Bühne

Alfa Romeo und die elektrische Giulietta

Eva Riebler

Landestheater Niederösterreich

St. Pölten, 11. Mai 2024

Uraufführung

Alfa Romeo und die elektrische Giulietta

Eine Koproduktion mit dem Kollektiv Wunderbaum und Tangente St. Pölten

 

Laut Programm der Tangente (Programm S. 190) sitzen die „Familienmitglieder aus der Dynastie eines bekannten Autoherstellers um den Tisch. Bald geht es ans Eingemachte. Unter anderem wird heftig über schnelle Sportwägen in Zeiten des Klimawandels diskutiert.“ – Nichts davon sehen wir auf der Bühne: Weder die Familie Alfa Romeo, noch geht es bald ans „Eingemachte“. Es zieht sich mit faden Aussagen über die tollen Oldtimer und deren Sound in die Länge und die Sportwagenfans werden lächerlich gemacht, was ja dem heutigen ökologisch beeinflussten Zeitgeist nahe kommt.

Laut Tangente-Programm wird „die Geschichte einer Autodynastie erzählt – was genauso überhaupt nicht thematisiert wird. Genauso wird die Erwartung geweckt, dass die „Autohersteller sich mit ihrer Vergangenheit und ihrer Rolle im Faschismus auseinandergesetzt haben.“ – Auch dies findet nicht statt: Es wird nur in einem Satz erwähnt, dass Hitler beleidigt war, dass bei einem Rennen nicht der deutsche Mercedes, sondern der italienische Alfa gewonnen hatte.

Jedenfalls wäre die Problematik von Benzinfressern und deren hohes Image ein würdiges Thema für eine Theaterproduktion. Aber im Zuschauerraum macht sich lautes Gähnen breit.

Auch die Ankündigung: „Wunderbaum entzünden ein musik-theatralisches Feuerwerk“ bleibt ein papierenes Zitat. 

Das Programmheft ist sehr gut gestaltet und wirklich interessant sowie aufwändig!

Jedoch kein Lob der Inszenierung.

Die Leistung der internationalen (NL, DL, Ö) Schauspieler und der österreichischen Opernsängerin Jamie Petutschnig soll allerdings wirklich gewürdigt werden.

Bürger:innentheater

Eva Riebler

Glanzstoff/Konerei St. Pölten

Uraufführung 4.5.2024

Bürger:innentheater

Unerwartete Gemeinsamkeit

von Nehle Dick und 50 Bürger:innen

 

50 Bürger:innen im Alter von 13 bis 83 Jahren haben sich wieder zum gemeinsamen Theaterspiel zusammengefunden. Zum 3. Mal findet es in der Glanzstoff-Fabrik statt, in der die erste Aufführung: Glanzstoff 2015 den Nestroypreis bekam. 2022 war ein historisch sehr interessantes Stück von Nehle Dick: Frauenleben 1922–2022 auf dem Plan. 

Heuer war die Thematik weniger historisch ansprechend, sondern beschäftigte sich mit dem Zusammenleben und Zusammenwachsen innerhalb der Gesellschaft. 

Im ersten Drittel des Stückes hatten die engagierten Schauspieler:innen wenig interessanten Text zur Verfügung. Die Gemeinsamkeiten, die ein WIR ergeben – oder auch nicht –, hätte man so wie im weiteren Verlauf des Werkes mit kurzen, sehr gelungenen Szenen wie „die Schüchternen“ oder die „Lauten Chips-Esser“ auflockern können. Stattdessen wurden viele pädagogisch wertvolle Sätze transportiert und zelebriert, die szenisch nicht umgesetzt wurden.

Die Inszenierung hätte auch wie vor zwei Jahren das wunderbare, gemeinsame Bewegen von grauen Plastikkisten oder ähnliche Tätigkeiten und echtes Zusammenarbeiten oder Gemeinsamkeiten als kleine Szenen bereits zu Beginn auf die Bühne bringen können.

Die 50 Bürger:innen waren hervorragend und überbrückten die dramaturgischen Lücken und platten Sätzen des ersten Drittels engagiert und routiniert. Mircan Adtkan, die wie sehr viele seit Anbeginn dabei ist, verkörperte/versinnbildlichte ganz gekonnt und spannend die Differenzen zwischen Einheimischen und Ausländer-Vorurteilen. (Ein wahres Genie!)

Wunderbar waren die Bürger:innen in den beiden Szenen der Gegenüberstellung von „Jugendlichen“ und „Älteren“, in denen ebenso markante, tolle Sätze fielen.

Ein Lob den Spielerinnen! Ihnen ist der große Applaus zu zollen!

Justice

Eva Riebler

FESTSPIELHAUS ST. PÖLTEN

1.5.2024

MILO RAU. HÈCTOR PARRA. TONKÜNSTLER-ORCHESTER

JUSTICE

Eine Produktion des Grand Théâtre de Genève in Koproduktion mit Festspielhaus St. Pölten und Tangente St. Pölten – Festival für Gegenwartskultur.

Chor des Grand Théâtre de Genève

Regie: Milo Rau

Komponist: Hèctor Parra

Libretto von Milo Rau und Fiston Mwanza Mujila

E-Gitarre: Kojack Kossakamvwe

Premiere: 22.1.2024 im Grand Théâtre de Genève

 

Eine Oper in fünf Akten über die Suche nach Gerechtigkeit nach einem Tanklasterunfall 2019 in Kabwe. Säure fließt aus und nicht nur 21 Menschen sterben, sondern der ganze Ort wird in Mitleidenschaft gezogen, da die Säure ins Grundwasser geht. Die Säure ist für das nahe Kobalt-Bergwerk notwendig. Das allerdings nach einem Stolleneinbruch schließt. Außerdem hätte es mangels Schulausbildung vor Ort keine geeigneten Facharbeiter zum Bedienen der Maschinen mehr. Die Bahnlinie wird stillgelegt.

So greift ein Rad ins andere und die Überlebenschancen eines Ortes sind gleich null.

Der Gerichtsprozess findet nicht statt und für einen toten Erwachsenen werden 1000 Dollar und für ein getötetes Kind 250 Dollar als „Entschädigung“ von der zuständigen Schweizer Firma ausbezahlt.

Ein unerträgliches Video bringt all das Grauen auf die Bühne und trotzdem war die Wirklichkeit noch entsetzlicher, denn die Eingeklemmten riefen stundenlang um Hilfe, während ihnen die Säure weiterhin Körperteile verätzte, ohne dass ihnen geholfen wurde.

Ein höchst politisches Stück, das trotz vieler Zeitzeugenberichte ohne vordergründige Anklage auskommt! Es geht nicht um Mitleid mit Einzelnen, sondern um die Darstellung multinationaler Ausbeutung zugunsten der Wirtschaft, von der wir alle in den Industrieländern profitieren. So wie Reichtum und Armut nebeneinander sind und sich gegenseitig bedingen – so liefert die Musik die kongolesischen Rhythmen gleichzeitig mit einem postmodernen mythologischen Gesang mit großem Orchester. 

Ein gelungene Experiment, das durch Verschmelzung von originalen Videos und Tatsachenberichten der Opfer mit der politischen Weltlage als Hintergrund in die Form einer modernen Oper gegossen ist! Der Komponist Hèctor Parra versteht es, die Aufrichtigkeit des Gesanges mit der Wahrhaftigkeit zu verbinden, ohne emotional überbeanspruchend zu sein!

Die Physiker

Maresa Helmreich / Eva Riebler

20.4.2024

Landestheater Niederösterreich

Großes Haus. Inszenierung Kriszta Székely

Premiere: Die Physiker von Friedrich Dürrenmatt

 

Dürrenmatt ist ein Schriftsteller, der die Fähigkeit hat, komische bis groteske Situationen zu schaffen und gesellschaftspolitisch relevant zu sein.

In dieser Komödie setzt er Wissenschaftler in den Kontext der Verantwortung für ihre Forschung.

Wann muss der Einzelne gegensteuern um den Missbrauch seiner Erfindung zu vereiteln? Ist dies Möbius & Co überhaupt möglich? Wie groß ist deren Handlungsspielraum? Inwieweit hatte es einen Wert,  der Wissenschaft zuliebe auf die Familie zu verzichten? Ist Möbius` Rückzug in die Irrenanstalt ausreichend?

Sehr schön sah man im Bühnenbild an einem Riesengemälde eines hochrangigen Militärs und in der Präsenz der Person der Frau Dr. Zahnd (herausragend gespielt von Julia Stemberger) die Gefahr und Dominanz der Macht und des Machtmissbrauches.

Lichteffekt gestalteten gekonnt die Szenen und die einfache, gefällige Kostümausstattung machte ein Einfühlen in die Zeit und die Personen leicht. Die Kreuzersonate erklang als bekannter Bestandteil des Lebens der drei Wissenschaftler in der Irrenanstalt. Die Morde an den drei Pflegerinnen wurden wie in der Komödie Dürrenmatts im selben Stil als moralisch traurig aber notwendig miteinbezogen. 

Das Stück war nach dem Original ausgerichtet und hervorragend konzipiert und verwirklicht!

Das Publikum konnte einer wirklich großartigen, gelungenen Premiere beiwohnen!

Das Weinen – das Wähnen

Eva Riebler

Landestheater NÖ  26.1.24

Züricher Schauspielhaus zu Gast

Das Weinen – das Wähnen

Von Christoph Marthaler

Mit Texten von Dieter Roth

 

Ein aseptisches Theaterstück

Der klinische Tod des Theaters

 

2020 fand durch Corona zeitversetzt die Uraufführung im Züricher Schauspielhaus statt. Marthaler aus Basel hatte ein kleines Bändchen mit dadaistisch anmutenden Texten von Dieter Roth bekommen, das er hochhielt und beiden zu Ehren diese Produktion gestaltete. Es handelt sich um den schmalen vierten Band aus einer Serie von Gedichten bzw. Wortfindungen zum Thema „Tränenmeer“. Daher der Titel „Das Weinen/Wähnen.

Das riesige Bühnenbild einer realistischen Apotheke sollte weiterhin genützt, statt zerhackt zu werden. Dieser Realismus ist nicht der einzige fixe Punkt im Werk. Auch die sechs Schauspieler mussten die gleichen bleiben, egal ob sie von Mailand oder Düsseldorf einfliegen. Der Rest- sprich: Inszenierung und Texte – sind eher dadaistisch bis an Ort und Stelle tretendes Nonsens-Theater. Leider ist kein kafkaesker Witz vorhanden, sondern klinische Sterilität. Da es 1 Stunde 47 dauert, ist es mühsam den seltenen Slapstick aufzulauern. 

Die fünf Apothekerinnen haben viel zu tun und es ist schnell klar, dass sie wie gleichgeschaltete Beamtinnen unterwegs sind. Sie verhalten sich seriell und haben in Wirklichkeit weder die Funktion Kunden, Kundinnen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, noch sich um den einzigen hilfsbedürftigen Patienten zu kümmern. Er stört den Frieden des synchron ablaufenden Alltags und wird einfach fortgetragen. Sein Tod letztlich unter dem grünen Apotheken-Kreuz zeugt vom Niedergang von Medizin und Heilmitteln. Dies ist eine schöne Anspielung, da ja das Stück in der Corona-Zeit entstanden ist.

Leider werden Wiederholungen zu Gesetzmäßigkeiten und Sterilität von Wort und Handlung zur Fadesse.

Am Theater gibt man sich am wenigsten der Kunst der Entschleunigung hin – sind doch die Sitze unbequem zum Lümmeln oder Schlafen.

Ein aseptisches Stück, bei dem man den Beipackzettel: Kann einschläfernde Wirkung hervorrufen – unbedingt vorher lesen sollte!