Buch

Gerald Grassl. Rebekkas Kraft. Geschichten und Berichte jüdische Frauen aus Wien- Band II. Rez.: Cornelia Stahl

 

Cornelia Stahl
Der Name ist Programm

Gerald Grassl. Rebekkas Kraft.
Geschichten und Berichte jüdische Frauen aus Wien- Band II.
 Wien: edition tarantel. 220 Seiten.
ISBN: 978-3-9503673-6-2

Parallel zur Ausstellung „Lebenswege großartiger Frauen aus der Leopoldstadt“ im Bezirksmuseum Leopoldstadt des 2.Wiener Gemeindebezirks ist das Buch „Rebekkas Kraft“ von Gerald Grassl erschienen. Schon der Titel des Buches ist Programm: Rebekkas Kraft. Dahinter steckt die gebündelte Kraft von über zwanzig  jüdischen Frauen der Vergangenheit, die Wiens Geschichte prägten. Bekannte Frauen wie die Pädagogin und Politikerin Stella Klein-Löw, die am privaten jüdischen Gymnasium in Wien-Leopoldstadt lehrte sowie Lisl Goldarbeiter, Fotomodell, welche 1929 als bisher einzige Österreicherin zur Miss Universum gewählt wurde. Andere Künstlerinnen wie die austroamerikanische Fotografin Trude Fleischmann, die Musikerin und Schriftstellerin Vicki Baum werden in dem umfangreichen Werk vorgestellt. Auch unbekannte Frauen wie Paula Fürth, Gründerin einer Gartenbauschule in der Zeit der Ersten Republik sowie Schauspielerin und Schriftstellerin Lili Grün werden gewürdigt. Bei der Architektur gehen nach wie vor die Meinungen auseinander, denn Ella Briggs (1880-1977), wird hier als erste österreichische Architektin vorgestellt und konkurriert mit Margarethe Schütte-Lihotzky, bekannt geworden mit ihrem Modell der „Frankfurter Küche“. Der Diskurs darüber wird im Buch nur am Rande gestreift, erzeugt Spannung, und fordert zu neuen Überlegungen und Sichtweisen heraus.

Frauen ins Rampenlicht gerückt
Der Wiener Autor Gerald Grassl bietet dem Leser ein breites Spektrum bekannten und unbekannten Persönlichkeiten. Erfreulich kommen Frauen endlich ins Rampenlicht, die bisher nur in der zweiten oder dritten Reihe standen. Eine Kurzbiographie zur jeweils vorgestellten Frau wäre hilfreich gewesen, beeinflusst den Lesefluss jedoch nur am Rande. Alle Texte werden idealerweise durch schwarz-weiß- Fotografien sowie Archivmaterial ergänzt. Für an Zeitgeschichte und vor allen Dingen Frauengeschichte interessierte Leser ist dieses 220 Seiten umfassenden und inhaltsreiche Werk unbedingt zu empfehlen!

Gerald Grassl. Rebekkas Kraft. Geschichten und Berichte jüdische Frauen aus Wien- Band II. Rez.: Cornelia Stahl

Pia Janke/ Teresa Kovacs (Hg): Schreiben als Widerstand. Elfriede Jelinek & Herta Müller. Rez.: Cornelia Stahl

 

Cornelia Stahl
Widerständiges Schreiben und Sprechen

Pia Janke/ Teresa Kovacs (Hg):
Schreiben als Widerstand. Elfriede Jelinek & Herta Müller.

Publikation des Elfriede Jelinek Forschungszentrums.
Herausgegeben von Pia Janke.  2017.
503 Seiten. Mit Audio-CD.
ISBN 978-3-7069-0925-9

Elfride Jelinek und Herta Müller, zwei Literaturnobelpreisträgerinnen, positionieren sich mit ihrer Haltung, ihrer Sprache, in ihrem Schreiben in Stellungnahmen, Reden, Essays.

Eine intensive Begegnung mit Elfriede Jelinek erfuhr ich beim Rezensieren des Jahrbuches der Jelinek-Foschungsplattform (Praesens-Verlag, 2015; etcera Heft 63/2016). Im vorliegenden Buch „Schreiben als Widerstand“ stehen Elfiede Jelinek und Herta Müller im Fokus. Welche Gemeinsamkeiten vereint beiden Autorinnen? Da sind zunächst rumänische Wurzeln und die Auszeichnung mit Literaturnobelpreisen: Elfriede Jelinek 2004 und Herta Müller 2009.

In Schwerpunktthemen: -Politische Kontexte-, -Österreich-Rumänien-, -Sprache, Politik, Subversion-, Totalitarismus und Repression-, -Gewalt und Tabus-, werden die Autorinnen miteinander in Beziehung gesetzt.  Reden, Essays und Stellungnahmen von Jelinek und Müller implizieren Haltungen und ihre öffentliche Positionierung. Immer wieder wird Kritik laut an den Machtverhältnissen, der Ungleichheit und Ausgrenzung ( von Minderheiten). Widerständiges Schreiben und Sprechen wurde in Rumänien und Österreich sanktioniert, Jelinek sogar als „Nestbeschmutzerinnen“ bezeichnet. „Ich bin im Grunde ständig tobsüchtig“ sagt Jelinek in einem Interview 1996 in Hamburg (Theaterstück „Stecken, Stab und Stangl) und kritisiert Verharmlosungen.

Der Band dokumentiert ein interdisziplinär angelegtes Projekte der Forschungsplattform Elfriede Jelinek und des Elfriede Jelinek-Forschungszentrum 2015-2017, enthält Textbeiträge internationaler Autorinnen und die Ergebnisse dreier Symposien in Wien, Bukarest und Temeswar. Beigefügte Audio-CD ermöglicht mit verdichteten Hörtexteb persönliche Zugänge. Die angebotenen Schwerpunkte laden dazu ein, sich intensiv im einzelnen Aspekten  auseinander zu setzen. Für LiteraturwissenschaftlerInnen und literarisch Interssierte gleichermaßen eine Bereicherung!

Pia Janke/ Teresa Kovacs (Hg): Schreiben als Widerstand. Elfriede Jelinek & Herta Müller. Rez.: Cornelia Stahl

Anna Baar: Als ob sie träumend gingen. Rez.: Cornelia Stahl

 

Cornelia Stahl
Rückblick auf ein unerfülltes Leben

Anna Baar: Als ob sie träumend gingen.Roman.
Göttingen: Wallstein Verlag, 2017.
208 Seiten.; gebunden.
ISBN 978-3-8353-3124-2

Ein Mann namens Klee liegt im Sterben. 76-jährig, blickt er zurück auf sein Leben, sehnt sich nach Lily, der Tochter des jüdischen Arztes im Dorf. Nur sie ist geblieben in seiner Erinnerung, seine Brüder sind verschwunden, haben dem tristen Leben den Rücken gekehrt und sich aufgemacht in die Welt, nach Amerika und Australien. Er selbst, geblieben in der ländlichen Provinz,wächst in Armut auf und bekommt die Härte und Ohnmacht der verbitterten Mutter zu spüren. Doch die Zeiten ändern sich. Als der Krieg ausbricht, muss Klee zum Militär, kehrt irgendwann verwundet zurück und bildet im Ort eine Widerstandsgruppe. Doch die SS übernimmt die Führung, rächt sich an den Überfällen der Partisanen mit Bränden und Exekutionen an harmlosen und geistesschwachen Dorfbewohnern. Diesen Auseiandersetzungen fällt auch das Elternhaus Lilys zum Opfer. Der Krieg ist irgendwann vorbei, Klee wird als Kommandeur einer Partisanentruppe als Held gefeiert. Ihm wird sogar ein Denkmal errichtet. Doch Klee selbst fühlt sich unwohl in seiner Haut, ist alles andere als glücklich, findet keinen Anker in Friedenszeiten, denn das Wichtigste fehlt ihm: Lily, seine unerfüllte, niemals gelebte Liebe. Selbst nach Jahren als Seemann auf dem Mittelmeer und nach der Heirat mit Ida und der gemeinsamen Tochter, blickt er träumend auf sein Leben zurück: auf seine Kindheit und Jugend. Und auf Lily, die als Jüdin von Deutschen erschossen wurde.

Am Ende des Buches sind wir, einem Engel gleich, erneut mit Klee im Spitalszimmer, seiner letzten Station, den Tod erwartend.
Anna Baar, geboren, 1973 in Zagreb, erzählt mystisch, sprachmächtig und mit viel Pathos, ein Leben zwischen Geburt und Tod. Mit ihrem autobiografisch grundierten Vorgänger Die Farbe des Granatapfels erregte sie bereits große Aufmerksamkeit im deutschsprachigen Feuilleton! Ihr neues Buch, mitunter düster und melancholisch, schafft die geniale Verbindung zwischen Musik, Malerei (Paul Klee) und dem Erzählen eines Menschenlebens, eingebunden in historische Bezüge.

 

Anna Baar: Als ob sie träumend gingen. Rez.: Cornelia Stahl

Valentine Goby: Kinderzimmer. Rez.: Cornelia Stahl

 

Cornelia Stahl
„Was ich spüre … manchmal Liedtexte“

Valentine Goby: Kinderzimmer. Roman.
Aus dem Französischen v.Claudia Steinitz.
Berlin: ebersbach & simon. 2017.
236 Seiten.
ISBN: 978-3-86915-140-3

Kurz nach Ende der Frankfurter Buchmesse schwirren noch immer die Namen französischer Autorinnen und Autoren in meinem Kopf. Doch Valentine Goby bleibt mit ihrem neuen Roman „Kinderzimmer“ fest in meinem Gedächtnis verankert. Darin erzählt sie von Mila, Mitglied der Resistance, die 1944 verhaftet und ins Konzentrationslager Ravensbrück deportiert wird. Sie ist schwanger, doch das noch Ungeborene verleiht ihr ungeahnte Kräfte und den Ehrgeiz, die schwere Zeit zu überstehen. Sie bringt ihren Sohn zur Welt. Mit anderen Neugeborenen wird er im sogenannten „Kinderzimmer“ untergebracht. Mila versucht mit all ihren Kräften, sein und ihr Leben zu retten. Die Solidarität der Mitgefangenen ermöglicht ihr, die Zeit während der Lagerhaft zu ertragen.

Basierend auf Zeitzeugenberichten und persönlichen Gesprächen erzählt Valentin Goby in verdichteter Sprache die Geschichte der fiktiven Resistance-Kämpferin Mila. In Gesprächen offenbaren die Häftlinge einander ihre Träume, Wünsche und Hoffnungen: „Ich, sagt Mila, ich kodiere, wie früher in Musikpartituren, kodierte Nachrichten. Was kodierst du? Alles, was ich sehe. Blume, Baum, Gefangene, was ich spüre … manchmal Liedtexte“ (S.47).

Für ihren Roman über das Schicksal von Neugeborenen im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück erhielt die Französin Valentine Goby den Annalise-Wagner-Preis 2017. „Kinderzimmer“ zeigt eine weitere Facette von NS-Verbrechen: Die Ermordung von im KZ geborenen Kindern. Der ehemaligen Säuglingsschwester in „Kinderzimmer“, die 1943 wegen ihrer Tätigkeit in der Resistance nach Ravensbrück deportiert wurde, gelang es, Frauen und Kinder zu retten. 2012 wurde sie dafür ausgezeichnet. Ihre Memorien erschienen 2015 unter dem Titel Resister tourjours.

Valentine Goby, 1974 geboren, ist seit 15 Jahren als Autorin für französische Verlage tätig. In ihren Romanen beschäftigt sie sich häufig mit historischen Themen. 2014 erhielt sie für „Kinderzimmer“ den Preis Prix des Libraires. Ein Buch, das man nie mehr vergisst. Unbedingt lesen!

Valentine Goby: Kinderzimmer. Rez.: Cornelia Stahl

Livia Klingl: Lauter Fremde! Rez.: Eva Riebler-Übleis

 

Eva Riebler

Livia Klingl: Lauter Fremde!
Wie d. gesellschtl. Zusammenhalt zerbr.
Kremayr & Scheriau, Wien: 2017, 208 S.
978-3-218-01061-0

Chancen. Die Autoren, geb. 1956 in Wien beleuchtete bereits 2015 in „Wir können doch nicht alle nehmen! Europa zwischen „das Boot ist voll“ und „Wir sterben aus“ die Problematik der Einwanderung. Durch ein Zumauern in einem demografisch überalterten Europa würden sinnvolle Chancen vertan, so L. Klingl.
Sie fragt sich, warum Fremde stets zum Sündenbock gestempelt werden. Warum viele zurück wollen in die „gute, alte Zeit“, als es noch keine Globalisierung gab, keine Flüchtlinge und keine Angst vor sozialem Abstieg. Warum wir unseren Kindern einbläuen, Angst vor Fremden zu haben und warum es so viele Wut- und Hass-Postings gibt. Sie spricht über Ausgrenzung und Vorurteile und Verunsicherung und meint, dass wir dazu verdammt sind, „einigermaßen miteinander auszukommen. Denn die Alternative lautet: Jeder gegen jeden, und die kennt enorm viele Verlierer.“
Sie lässt 21 in Österreich lebende Menschen zu Wort kommen, was ihnen „fremd sein“ bedeutet und wie man damit umgehen kann. Diese Portraits sind z.B. von einer Syrerin, einem Bosnier oder von einer Tänzerin, die 1936 in Wien geboren, mit ihrer Familie wie ein Wunder das KZ Theresienstadt überlebte. Keine Antworten bekam sie vom rechts angesiedelten Andreas Mölzer oder dem FPÖ-Spitzenpolitiker Norbert Hofer. Umso treffender formulierte Johannes Voggenhuber (Bundessprecher/Fraktionschef der Grünen, Europaabgeordneter bis 2009) seine Sehnsucht nach dem Unbekanntem, dem Fremden. Er habe von den Fremden zu denken und zu fühlen gelernt. Das Fremde könne natürlich auch bedrohen. Es verlange nämlich von einem, neue Möglichkeiten zu entdecken. In Marokko z.B. überforderte ihn die sinnliche Erfahrung des Fremden enorm. Das Kennenlernen ist ja kein undramatischer Akt, das passiert ja nicht nur zwischen zwei Menschen – Liebe hat auch immer eine bedrohliche Seite -, das passiert auch mit Dingen. Es stehe immer die eigene Identität auf dem Spiel … auch eine Diktatur sei etwas Fremdes.. usw.

Fazit: unbedingt empfehlenswert!

Livia Klingl: Lauter Fremde! Rez.: Eva Riebler-Übleis