Bildende

Zwischen den Welten: Liu Xiuming. Rez.: Ingrid Reichel

Ingrid Reichel
UNPOLITISCHE KUNST ZUR DIPLOMATISCHEN BEZIEHUNGSFEIER

 

ZWISCHEN ZWEI WELTEN
Liu Xiuming
Stadtmuseum St. Pölten
Eröffnung: 20.09.2011, 19 Uhr
Ausstellung: 21.09.2011 – 08.01.2012
Kurator: Thomas Pulle

Thomas Pulle, der Leiter des Stadtmuseums St. Pölten hatte mit der chinesisch-österreichischen Künstlerin Liu Xiuming eine besondere Ausstellung vorzubereiten, denn schließlich werden heuer 40 Jahre bestehende diplomatische Beziehungen zwischen China und Österreich auch in der Landeshauptstadt St. Pölten gefeiert. Seit 2005 unterhält St. Pölten eine Städtepartnerschaft mit Wuhan, der größten Stadt der Provinz Hubei in Zentralchina. Mit seinen knapp 52.000 Einwohnern hat St. Pölten gerade ein 160stel Einwohner von Wuhan und bedeckt ein 78stel seiner Fläche, dieser Vergleich ist jedoch für eine gute Partnerschaft völlig irrelevant. Bürgermeister Matthias Stadler sieht viele Überschneidungen zwischen den beiden Städten und bekundete in seiner Rede, dass es kaum einen Monat gäbe, indem nicht eine chinesische Delegation aus Wuhan zu Besuch wäre. Auch die HAK St. Pölten und die FH St. Pölten betrieben rege Austauschprogramme, freut sich der Bürgermeister. Die NÖ Landesrätin Barbara Schwarz kam in Vertretung des Landeshauptmann Erwin Pröll und sprach von der Kultur als Möglichkeit, die Welt kennen zu lernen. Die Künstlerin Liu Xiuming gelte als Beispiel, wie durch Kunst Brücken geschlagen werden. Länder brauchen Gesichter, damit die Kluft zum Fremden überwunden werden kann, schließt Schwarz ihre Rede.
Es sei nebenbei erwähnt, dass auch St. Pöltner Künstler in China bereits ausgestellt haben, wie z.B. Eva Riebler in einer Galerie in Peking (2009) oder Christina Starzer in Shanghai (2011).

So bedeutet diese Sonderausstellung „Zwischen zwei Welten“ eine gewisse kulturelle Krönung der lokalen Feierlichkeit zum 40-jährigen Jubiläum. Der seit 2010 amtierende Botschafter der Volksrepublik China S.E. Shi Mingde kam als Ehrengast aus Wien. In seiner kurzen prägnanten Rede lobte er die Künstlerin, deren Werke auch in seiner Residenz ausgestellt sind. Liu Xiuming sei die erste Künstlerin, die er während seiner noch jungen Amtszeit in Wien kennen gelernt habe. Der Titel der Ausstellung komme ihrer Biografie sehr nahe und schließe viele Antagonismen mit ein. Liu wandert zwischen Orient und Okzident, zwischen Realität und Fantasie, Zeit und Raum, Mensch und Natur, zwischen Kraft und Ruhe, so der Botschafter und beschreibt damit in gewohnt diplomatischer Manier am trefflichsten Lius Œuvre.

Liu Xiuming wurde 1957 in der Provinz Hebei geboren. Dort studierte sie an der Pädagogischen Universität (1977-1982). Nach ihrem abgeschlossenen Studium arbeitete sie als Illustratorin bei einer Jugendzeitschrift in Beijing. 1987 begann sie das Studium der Malerei in Österreich. Zwei Jahre war sie bei Maria Lassnig, bei Arik Brauer machte sie 1993 ihr Diplom. Liu widmete sich ebenfalls der vergleichenden Studien der westlichen Ölmalerei und der chinesischen Maltradition. Seit 1994 lebt sie freischaffend in Wien und entwickelte sich seither zu einer international anerkannten Künstlerin mit Ausstellungen in Österreich, Schweiz, Italien, Deutschland, New York und Beijing. Ihre Werke sind in den Sammlungen des National Art Museum of China, Today Art Museum und der Internationalen Kunstbiennale in Peking sowie dem Shanghai Museum und der Österreichischen Nationalbank in Wien vertreten.

Mit einem Lektorat an der Tsinghua Universität, Kunstakademie of Arts and Design, in Beijing 2003 begann ihre Reise zwischen zwei Welten. 2004 wurde sie Gastprofessorin an der Universität in Hebei, die sie einst als Studentin besuchte. 2006 folgte die Berufung zur Vize-Direktorin des China Art Institute in Peking.

In ihren Werken verbindet Liu westliche und asiatische Traditionen. Zu sehen sind Porträts und Landschaften in Öl und wenige Siebdrucke aus den Jahren 2005-2011.

 
Liu Xiuming: Fred
Öl auf Leinwand, 2010
 

In den Portraits kann man den farbigen Einfluss von Maria Lassnig erkennen. Doch der Rebellion ihrer einstigen Professorin, die sich mit festen, ja brutalen Strich dem klassischen Frauenkampf mit weiblichem Instinkt deklariert, kann Liu offenbar nichts abgewinnen. Sie vertritt im Gegenteil die sanfte chinesische Tradition ohne politische Motivation. In pastellenen Farben gibt sie einen verschwommenen Fotorealismus wieder. Ganz anders wie bei Lassnig fehlen bei Liu die wesentlichen charakterlichen Eigenschaften der gemalten Personen sowie die Befindlichkeit des Malers. Übrig bleiben angepasste, verschönte Porträts für die Wohnung der Kunden. Ausnahme bildet das Ölgemälde „Paradox“ aus dem Jahr 2009, welches in der Dynamik einer verzerrten Figur aus Francis Bacons Werk nachempfunden ist. Drei Werke aus dem Jahr 2011 zeigen Musiker beim Spiel: „Flammende Saxophone“ I und II und „Ekstase“. Doch Lius Malerei kommt der Leidenschaft ihrer Titel nicht nach. Ihre dargestellten Emotionen bleiben restriktiv und kontrolliert.

Nicht viel anders geht sie bei den Landschaften vor, die zwar mit kräftigen Farben und schwungvoller Abstraktion angelegt sind, und dennoch nichts als Harmoniesuche ausströmen.


 
Liu Xiuming: Bewegte Landschaft
Öl auf Leinwand, 2010
 

„Metaphysisch“ (2007) lehnt sich als einziges der ausgestellten Exponate an die Form der chinesischen Landschaftsmalerei an. Es ist ein in die Länge gezogenes schmales Bild (150 x 50), welches an die traditionellen chinesischen Rollbilder erinnert. Die Künstlerin verzichtet jedoch auf jegliche Schrift. Schade, denn gerade im Schriftbild erkennt man am besten die Verschiedenheit dieser zwei Welten. Die chinesische Tradition verbindet Malerei und Literatur und macht die Schrift zum optischen Sinnesgenuss, für Kenner der chinesischen Schrift sind sie der intellektuelle Anspruch in der bildenden Kunst.

In ihren diversen Siebdrucken lässt sich der Fantastische Realismus der Wiener Schule erahnen und kombiniert ihn mit chinesischer Thematik, wie es in „Without End 2“ (2005) zu sehen ist. Ein Pferd galoppiert quer über eine in orange-rot gehaltene unendliche (Wüsten-)Landschaft.

In ihrem Fünfteiler „3/4 Takt“ erweist sie dem Wiener Walzer eine Hommage und vollzieht die Vervollkommnung des Klischees des Wiener Opernballes. Der zweite Teil von links stand Pate für Plakat und Einladung der Ausstellung.

Auch wenn Liu zwischen zwei Welten pendelt, so bleibt sie doch in der traditionellen chinesischen Philosophie der Eintracht verhaftet und unterscheidet sich wesentlich von jenen chinesischen Künstler-Kollegen und Kolleginnen, die 1996 durch ein gemeinsames Projekt der Stiftung für Kunst und Kultur e. V. und des Kunstmuseums Bonn aus China nach Europa gelangt sind und u.a. im Künstlerhaus Wien im Frühjahr 1997 zu sehen waren.

Diese Ausstellung ist im Rahmen der diplomatischen Jubiläumsfeierlichkeiten eine begrüßenswerte, dennoch bleibt die Frage offen:
Wenn Kultur einem Land zur gegenseitigen Beziehungsförderung ein Gesicht geben soll, wie es Landesrätin Schwarz beteuerte, kann dann eine angepasste Kunst diese Aufgabe überhaupt erfüllen?
Die Frage ist streng genommen, mit einem klaren NEIN zu beantworten.

Festzuhalten ist, dass Kunst in einer offiziellen politischen Veranstaltung selbst niemals politisch sein kann. Leider!

Wolfgang Just, Generaldirektor der Sparkasse NÖ Mitte West AG, hatte Liu Xiuming ein paar Jahre zuvor bei einer Ausstellung in Wien kennen gelernt, sich für ihre Kunst begeistert und sie motiviert, eine Einzelausstellung in St. Pölten zu bestreiten. Mit seiner Kunstvermittlung hat er letztendlich einen guten diplomatischen Schachzug getätigt.

Homepage der Künstlerin: http://www.liuxiuming.com/chinese/indexcn.htm
Zur Ausstellung erschien ein Katalog.

LitGes, September 2011

Zwischen den Welten: Liu Xiuming. Rez.: Ingrid Reichel

Lucas Bosch Gelatin. Rez.: Ingrid Reichel

Ingrid Reichel
VON DER KUNST DER KUNSTLOSIGKEIT

 

SARAH LUCAS - HIERONYMUS BOSCH - GELATIN
Kunsthalle Krems
Ausstellung: 17.07.2011 – 06.11.2011
Ausstellungskonzept: Hans-Peter Wipplinger, Brigitte Borchard-Birbaumer

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog. Aufgrund von aktuellen Installationsfotos erscheint er erst im August:
LUCAS BOSCH GELATIN
Hrsg. Hans-Peter Wipplinger/ Kunsthalle Krems

Mit englischer Übersetzung der Textbeiträge
Köln: Verlag Walther König, 2011. 160 S.
ISBN 978-3-901261-48-0
Preis: 24,90.- Euro

Gemeinsam mit der Kunstwissenschafterin Brigitte Borchardt-Birbaumer hat sich der Direktor der Kunsthalle Krems, Hans-Peter Wipplinger ein hohes Ziel gesetzt: Mit Hieronymus Bosch (1450-1516), dem niederländischen Künstler des Spätmittelalters, der zur Schwelle der Neuzeit stand, sollen 500 Jahre Kunst überbrückt werden und in die Kunst der Gegenwart münden, vertreten von der 1962 in London geborenen Künstlerin Sarah Lucas und dem 1993 gegründeten Künstlerkollektiv Gelatin, bestehend aus Wolfgang Gantner (geb. 1968), Ali Janka (geb. 1970), Florian Reither (geb. 1970) und Tobias Urban (geb. 1971).

 
Hieronymus Bosch Nachfolger:
Die Versuchung des Heiligen Antonius, um 1500/1510
Dommuseum Salzburg
Foto: Josef Kral
 

Bosch, eigentlich Jeroen Anthoniszoon van Aken (von Aachen), benannte sich nach seiner Heimatstadt‚ ’s-Hertogenbosch, bzw. Den Bosch (vom Wald). Der Sohn einer Malerfamilie hat ein faszinierendes und nachhaltiges Werk hinterlassen, welches bis heute Rätsel aufgibt. Bosch unterzog jeden Stand, inklusive den Klerus, der Kritik. 1488 trat er der religiösen Bruderschaft „Unserer-Lieben-Frau“ bei und bekam somit Zugang zum höchsten Adel und Patriziertum. Seine weltbekannten Triptychen „Der Heuwagen“ und „Der Garten der Lüste“, die wie Altarbilder anmuten, waren jedoch zur Belehrung und Unterhaltung der Oberschicht gedacht. Hauptmotiv seiner Bilder waren die sieben Todsünden. Als Leitfaden boten sich die Versuchungen des Heiligen Antonius durch den Teufel an. Die Quelle seiner Informationen fand er in Athanasius von Alexandria (gestorben 373 n. Chr.) verfasster Originalversion, möglicherweise stand Bosch auch die im späten 13. Jahrhundert von Jacobus de Voragine entstandene Sammlung von Heiligenleben Die Goldene Legende zu Verfügung [1].

Bosch malte die Krone der Schöpfung in seiner tiefsten Versuchung und Verderbtheit, zeigte seine Ängste vor dem Tod, dem Purgatorium bis hin zur Apokalypse, indem er ihn mit dem Animalischen kombinierte. Resultat ist immer ein Bild der Groteske. Bosch, der zu seinen Lebzeiten in den Niederlanden von Inquisition und Hexenverbrennung verschont blieb, begab sich in seinen Darstellungen in Grenzbereiche und Zwischenwelten des homo ludens, des durch Spiel sich selbst entdeckenden Menschen.
In diesem Zusammenhang wird der Bogen zu Sarah Lucas und Gelatin gespannt.

 
Ausstellungsansicht:
„Lucas Bosch Gelatin“
Vorne rechts:
Sarah Lucas, 2011
Foto:
Christian Redtenbacher, 2011
 

Lucas gehört der 1988 entstandenen britischen Künstlerbewegung Young British Artists (YBA) an. YBA verkörpert eine Gruppe von Künstlern, die unter Verwendung von Schockelementen eine Vereinigung von Provokation und Marktorientiertheit gemeinsam haben [2]. Schließlich wurden sie von niemand geringerem als Werbeprofi und Kunstsammler Charles Saatchi in den überbewerteten internationalen Kunstmarkt katapultiert. Absolut erfolgreichstes Zugpferd im Saatchi Stall ist Damien Hirst, der mit seinem mit Diamanten besetzten Totenkopf For the Love of God, 2007 den Sensationspreis von 75 Millionen Euro erzielte. Lucas Werke sind dagegen von bestechender Bescheidenheit. Lucas hat für diese Schau direkt vor Ort ihre neuesten Installationen zusammengestellt, alle sind 2011 datiert: Aus Beton gegossene High Heel Frauenstiefel in Kombination hängende Frauenbrüste aus mit Watte gefüllten fleischfarbenen Nylonstrumpfhosen sind in der Kunsthalle das immer wiederkehrende Hauptmotiv. Lucas thematisiert in ihrem Werk männliches Lustverhalten in Beziehung zum weiblichen Rollenverständnis.

Das österreichische Künstlerkollektiv Gelatin arbeitet ebenfalls mit anspruchslosen Materialien: Plastilin, Stoffe und Holz, Zeichnungen und Fotos. In dieser Schau haben sie vor allem alte Stühle zu eigenwilligen Objekten umgestaltet. So ist im Oberlichtsaal eine Serie von absurden Sesseln zu sehen, jeder trägt für sich einen Namen wie James, Roy oder Roswitha… eine humorvolle Art die Betrachter mit der IKEA-Wohnkultur zu konfrontieren, oder sollte man sagen zu vermöbeln?

 
Ausstellungsansicht „Lucas Bosch Gelatin“,
Gelatin: Sesselserie, 2011;
Sarah Lucas: Father Time (Treppe), 2011
Foto: Christian Redtenbacher, 2011
 

Gelatin hat wie Lucas ebenfalls eigens für die Boschkontroverse direkt vor Ort in der Kunsthalle Rauminstallationen erarbeitet, präsentiert jedoch auch Werke älteren Datums. Der 1928 geborene österreichische Kunsthistoriker Werner Hofmann sieht Gelatin in der Tradition der „Kunst der Kunstlosigkeit“. In seinem Essay „Ein Bett ist groß genug für alle“ [3] erklärt er Gelatins Wirken im Zusammenhang des von Ernst H. Gombrichs entwickelten Begriffs der „gestörten Form“ [4], der den von Künstlern bewusst aufgesetzten Defekt das Vollendete ins Ungewisse umkippen lässt. Obwohl die Perfektion der Destruktion ausgesetzt ist, bekommt die Zerstörung durch die Infragestellung einen positiven Aspekt. Gelatin unterscheidet sich jedoch von dem herkömmlichen Aktionismus, verzichtet das Künstlerkollektiv doch auf Happenings im eigentlichen Sinne. Gelatin lädt nämlich zur Partizipation ein. Wie Hoffmann es in seinem Essay gleich zu Beginn erwähnt: „Es gibt keine Türen für verborgene Bedeutungen. Die Spannung zwischen Kunst und Leben, um deren Überwindung es im Kunstwollen unserer Tage sehr oft geht, ist somit aufgehoben, die künstlerischen Deutungssprüche sind beseitigt.“

Und genau hier beginnt das eigentliche Problem, welches wir auch schon bei den österreichischen Künstlern Erwin Wurm und Franz West feststellen konnten, deren künstlerisches Wirken unter anderem sich gegen die Erstarrung der Skulptur richtet. Sobald Ausstellungsbesucher aufgefordert werden, Teil des Kunstwerks zu werden, zu partizipieren, sich einzubringen, entsteht ein Konfliktfeld auf zwei Ebenen. Einerseits sind die Besucher irritiert und getrauen sich nicht, andererseits sind Museen und Ausstellungsinstitutionen zur Archivierung und Konservierung verpflichtet. Wie lässt sich also eine Integration des Betrachters in das Kunstwerk sorgenlos gestalten? Eine Möglichkeit bietet der junge österreichische Schriftsteller Clemens J. Setz in seiner Kurzgeschichte „Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes“ (Suhrkamp Verlag, 2011), in der ein Künstler der Menschheit eine Tonskulptur in Form eines Kindes schenkt und die Skulptur von Stadt zu Stadt reisen lässt mit der Auflage, dass die Betrachter die Skulptur vervollständigen, indem sie selbst Hand anlegen müssen.
Wie es schon 2007 im MuMoK im MQ Wien nicht geklappt hat, so ist es auch jetzt in der Kunsthalle Krems passiert. „Don’t touch!“ heißt die Devise und bringt damit Gelatins Ansinnen selbst zu Fall!

 
Gelatin und Sarah Lucas in der Kunsthalle Krems
Foto: Florian Schulte, 2011
 

Zu Beginn der Ausstellung sind ähnlich wie Steckenpferde Ganzkörper-Pferde-Kostümierungen für die Besucher vorgesehen, mit denen man durch die Ausstellung reiten könnte! Doch nichts da, der Stall bleibt für die Besucher verschlossen. Dabei handelt es nicht nur um ein unlösbares versicherungstechnisches Problem, sondern auch darum, dass man befürchtet, dass die zwar klobig anmuteten jedoch de facto ziemlich fragilen Installationen von Gelatin und Lucas einfach angerempelt, sie aus dem Gleichgewicht gebracht und gar zerstört werden könnten. Das Spiel mit der Zerstörung geht also nicht auf und der Ausstellungsbesucher kommt erst gar nicht in Versuchung.

Aber gerade um Versuchung geht es in dieser Schau. Ich erinnere an den Heilligen Antonius, der Favorit unter den Sujets von Bosch. Man könnte meinen das Ausstellungskonzept ist in seine eigene Falle getappt. Welch paradoxe Intention!
Vielleicht ist aber Bosch auch nur ein Zugpferd zur Vermarktung der Ausstellung…

 
Hieronymus Bosch:
Der Kampfelefant, 1560.
Albertina, Wien
 

Von den laut Katalog 34 gezählten Alten Meistern sind nur sechs von Bosch, alles Kupferstiche, kein einziges Ölbild. Auffallend dominant muten dagegen die etwas später als Bosch lebende niederländische Künstlerfamilie Bruegel – vorherrschend mit Pieter Bruegel den Älteren (1525/1530-1569), aber auch Pieter Brueghel den Jüngeren (1564–1638) und Jan Brueghel den Jüngeren (1601-1678), die unter Einfluss von Bosch stehend sich ebenfalls den Versuchungen des Heiligen Antonius widmeten. Mit der Albertina, dem Kunsthistorischen Museum Wien und der Sammlung Liechtenstein als Hauptleihgeber hatte die Kunsthalle Krems gute Kooperationspartner für die Ausstellung gefunden, und konnte somit zu den Kupferstichen auch ein paar Ölbilder dazu gewinnen. Hinzukommen noch andere Werke der Renaissance wie Johannes Sadeler, Pieter van der Heyden, Herri met de Bles und weitere Niederländische Meister, die bis heute anonym geblieben sind. Ältestes ausgestelltes Werk dürfte „Der Heilige Antonius von Dämonen gepeinigt“ des 1445/1450 im Elsass geborenen und 1491 in Breisach/ Rhein verstorbenen Martin Schongauer sein (Kupferstich undatiert, Albertina), woran man deutlich erkennen kann, dass Bosch die Qualen des Heiligen Antonius nicht alleine erfunden hatte.

 
Martin Schongauer:
Der Heilige Antonius von
Dämonen gepeinigt, undatiert
Albertina, Wien
 

Auch aus der Moderne mischte man ein paar Künstler wie die beiden Amerikaner Paul McCarthy und Jason Rhoades, den französischen Textilkünstler Olivier Marie Garbay, die österreichische Keramikerin Christine Millbacher, den österreichischen Starkünstler Franz West sowie ein 65 Minuten-Video „Energy Dairies“ (2010, Talk: Sarah Lucas, Franz West, Andreas Reiter Raabe) des 1971 geborenen Briten Julian Simmons. Diesmal brilliert die Kunsthalle mit fehlenden biografischen Daten der Künstler. Immerhin findet man im Katalog genauere Daten von den Hauptkünstlern Bosch, Lucas und Gelatin und eine umfassende Werkliste der Ausstellung.

„Die Ausstellung in der Kunsthalle Krems versucht die Weltinterpretationen von Hieronymus Bosch und seinen Zeitgenossen wie Nachahmern mit aktuellen Positionen von Sarah Lucas und Gelatin kurzzuschließen.“, so Hans-Peter Wipplinger in seinem Prolog im Katalog. Dieser Versuch ist leider missglückt. Zum einen weil Boschs Visionen erfüllt von Dämonen waren, die uns auch in der Zukunft verfolgen werden und daher keiner Aktualisierung bedarf. Zum zweiten, weil Lucas und Gelatin Werke weder ins Fantastische, noch ins Groteske oder gar Absurde gehen, auch wenn Kunsthistorikerin Brigitte Borchhardt-Birbaumer in ihrem Essay „Chaosmose“ im Ausstellungskatalog den Leser vom Gegenteil überzeugen will und Gelatin als „Exorzisten der Kunstwissenschaft“ sieht, die durch Austreiben der Logik jedoch wieder neue Phantome erzeugten.

Die Künstler der Gruppe Gelatin haben ihre Spielwiese aus gemeinsamen Kindertagen nie verlassen. Die kritischen Aspekte bleiben an der Oberfläche, kein einziges Werk könnte einen annähernd im Traum verfolgen, obwohl Wipplinger und Borchard-Birbaumer sich einig über den Surrealen Bezug in Gelatins Werk äußern. Die offensichtliche Sehnsucht nach Exzess, Emotion und Rebellion, wie sie Wipplinger weiters beschreibt, widerspiegelt eher eine kindlich pubertierende Anarchie ohne intellektuellen Anspruch. Lucas deklarierter Feminismus, scheint mittlerweile in der 68er Revolution, die unter anderem die angebliche sexuelle Befreiung der Frau auslöste, stecken geblieben zu sein.

Gelatins und Lucas’ Aspekt des Roughen und Schmutzigen, das vom vermeintlich schlechten Geschmack Dominierte, die Übersteigerung von Bildinhalten und Zeichen verbinde diese Künstler mit manchen Bildaspekten Boschs, so Wipplinger in seinem Essay „Die Dinge des Lebens“ im Ausstellungskatalog mit der Zusatzbemerkung: „… freilich ohne die in der christlichen Ikonografie eingebetteten Erzählungen und Weltinterpretationen.“ Die Frage stellt sich, was letztendlich dann übrig bleibt?
Übrig bleibt Provokation: „Du musst eben Kunst machen, die provokativ ist, die provokative Fragen aufwirft, sonst verlierst du kritisches Bewusstsein.“ [5] und „Du musst über alles zweimal nachdenken, was ich meine; ob ich es ernsthaft oder lustig meine. Das ist provokativ.“ [6] (Zitate: Sarah Lucas)

Doch leider ist die Rechnung nicht aufgegangen. Der Dialog zur Überbrückung 500 Jahre Kunst ist bei den zahlenden Besuchern im Ärger über die fehlenden Boschgemälde im Keim erstickt.

Fazit: Auch wenn die aufwendig inszenierte Ausstellung zum Teil amüsiert, so wird einem letztendlich bewusst, dass Gelatin, Lucas und Special Guests, im Gegensatz zu den Visionen der Kunst der beginnenden Renaissance, für sich niemals 500 Jahre überstehen würden, sondern sich schon in der Gegenwart selbst überholt hat. Eine schockierende Feststellung einer keines Falls provokativen Ausstellung, die aber Aufgrund vieler Derbheiten für Kinder und Schulklassen der Unterstufe nicht geeignet ist!

Quellen:
[1] Seite 122 aus Virginia Pitts Rembert: „Bosch. Hieronymus Bosch und die Lissabonner Verführung: Eine Perspektive aus dem dritten Jahrtausend.“ London: Parkstone International, 2004. Übersetzung: Martin Goch.
[2] Seite 24: Jacqueline Nowikovsky: „Der Wert der Kunst. $ 100.000.000?“ Wien: Czernin Verlag, 2011.
[3] Seite 65 im pdf des zur Ausstellung erscheinenden Katalogs: Hrsg. Hans-Peter Wipplinger/ Kunsthalle Krems: „Lucas Bosch Gelatin“. Köln: Verlag Walther König, 2011.
[4] Ernst H. Gombrich (1909-2011), britischer Kunsthistoriker österreichischer Provenienz: Wiener Dissertation 1934 „Zum Werke Giulio Romanos“ revidierte seinen Standpunkt in „Zauber der Medusa“ 1987, S. 22, laut Hofmann im pdf Ausstellungskatalog S. 85/7.
[5] Sarah Lucas im Gespräch mit Noemi Smolik: Kunstforum international, Bd. 139, 1997. S. 275
[6] Uta Grosenick (Hg.): Women Artists. Künstlerinnen im 20. und 21. Jahrhundert. Köln: Taschen Verlag, 2011. S. 333

LitGes, August 2011

Lucas Bosch Gelatin. Rez.: Ingrid Reichel

Salzkammergut Festwochen 2011: Sigrid Reinberger & Freunde. Rez.: Eva Riebler

Eva Riebler
ART-BRUT

 

SALZKAMMERGUT FESTWOCHEN 2011
ROH & FRISCH
Sigrid Reinberger und Freunde

Hipphalle, Gmunden
Ausstellungseröffnung: 23.07.11, 17 Uhr
Sigrid Reingruber: Malerei u. Grafik, Preisträgerin EUWARD 2010
Margarethe Bamberger: Malerei,nominiert EUWARD 2007
Christian Rebhan: Grafik, nominiert EUWARD 2010
Eli Kumpfhuber: Grafik
Sophie Beisskammer: Malerei u. Grafik
Ernst Schmid: Malerei
Franz Krummholz: Grafik
Peter Kaltenböck: Malerei
Brigitte Altenstrasser: Tonskulptur
Tanzperformance: UP.SYNDROM

Seit 1992 gibt es in Gmunden eine professionell eingerichtete und betreute Kunstwerkstätte der Lebenshilfe Gmunden für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung. Sigrid Reingruber arbeitet seit 1995 täglich in diesem Atelier und bekam 2010 für ihre in Schütt- und Spritztechnik verfertigten “Kritzelbilder“ den Europäischen Kunstpreis für Grafik und Malerei. Außer ihren modernen ansprechenden Arbeiten ragen besonders die Tonfiguren der unlängst verstorbenen Brigitte Altenstrasser sowie die Serien-Bilder Ernst Schmids aus Gmunden heraus. Er ist von Produkten in Dosen oder Paketen in geordneten Regalen begeistert und malt und benennt vor allem Genussmittel wie Säfte, Eis etc. Da er pro Tag in der Werkstätte sechs Bilder erstellt, ist eine Wand der Hipphalle eindrucksvoll mit seinen seriell gestalteten Acryl-Werken bestückt.

Bis 5. August. ist die Ausstellung Samstag und Sonntag 10-12 Uhr geöffnet. Unbedingt ansehen!

LitGes, Juli 2011

Salzkammergut Festwochen 2011: Sigrid Reinberger & Freunde. Rez.: Eva Riebler

Le Surréalisme, c'est moi! Salvador Dalí & ... Rez.: Ingrid Reichel

Ingrid Reichel
KEIN MEISTER OHNE MEITERWERKE!

 

LE SURRÉALISME, C’EST MOI!
Salvador Dalí & Glenn Brown, Louise Bourgeois, Markus Schinwald, Francesco Vezzoli
Kunsthalle Wien, Halle 2, Museumsquartier
Ausstellung: 22.06.2011 – 23.10.2011
Kurator: Gerald Matt

„Es war ein langwieriges Unterfangen“, mit den Worten eröffnete der Leiter der Kunsthalle Wien und Kurator der Ausstellung Gerald Matt die Pressekonferenz zur Ausstellung „Le Surréalisme, c’est moi!“ (Der Surrealismus, das bin ich!). Eine Erklärung dazu blieb aus. Vermutlich hingen die Probleme mit der Werkübernahme der amerikanischen Bildhauerin mit französischer Provenienz Louise Bourgeois zusammen, die im Mai 2010 mit 98 Jahren in New York verstarb.

Ausgangspunkt der Schau war die Frage, wie zeitgenössisch der Surrealismus ist und welche Rolle er heute noch spielt? Matt sei überrascht gewesen, wie viele Künstler Dalí estimieren und über die gegenwärtig hohe Relevanz des Surrealismus. In Louise Bourgeois z.B. sieht er eine Seelenverwandtschaft zu Dalí, da beide gegen ihr Elternhaus rebellierten, und für beide die Kindheit als auslösender Moment für ihre Kunst galt.

Die Ausstellung stützt sich auf vier wesentliche Aspekte. Der Ausgangspunkt des Surrealismus durch die Entdeckung des Unterbewusstseins und der Traumanalyse, sowie die Verdeutlichung der Grenzüberschreitung von Hoch- zur Popkultur spielen hier eine große Rolle. Damals entstanden die ersten Happenings, die den Weg zum Aktionismus öffneten. Der dritte Punkt, den Matt als Kurator ausgearbeitet hat, ist den aufgebrachten Respekt gegenüber der Kunstgeschichte und die Qualität der Malerei durch ihre Wiederentdeckung zu zeigen. Als viertes Element der Ausstellung sieht Matt die Erfindung des Künstlers als Star und seine Entwicklung zum Markenprodukt, die noch vor Andy Warhol (1928-1987) mit Salvador Dalí (1904-1989) ihren Anfang fand.

Die Schau beginnt mit dem Buch des Comte de Lautréamont „Les chants de Maldoror“ (Die Gesänge des Maldoror). 44 Heliogravüren aus der Illustrationsfolge der Werkausgabe 1934 von Dalí und eine zerschlissene Ausgabe mit fehlendem Frontispiz des Werkes aus dem Jahr 1925 in einer Vitrine weisen auf dessen Bedeutung für den Surrealismus. Die Erklärungen an der Wand machen auf das Ziel des Surrealismus aufmerksam, die Grenze zwischen Kunst und Leben gegen bürgerliche Werte, rationale Logik, Moralvorstellungen und Schönheitsbegriffe aufzulösen. Auf die Geschichte und Inhalt des Werkes geht Matt nicht ein, die Zusammenhänge der Gesänge von Lautréamont zum Surrealismus sind nach dem Ausstellungskonzept nicht ersichtlich.

Matt behandelt nur oberflächlich und völlig unpolitisch die Komplexität der Entwicklung des Surrealismus, die bereits 1921 mit André Bretons Manifest des Surrealismus (1924) zu einer spartenübergreifenden geistigen Haltung zwischen angewandter und bildender Kunst führte. Nach dem Dadaismus galt der Surrealismus, der durch die künstlerische Verarbeitung von Traum- und Halluzinationserlebnissen das Unterbewusstsein mit einbezog als anarchistische Bewegung gegen die überholten weil unglaubwürdig gewordenen Werte der Bourgeoisie. Schließlich war es Breton, der kurzzeitig in einer psychiatrischen Anstalt gearbeitet, Arbeiten von Sigmund Freud gelesen und „Les Chants de Maldoror“ (Die Gesänge des Maldoror), das einzige Werk des Comte de Lautréamont (Pseudonym für Isidore Lucien Ducasse: 1846-1870), nach dem 1. Weltkrieg wiederentdeckt hatte und welches er als Apokalypse bezeichnete. „Les Chants de Maldoror“ erschien aus Zensurgründen erst nach dem Ableben des Autors 1874 und gilt bis heute als eines der radikalsten Werke der abendländischen Literatur, denn es beinhaltete bereits vor Freuds Begründung der Psychoanalyse in seinen sechs Gesängen die Poesie der Halluzination und Assoziation, des Unbewussten, der automatischen Schreibweise (écriture automatique) und lehnte sich an der Schauerromantik und dem Roman noir an.

Der Held und Ich-Erzähler Maldoror ist die Morgenstunde des Bösen (mal d’aurore), nach dem belgischen Autor und Vertreter des Symbolismus, dem Literaturnobelpreisträger 1911, Maurice Maeterlinck, ein schwarzer, zerschmetterter Erzengel von unsagbarer Schönheit, der auf dem Planeten Erde gestrandet ist, um der Menschheit ihre eigene Boshaftigkeit zu zeigen. Eine albtraumhafte Welt voller Horrorvisionen durchzogen mit Blasphemie, Gewalt, sexuellen Verfehlungen und Kinderschändung mündet in einem verzweifelten Kampf gegen Gott und den Menschen.

Da sich aus dem starken Inhalt des Werkes die fantasiereichen Bilder des Hieronymus Bosch (16. Jhdt.!) oder auf jeden Fall die verwegenen Radierungen des österreichischen Grafikers und Literaten Alfred Kubin (1877-1959) gedanklich auftun, kommen Dalís Illustrationen eher stilisiert und weniger auf das Werk als auf das Ego des Künstlers bezogen herüber. Auch der belgische Symbolist Frans De Geetere (1895-1968) 1927 und der 1920 geboren französischen Grafiker Jacques Houplain 1947, der belgische Surrealist René Magritte (1898-1967) (Brüssel: Editions De „La Boetie“, 1948) illustrierten die Gesamtausgabe, später auch der 1938 geborene deutsche Starkünstler Georg Baselitz (München: Rogner und Bernhard, 1976. Juni 1995.). Das Gesamtwerk Lautréamonts mit den verschiedensten Illustrationen im Vergleich wäre an sich schon eine eigene Ausstellung wert, und würden inhaltlich mehr über den Surrealismus verraten.

 
Louise Bourgeois: Arch of Hysteria, 2004.
Courtesy Cheim & Read and Hauser & Wirth
© Louise Bourgeois Trust, VBK, Wien, 2011
 

Alleine die Raum in Raum Installation von Louise Bourgeois rettet die Ausstellung aus der Banalität und verleiht dem Surrealismus würdige Tiefe, Gewicht und Respekt. Zwei längliche Vitrinen sind gefüllt mit kleinen Kostbarkeiten der Tochter einer Familie, die eine Galerie für historische Textilien und eine Werkstatt für deren Restaurierung betrieb. Louise Bourgeois nähte aus Stoffen perfekte kleine und große menschliche Körper, knetete mit Brot und anderen Massen, meißelte in Stein, schliff, polierte, goss ihre Werke in Bronze, verwendete gefundene oder vorhandene Objekte und verwandelte diese in Kunstwerke der Sorte Objets trouvés oder Ready-mades u.v.m… Hier werden 50 Kleinobjekte und Zeichnungen, die von 1945 bis zu ihrem Tod entstanden sind, gezeigt, zwischen Körperteilen wie einem Ohr, Phalli, verwobene Hände und Arme, in einem aus Stahl angefertigten Puppenbett angebundene Beine, teils mit Nägel und Messer bearbeitet, mischen sich vereinzelt Zeichnungen von Dalí.

In der Figur der Spinne sah Bourgeois symbolistisch ihre Mutter, denn sie war Weberin. Gezielt nutzt sie, die in uns rational unerklärlich innewohnende Arachnophobie, um die zwiespältige Rolle der Mutter zu definieren. Zwischen den Vitrinen steht ein aus alten Türen und Fenstern gezimmerter Schrein, worin sich ein Fauteuil befindet auf dem eine Puppe sitzt. Die Puppe hat einen Stoffkörper, bezogen aus demselben Teppich wie der Lehnstuhl, aus der eine Spinne aus Edelstahl hervortritt. Bourgeois, die stark unter der patriarchalischen Autorität ihres Vaters litt, hatte unermüdlich ihre Kindheit als Quelle ihrer Inspiration genutzt und arbeitete stets an der Dekonstruktion wie auch Rekonstruktion der Vaterfigur. Als Pendant hierzu steht ein skatologisches Objekt (mit symbolischen Funktionen) von Dalí aus dem Jahr 1973, ein roter Damenschuh, umgeben u.a. von Knetmasse, Milchglas, Bürste ohne Borsten, Zuckerwürfel, Löffel und Schamhaaren.

 
Eric Schaal: Salvador Dalí’s Dream of Venus Pavilion, 1939.
© Eric Schaal / Salvador Dalí. Foundation Gala-Salvador Dalí
 

Der 1973 geborene Salzburger Künstler Markus Schinwald vertritt Österreich bei der heurigen Biennale in Venedig. Schinwald, bekannt für seine Übermalungen und Verfremdungen alter Bilder, die er am Flohmarkt erstanden hat, hat einen surrealistischen Bezug in seinen Arbeiten, da er sich auf psychologischer Ebene mit Körper und Raum bzw. Architektur auseinandersetzt. Das individuelle wie das kollektive Sein steht dabei im Vordergrund, Unbehagen und physische Unzulänglichkeiten macht er zum Thema. Für diese Schau jedoch entschied sich Schinwald für einen alltäglichen Gegenstand, der kaum in der Kunst wahrgenommen wird, für ein Aquarium (Aquarium #1). In ihm schwimmt ein Marmorantennenwels-Paar, der Bart der Fische soll assoziativ an Dalí erinnern. Ein enttäuschender Beitrag, da sich sogar die Fische hinter dem Baumstrunk verstecken und der Surrealismus, die Absurdität, der springende Funke der Metapher sich auf den Betrachter nicht überträgt.
Als Pendant entschied man sich für einen im Verhältnis zu Schinwalds Aquarium gleich großen Flachbildschirm auf dem in kurzzeitiger Sequenz 16 Fotografien des deutschen Fotografen Eric Schaal (1905-1994) gezeigt werden. Schaal dokumentierte mit seinen Fotos Dalís Beitrag zur Weltausstellung 1939 in New York für die Dalí ein surrealistisches Funhouse, den Pavillon Dream of Venus baute.

 
Glenn Brown: Oscillate Wildly, 1999.
(nach Autumn Cannibalism, 1936 von Salvador Dali),
Mit freundlicher Genehmigung der Gala-Salvador Dalí Foundation, Spanien
© Glenn Brown, Courtesy Thomas Dane
Hier zum Vergleich das Original,
nicht in der Schau vertreten:
Autumn Cannibalism, 1936 von Salvador Dali

Foto:Tate online
 

Die meiste Aufmerksamkeit widmete man in dieser Schau den Werken Glenn Browns. Der 1966 geborene britische Maler und Bildhauer ist bekannt dafür, sich Themen von lebenden Künstlern anzueignen, wie auch kunsthistorische Bezüge in seinen Bildern herzustellen. Sein zitierter Ausspruch „Selbst Bilder in deinen Träumen beziehen sich auf die Realität.“ verweist jedoch nicht auf den Surrealismus, wie die Kunsthalle vermittelt, sondern auf seine Erkenntnis, dass es unmöglich sei, ein Bild ohne Vorkenntnisse anderer herzustellen, quasi als Erklärung zur Legitimation seiner eigenen plagiatsträchtigen Kunstwerke. Neben seinen gewohnt üppig farbigen Ölgemälden, findet man in der Schau auch neueste Giclée Prints, welche nichts anderes als digitale Inkjet-Drucke sind wie Love II (2011) oder If god exists then everything is his will (2011). In einem Druck überlappt und verzerrt er Autumn cannibalism von Dalí (1936) und The laughing cavalier von Frans Hals (1624). Gleichwohl wiederholt sich das Thema des Herbstkannibalismus in Oscillate wildly (1999), ein in schwarz-weiß gehaltenes und in die Länge verzerrtes Ölgemälde. Einige Ölbilder von Dalí hängen als Gegenstücke in den Ausstellungsräumlichkeiten.

Der 1971 geborene italienische Künstler Francesco Vezzoli verwendet Dalís erfundenes Klischee des Künstlergenies, um imaginäre Produkte zu vermarkten. Ein einminütiges Video mit dem Titel Greed (2009) unter der Regie von Roman Polanski, zeigt, wie sich zwei Frauen, die eine blond, die andere brünett, die eine schwarz gekleidet, die andere in weiß vor einem Schminktisch um ein Parfum namens Vezzoli streiten, es kommt zu Handgreiflichkeiten bis ein Mann den Raum betritt und das zu Boden gefallene Flakon aufhebt. Einige großformatige Inkjet Drucke auf Leinwand zeigen in verkitschter Ironisierung und ikonographischer Idealisierung Dalís überdurchschnittliche Exzentrik, Paranoia und Obsession kombiniert mit den Starallüren nostalgisch anmutender Hollywoodszenen. So ist eine künstlerisch-surreale „Hall of Fame“ Elizabeth Taylor gewidmet. Vezzoli verwendet Taylors Portrait auf verschiedene Art, einmal greift er Dalís Gemälde Der Schlaf (1939) und versieht es mit ihrem zerrinnenden aber tränenreichen Antlitz, Tränen die

 
Francesco Vezzoli: Surrealiz
(Who’s afraid of Salvador Dalí?),
2008.
Privatsammlung,
Courtesy Gagosian Gallery
© Francesco Vezzoli, VBK, Wien, 2011
Philippe Halsman:
Dalí’s Mustache, 1953.
Privatsammlung Wien.
© P. Halsman & S. Dalí
© Magnum Photos / Fundació Dalí, Figueres, 2011.
Image Rights of S. Dalí reserved
 

Fabergé-Eier sind. In Who’s afraid of Salvador Dalí? (2008) implantiert er Dalís Augen in ihr Portrait, ein verkitschter Dalí Schnurbart aus Goldfäden ziert ihr Gesicht, um den Hals trägt sie ein Collier aus kleinen Richard Burton Medaillons. Vezzoli bezieht sich hier auf Edward Albees Literaturverfilmung „Who’s afraid of Virginia Woolf“, in dem Liz Taylor und Richard Burton ein konfliktreiches Ehepaar spielen, die jahrelang in unhaltbaren Illusionen und Selbsttäuschungen gelebt haben. Der Titel selbst ist eine Anspielung auf das Kinderlied „Wer hat Angst vor dem bösen Wolf?“ (Who’s afraid of the big bad wolf?).

Als Pendant zu Vezzolis Werken hängen Exponate des lettisch-amerikanischen Portrait- und Modefotografen Philippe Halsman (1906-1979), der durch seine Abbildung von Albert Einstein weltberühmt wurde. Die vorzufindenden Exponate bekräftigen die lebenslange Freundschaft zwischen Halsman und Dalí. Von dem französischen Künstler Jean-Michel Othoniel gibt es einen 16 mm Schwarzweißfilm (Dauer: 5.47 Minuten) auf DVD aus dem Jahr 1993 zu sehen: „So schön wie die unvermutete Begegnung zwischen Regenschirm und Nähmaschine“. Othoniel, der eine Vorliebe für Metamorphosen hat, nimmt in diesem auf alt gemachten Film ebenfalls Bezug auf Lautréamonts Werk, nämlich auf den sechsten und letzten Gesang des Maldoror, wo er die Schönheit eines Jünglings preist und hierfür folgende Metapher verwendet:
„[…] schön wie das zufällige Zusammentreffen einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch!“ ("[…] beau comme la rencontre fortuite sur une table de dissection d’une machine à coudre et d’un parapluie!").
In seinem Film liegt ein Regenschirm rechts, links davon steht eine Nähmaschine auf einem Steintisch auf einer schattigen Terrasse. Die zwei Objekte sind Wachs- oder Eisskulpturen (?), im Zeitraffer schmelzen beide Gegenstände, am Ende bleibt das Nichts. Hier heißt es für den Ausstellungsbesucher Ausdauer zu beweisen, es lohnt sich den Film in seiner vollen Länge anzuschauen!

 
Salvador Dalí: Lobster Telephone, 1936
Foto: Tate online
 

Nicht nur Dalí verarbeitete Lautréamonts seltsamen Schönheitsvergleich, welcher einen zentralen Aspekt in der surrealistischen Kunsttheorie einnimmt. Man Ray (1890-1976), einer der bedeutendsten Fotographen des Surrealismus, nahm diese Stelle bereits 1920 als Ausgangspunkt für sein Werk „The Enigma of Isidore Ducasse“.
Der Surrealist Max Ernst (1891-1976) definierte auf Grund des Zitates die Struktur des surrealistischen Bildes: „Accouplement de deux réalités en apparence inaccouplables sur un plan qui en apparence ne leur convient pas.” Frei übersetzt: Paarung zweier offensichtlich nicht koppelbaren Realitäten, die auf einer Ebene scheinbar nicht zusammenpassen. Klassisches Beispiel ist Dalís Aphrodisiac Telefone (1936), welches in der Schau ausgestellt ist.
Surrealisten arbeiten auf höchster psychologischer Ebene, evozieren das spielerisch assoziative Denken durch das Überraschungsmoment der nahezu grotesken Zusammenführung verschiedener Objekte oder Gedanken.

 
Salvador Dalí: The Eye, 1945.
Privatsammlung Courtesy Hauser & Wirth
© Salvador Dalí. Foundation Dalí / VBK, Wien, 2011
 

Leider ist der Meister des Surrealismus in der Ausstellung mit keinem Meisterwerk vertreten. Beinahe geht er durch die Wucht der Moderne mit seinem zierlichen Malstil und den Kleinformaten unter. Highlight ist ein Ölgemälde auf Holztafel aus dem Jahr 1944: The eye. Das mit 1981 vermerkte Ölbild auf Kupferplatte Landschaft mit Zypressen dürfte eines seiner jüngsten Werke in der Ausstellung sein. Die in dieser Ausstellung gezeigten Zeichnungen und Radierungen zählen nicht zu seinen stärksten.

Die Ausstellung vermittelt jedoch gekonnt Dalís Vielseitigkeit. Auch der weltberühmte britische Filmregisseur Alfred Hitchcock (1899-1980) lud ihn zur Zusammenarbeit ein. Spellbound (Ich kämpfe um dich) aus dem Jahr 1945 mit Ingrid Bergmann und Gregory Peck ist der erste Hollywoodfilm, der sich mit Freuds Psychoanalyse beschäftigte. Dalí entwarf die wunderbar surrealistische Traumsequenz im Film. Die Kunsthalle Wien zeigt diesen Ausschnitt.

Matt vermittelt als Kurator der Ausstellung interessante Perspektiven zum Verständnis des Surrealismus, setzt jedoch sehr viel, zu viele Vorkenntnisse bei den Besuchern voraus. Die vier oben bereits genannten Aspekte der Ausstellungen sprengen den Rahmen. Zu komplex ist der Surrealismus, als dass man die genannten Ziele in einer Ausstellung abhandeln könnte. Dementsprechend bewusst minimalistisch hielt man die Informationen, um einer Überforderung zu entgehen mit der bitteren Konsequenz trotz guter Ansätze eine schlechte Kritik ertragen zu müssen, da der Inhalt der Schau leider im Auge und Geiste des Betrachters in der Art nicht umsetzbar ist und verstanden werden kann und die Schau im Resultat als oberflächlich und banal empfunden wird.

Schade!

Info: Die Kunsthalle Wien widmet in diesem Jahr dem Surrealismus noch zwei weitere Ausstellungen. Im project space Karlsplatz sind vom 30. August bis 25. September Die geheimen Obsessionen des Carlo Mollino. Un messaggio dalla Camera Oscura zu sehen, in der Kunsthalle (Halle 1) werden vom 7. September bis 2. Oktober Filme des tschechischen Künstler und Trickfilmmachers Jan Švankmajer „Das Pendel, die Grube und andere Absonderlichkeiten“ gezeigt.

Zur Ausstellung erschien der Katalog:
LE SURRÉALISME, C’EST MOI!
Hommage an Salvador Dali.
Louise Bourgeois, Glenn Brown, Markus Schinwald, Francesco Vezzoli
Hrsg. Gerald Matt/ Kunsthalle Wien

Zweisprachige Ausgabe: Deutsch-Englisch
Nürnberg: Verlag für Moderne Kunst, 2011. 320 S.

LitGes, Juni 2011

Le Surréalisme, c'est moi! Salvador Dalí & ... Rez.: Ingrid Reichel

Lebendversuch: Jonas Burgert. Rez.: Ingrid Reichel

Ingrid Reichel
IM WETTLAUF GEGEN DEN KITSCH

   
Jonas Burgert: Selten nachts, 2010.
Öl auf Leinwand.
Foto © Gunter Lepkowski,
Lepkowski Studios GmbH, Berlin
     
       
       

Lebendversuch
Jonas Burgert
Kunsthalle Krems (KHK),
Zentrale Halle & Galerie
Ausstellung: 27.03.2011 – 13.06.2011
Kuratoren: Hans-Peter Wipplinger,
Karin Pernegger

Ausstellungskatalog:
Lebendversuch
Jonas Burgert
Hrsg. Daniel J. Schreiber &
Hans-Peter Wipplinger

Kunsthalle Krems -
Kunsthalle Tübingen
Köln: Verlag der Buchhandlung
Walther König, 2010. 112 S.
ISBN 978-3-86560-940-3
22,80.- Euro

Podiumsdiskussion mit
Jonas Burgert und den Kuratoren

Zentrale Halle der Kunsthalle Krems:
14.05.11, 19 Uhr

Zur Ausstellung

Dem aufmerksamen Ausstellungsbesucher wird Jonas Burgert von der Ausstellung Lebenslust & Totentanz in der KHK (18.07. - 07.11.2010) bereits bekannt sein. Nun hat er seine erste große Einzelausstellung unter dem Titel „Lebendversuch“ zuerst in der Kunsthalle Tübingen (11.12.2010 – 06.03.2011) und anschließend in etwas modifizierter Art in der KHK (27.03. – 13.06.2011) erhalten. Bereits vor eineinhalb Jahren haben die Museumsdirektoren der beiden Kunsthallen - aus Tübingen Daniel J. Schreiber und aus Krems Hans-Peter Wipplinger - diese Ausstellung mit dem Künstler ausgemacht. Burgert musste für diese zwei Ausstellungen eine besondere Auflage erfüllen: Alle in der Zeit verkauften Werke durften nicht zu ihrem neuen Eigentümer. In diesem Sinne sehen manche Käufer erst nach der Kremser Schau zum ersten Mal nach langer Zeit das erworbene Werk. Grund hierfür sind die hohen Transportkosten und Versicherungen der großformatigen Werke, die sich die Ausstellungsbetreiber nicht leisten könnten, denn aus der ganzen Welt interessieren sich bereits Kunstsammler für Burgerts monumentale Kunst. Mittlerweile stehen sie für Jahre hinaus auf der Warteliste. Verrückt, denn bis vor ca. zwei Jahren interessierte sich noch kaum jemand für diesen Shootingstar der Kunstszene. Es war wohl die Gruppenausstellung in der Kunsthalle Hamburg (10.04 – 21.08.2005) zum Thema „Geschichtenerzähler“, die Jonas Burgert in den Kunstmarkt katapultierte. Verantwortlich war Christoph Heinrich, der bis 2007 Leiter der Galerie der Gegenwart war. Neben Größen wie Neo Rauch, der in seinem Stil den sozialistischen Realismus durchdringt, den magischen Realisten Peter Doig, Neoromantiker Gerhard Till und der mit psychologischen Aspekten arbeitenden Ena Swansea befand sich Burgert inmitten hoch dotierter protegés in bester Gesellschaft, wurde doch somit der Kunstsammler Charles Saatchi, der maßgebend den Ton im Kunstmarkt angibt, auch auf Jonas Burgert aufmerksam. Seine Preise haben sich in den Auktionshäusern schlagartig innerhalb eines Jahres etwa verfünffacht.
Seither muss und kann sich der 1969 geborene Berliner eine Fabrikhalle in Weißensee im Berliner Stadtbezirk Pankow leisten, um seine Raum bis Saal füllenden Werke zu erschaffen.Dabei musste Burgert, der von 1991 bis 1996 an der Universität der Künste in Berlin studierte und 1997 Meisterschüler von Dieter Hacker war, lange bescheiden leben. Der Sohn des 2009 verstorbenen Künstlers Hans-Joachim Burgert gründete 1999 mit dem Installationskünstler Ingolf Keiner das Ausstellungsprojekt Fraktale www.fraktale-berlin.de .

Themen der Fraktale I-IV waren Relikt ist Keim (Parochialkirche, Berlin); Mensch baut Mensch (Pfefferberg, Berlin); Faktor Transzendenz (U-Bahn Reichstag, Berlin) und Tod (Palast der Republik, Berlin). Von zwei Künstlern wuchs die Schau bis 2005 auf 25 ausstellende Künstler. Mit Burgerts Karrieresprung fand leider das wunderbare und ambitionierte Ausstellungsprojekt junger Kunst sein jähes Ende. Was ist wohl aus diesen Künstlern geworden, die sich in den Fraktalen gegenseitig befruchteten und bestärkten, frischen Wind mit einem Hauch von Anarchie verströmten, kurzum Rebellion gegen den überzogenen kapitalistischen Kunstmarkt zur Schau stellten? Mit ihrer Kunst den Kampf ums Überleben sprichwörtlich manifestierten. Burgert spielt nun in einer anderen Kategorie. Er hat die brotlose Zeit seines Künstlerdaseins überbestanden, nun muss er im Ranking des internationalen Maximierungsprofits überleben. Die Geldgier im internationalen Kunstgeschäft ist eine der gruseligsten. Burgert scheint sich dessen bewusst zu sein, dies würde zumindest den Titel seiner ersten institutionellen Personale erklären: „Lebendversuch“.

Verfolgt man die Fraktale I-IV chronologisch, kann man Jonas Burgerts Entwicklung (per Internet) verfolgen. So waren 1999 Ornamente und Symbole verschiedenster Kulturen, altägyptische Grabkunst-Motive (inspiriert durch einen, wegen eines erhaltenen Stipendiums, ermöglichten Ägyptenaufenthalt 1998-2000) und Zellstrukturen auf einem gemalten Mauerwerk auf Leinwand vordergründig. Ab 2003 integrieren sich figurative Elemente auf der zweidimensionalen Bildfläche, die Werke gewinnen an Tiefenwirkung. Seit 2005 steht der Mensch im Vordergrund Burgerts Schaffen. Das Archaische, welches von Beginn an große Bedeutung in Burgerts Werk einnahm, konzentriert sich zunehmend am Handeln des Menschen in Form von Riten, Schlagwörter wie Mythos und Pathos bekommen Oberhand. Burgerts Werke verwandeln sich in dreidimensionale theatralische Szenarien, es würde nicht wundern, wenn die Figuren eines Tages aus der Leinwand herausbrechen und über uns kommen würden.

 
Jonas Burgert vor Suchtpuls
Öl auf Leinwand, 2010.
 Kunsthalle Krems, 2011.
Foto ©: Laura Tomicek
 
 
Jonas Burgert: Affenfalle, 2010.
Öl auf Leinwand.
Foto © Jonas Burgert
 

Die Kunsthalle Tübingen und die KHK haben einen Katalog zur Ausstellung herausgebracht. Dieser Katalog umfasst bis auf ein Bild – Suchtpuls (2011) – alle ausgestellten Werke und mehr. Ab Seite 93 gibt es ein komplettes Werkverzeichnis der Jahre 2003-2010. Einziger Fehlschlag in diesem Katalog ist das Layout des Werkverzeichnisses, hier sind die Ablichtungen der Werke zu thumbs geraten. Sie hätten um gut einen Zentimeter im Rundumfang größer sein können, ohne dass der Katalog dicker geworden wäre. Für die nur 2,5 cm bis 3,5 cm hohen Miniaturen braucht man schon eine Lupe, um etwas erkennen zu können. Die Fotos selbst und der Druck sind jedoch hervorragend an die Farbe der Originale angepasst. Im Katalog werden drei verschieden Positionen zum Werk und zur Entwicklung Burgerts dargelegt. Daniel J. Schreiber setzt auf die Sprengkraft der Pathosformel. Die Kremser Kuratorin Karin Pernegger geht auf die Quelle ein und analysiert die Begegnung mit einem archaischen Menschenbild. Hans-Peter Wipplinger bezieht sich wiederum auf das gemalte Welttheater des Jonas Burgert. Drei ausgezeichnete Beiträge, die sich im Gesamten nicht widersprechen, sondern zum allgemeinen Verständnis zu Burgerts Werk beitragen.

Burgert, der sich zum Existenzialismus bekennt, meint, der Mensch müsse sich fortwährend definieren, da er sich im Gegensatz zum Tier permanent in Frage stellt. Ihn interessiert hierbei die Fragestellung um unseren Prozess der geistigen Repräsentanz, so Burgert in der Podiumsdiskussion in der Zentralhalle der KHK am 14. Mai 2011. Hier sehe er den Beginn eines Malereidiskurses, der sich mit den Alten Meistern beschäftigt, die zeitlos weiterexistieren. Der Aspekt des Zeitlosen in der Malerei muss, trotz großartiger Gegenwartskunst, möglich sein, führt Burgert aus. Seine Figuren stammen aus verschiedenen Epochen. Das Archaische, die Rituale sieht er über Jahrtausende verteilt.Die Empfindung der Geschichte bleibt anhaltend, doch die Kunst habe die Fähigkeit über das Intellektuelle hinaus zu gehen. Er habe das exzessive Bedürfnis visuelle Situationen herzustellen, die den Inhalt auf eine andere Ebene transformieren und bleibende Empfindungen hinterlassen. Wipplinger verweist darauf, dass es dabei nicht um die Erzählung der Geschichte geht, sondern um die Suche nach Wahrheit. In diesen absurden Theaterszenerien steckt die Groteske, die einen Moment des Innehaltens erfordert. Die Ruhe in dramatischen Szenen stelle sich dann ein, wenn die Darstellung symbolischen und nicht illustrativen Charakter habe, dann wird es still, bestätigt Burgert.

Zum Werk

 
Jonas Burgert: Gift gegen Zeit, 2009.
Öl auf Leinwand.
Foto © Gunter Lepkowski,
Lepkowski Studios GmbH, Berlin
 

Daniel J. Schreiber geht detailliert in seinem Essay auf dieses Phänomen ein. Es sind die gedämpften neutralen Flächen, die weißen oder grauen, reich nuancierten Farbfelder, die Abstraktion also, die mit dem Figurativen kontrastieren und beruhigen. Schreiber spricht hierbei von defensiver (abstrakte) und offensiver (figurativer) Malerei, wobei in letzterer der Inhalt liege. „90 Prozent der Arbeit bestehen darin zu vermeiden, figurativ zu malen. Ich will aber 90 Prozent der Arbeit offensiv nutzen, nicht defensiv. Also habe ich mir gesagt: Der Inhalt muss wieder her. Aber die Qualität der abstrakten Malerei, das überzeitlich Gültige, muss bewahrt bleiben.“ (Katalog, Essay: Schreiber. Zitat: Burger. S. 30)
 

Burgert liebt den Kontrast. Reizt ihn malerisch aus. Spielt inhaltlich mit Widersprüchen. Dort wo es thematisch laut ist, wird es still auf der Leinwand. Dort wo der Intellekt vorherrscht und alles steuerbar wird, will er emotionalisieren und Unordnung schaffen. Für Burgert ist Intellekt ein Werkzeug, das es zu entwickeln gilt. Die Protagonisten in seinem gemalten Welttheater sind Clowns, Harlekine, Schamanen und Könige. Diese werden in der Gesellschaft über Epochen bevorzugt behandelt, denn sie dürfen mehr als alle anderen. Seine skeptische Welthaltung sieht er weder negativ, noch apokalyptisch. Ihm geht es um die Ernsthaftigkeit der existenziellen Prinzipien des Menschen, um den Verfall, den Tod und den damit verbundenen Phänomen der Religion. Die Illusion sei schließlich Teil unserer Realität, sonst würden wir Bilder nicht akzeptieren, so Burgert zum Abschluss, denn in der Kunst wäre es erlaubt Gesetze außer Kraft zu setzen, sie sei ein Experimentierfeld und erlaube uns, uns aufs Neue zu erfinden. „Es darf nicht passieren, dass die dünne Membran der Illusion zerplatzt, denn sonst wäre die Farbe nur noch Farbe und das Bild nur mehr Dekoration.“ (Zitat: Schreiber. S. 31). Dies beschreibt eindringlich die Gratwanderung der Malerei, der sich Burgert aussetzt. Bei zu starkem Chiaroscuro, der Hell-Dunkel-Malerei, wie sie vor allem in der Spätrenaissance und im Barock praktiziert wurde, droht die Semantik des Bildes auseinanderzufallen, bei zu wenig ist die Gefahr der Langweile gegeben. Diese Gratwanderung pflanzt sich auf Burgerts Farbwahl fort. Burgert kleidet seine Figuren, den offensiven, den inhaltlichen Part in Extremfarben mit fluoreszierender Wirkung: kräftiges Gelb, giftiges Grün, vibrierendes Orange und strahlendes Blau, während der defensive Teil, wie bereits erwähnt, in gedämpften hellen und dunklen Erdfarben bleiben. Selbstverliebt umgarnt er seine Figuren mit den in grellen Farbtönen gehaltenen Schleifen, wie wir es im historischen Klischee von Indianern auf Armen und Beinen kennen, bandagiert sie sprichwörtlich teilweise damit und verwandelt sie zu Mumien oder Zombies.

 
Jonas Burgert: Sand brennt Blatt, 2010.
Öl auf Leinwand.
Foto © Gunter Lepkowski,
Lepkowski Studios GmbH, Berlin
 

Auffallend in Burgerts Werk ist die aufgelöste Perspektive durch die aufgehobene Gesetzmäßigkeit der Größenverhältnisse. So entsteht aus vielen Fragmenten ein großes Ganzes. Fluchtpunkte werden durch Löcher und Ritzen marginalisiert und geben ein Gefühl des Bodenlosen. Karin Pernegger bezeichnet sie in ihrem Essay als Quellen und bezieht sich hierbei auf den britischen Ethnologen und Vertreter der symbolischen Anthropologie Victor Turner und seinen Begriff der Liminalität, der den Schwellenzustand beschreibt, in dem sich Individuen oder Gruppen befinden, nachdem sie sich rituell von der herrschenden Sozialordnung gelöst haben. Mit Burgerts Spiel der Machtdispositiven ist auch für Pernegger sein Stil des Widersprüchlichen belegt. Gedachtes und Geschehenes, Traum und Wirklichkeit, Metamorphose und realistische Details, Vergangenes und Gegenwärtiges treffen aufeinander. Burgert, der sich für das Zeitlose in der Kunst entschieden hat, hält das Thema der Politik in der Malerei für gefährlich. Für ihn behandelt grundsätzliches auch das Aktuelle (S.54). Die kräftigen Farben benutzt Burgert als Mittel zur Gegenwart zu gelangen. Die Zeitreise auf der Leinwand verwandelt sich in ein Paintball-Areal, in ein Schlachtfeld der Farben. Die großen und kleinen Figuren erinnern an die Jonathan Swift märchenhafte Welt „Gullivers Reisen“. Die Riesen liegen meist am Boden, während die Kleinwüchsigen noch in versklavter Haltung der Dinge verharren, geben das Bild vom gestrauchelten Giganten und der überlebenden Masse wieder. Von Masse und Macht.

Sowie auch Burgerts Themen zeitlos sind, so bleiben es auch seine Protagonisten. Alter, Geschlecht, Individualität sind neutralisiert. So evoziert Burgert die Assoziation vom Mensch zur Marionette oder zum Tier, vor allem zum Affen. Hans-Peter Wipplinger sieht darin eine komplexe Theaterinszenierung mit Geschehen ohne konkrete Erzählung (S.75). Ganz in der Tradition des Theatrum Mundi, dem Welttheater der Renaissance und des Barocks, das als Metapher für die Eitelkeit und Nichtigkeit der Welt gebraucht wird, widerspiegelt sich auf Burgerts Ölgemälde das Drama des Lebens, der Menschheits- und Weltgeschichte. „Eine träge Gelassenheit dominiert dabei die Szenerie, eine Atmosphäre der kühle und gedämpften Aggressivität zugleich liegt in der Luft.“ (Zitat: Wipplinger. S.77)
Die surreale Fantasie- und schwebende Traumwelt der Jonas Burgert gibt Zeugnis über den Verfall gesellschaftlicher Werte, Entfremdung und Kommunikationsunfähigkeit und kann als kritisches Manifest gegenüber der postmodernen Welt interpretiert werden.
Fazit: Eine großartig konzipierte Ausstellung.

Zum Künstler

Es bleibt Jonas Burgert zu wünschen, dass der Lebendversuch nicht bei einem Versuch bleibt. Denn wie Honoré de Balzac so schön sagte: Ruhm ist ein Gift, das der Mensch nur in kleinen Dosen verträgt.
Insofern wird sich weisen, ob Burgert sich im Stress der Auftragsliste nicht verkitscht. Möge also, wie Daniel J. Schreiber es formulierte, die Membrane der Illusion seiner Werke auf keinen Fall zerplatzen!
Ansonsten stehen ihm die Türen zum Metier des Regisseurs und Filmemachers immer noch offen.

LitGes, Mai 2011

Lebendversuch: Jonas Burgert. Rez.: Ingrid Reichel