bin Stein, sehne mich nach Struktur, berge vielleicht einen Edelstein in meiner steinernen Innenwelt. Durch Druck und Wärme wird das Edle in mir erpresst.
Einen Rosenquarz hat man mir einmal zum Geschenk gemacht. Ich bitte Sie, einen Rosenquarz! Zum Schutz vor Depressionen – brauche ich nicht. Zum Schutz der Hoden – das schon gar nicht. Gut, vielleicht wäre auch Beistand für die Eierstöcke möglich gewesen, aber die haben mir nie Probleme bereitet. Tigerauge hätte eher für mich gepasst: Mehr Ausgeglichenheit, Steigerung der Konzentrationsfähigkeit ... Heilende Wirkung sagt man den Steinen nach. Hätte mir vielleicht einmal ganz gut getan. Doch jetzt? Für meine Psyche muss es kein Edelstein sein. Mir genügt mein rindenbewährter, gelochter Emmentaler- Fels. Doch was heißt hier „genügt“?! Für mich ist er der einzig Richtige. Sozusagen mein persönlicher Koh-i-Noor. Den echten „Berg des Lichts“ – so die Übersetzung aus dem Persischen –, samt seinen 108,93 Karat, kann die britische Königin gern behalten. Er ist ohnehin schon verstümmelt. Die Dame hat ihn von ursprünglich 186 Karat auf 108,93 Karat zurückschleifen lassen. Hat dann wohl besser in die Krone gepasst. Mein „Berg des Lichts“ ist tonnenschwer und ein „Berg der Kraft“ noch dazu. Es stört mich nicht, dass er keine glanzvolle Oberfläche hat. Hinter glänzenden Fassaden befinden sich ohnehin meistens nur potemkinsche Dörfer. Und von der Stein-Symbolik will ich schon gar nichts hören. Ich besitze einen geschliffenen, gefassten Diamanten. Nun, Sie erraten es: Mein Verlobungsring! Für ein Eheversprechen muss es der brillanteste, erlesenste, teuerste Stein sein, wenn er zum Symbol ewiger Treue und Zugehörigkeit taugen soll. Der „Unvergängliche“ wird er gern genannt. Doch was nützt der edelste Stein, wenn sich der niederträchtige Bräutigam unedel aus dem Staub macht? Ein ungeschliffener Bursche, wohl ein Rohdiamant, dem ich keine Träne nachweinen sollte. Für die Stürme des Lebens braucht es einen felsenfesten Stein. Unverrückbar, unbeirrbar.
Einen symbolischen Donnerkeil, der mir die Energie der mythologischen Götter verleiht, mir das Rückgrat stärkt. Mit einem Wort einen Stein, der sich seiner Kraft bewusst ist und mir etwas davon abgeben kann. Nur soviel Seelenstärke, dass ich mein Leben meistern kann und nicht so verletzlich bin. Soviel Lebenskraft, dass ich den nächsten Rohdiamanten mit einem Lächeln vor die Tür setzen kann und nicht mit rotgeweinten Augen.
Die blanke Plattform hat einen auskragenden Teil. Bei Regen könnte ich mich darunter setzen, wenn ich denn noch fähig wäre mich zu bewegen. Ich verharre auf meinem Felsplateau, wachse mit ihm zusammen. Je länger ich den Stein unter mir fühle, um so deutlicher spüre ich das Eins-werden mit ihm. Sonne, Wind, Regen ... mir egal. Wetterkapriolen können mir nichts anhaben. Oder nur im Laufe eines sehr, sehr langen Zeitraums. Kaum wahrnehmbare Verwitterung. Das „Du-musst-nichts-mehr-tun-Gefühl“ breitet sich wohlig in mir aus. Mein unbewegter Kopf, so frei in seinem Inneren, spricht mir ein Gedicht:

Stein!
Grauer Lichtblick
des dauerhaften Lebens;
Zeigefinger des ewigen Kreislaufs.
Stein!

Ich kann wieder Mensch werden, aber ein versteinertes Bewusstsein ist mir nicht mehr fremd und die Kraft werde ich mir nicht mehr nehmen lassen.

 

Christa Bakovsky
Geb. in Wien, lebt in Gablitz, NÖ und Luzern. Ausbildung zur Schreibpädagogin beim BÖS Berufsverband österr. SchreibpädagogInnen. Zahlreiche Lit.Workshops, Lesungen, Poetry Slams.
Veröffentlichungen: „Die vielen Wesen in mir“ Erzählungen 2016, „Die Welt will getragen werden“ Poem/Prosa 2019, Beiträge in Anthologien und Literaturzeitschriften – zuletzt DUM Nov. 2021.