Bühne

aufgleisen!: Bürgerproduktion 1.0. Rez.: Ernst Punz

Ernst Punz
„Zwischen Mariazell und St. Pölten …“

 

aufgleisen!
Bürgerproduktion 1.0

Landestheater NÖ, Theaterwerkstatt
28.03.2013, 19.30 Uhr
Premiere
Von und mit:
Simon E. Brader, Beate Getzinger, René Grabner,
Teresa Hassan, Julia Jobst, Alex Kaindl,
Daniela Megyesi, Hermann Rauschmayr, Sandra Royis,
Stephanie Schneider, Tanja Steinhauser
Regie: Renate Aichinger
Bühnenbild: Fritz Sochurek
Rollenstudium: Maria Zolda

„… fahrt a liabe kloane Eisenbahn.“
modifiziertes Traditional

Was ist der Unterschied zwischen der Steiermark und Niederösterreich?
Dort Arnold, hier Erwin.
Ja, sicher, aber es hat mit den Hauptstädten zu tun.
Dort Uhrturm, hier Klangturm.
Schon näher, aber es hat mit Theater zu tun.
Ach so: Dort Theater im Bahnhof, hier Bahnhof im Theater.
Pfeift.

Der rot-weiss-graue Morgen legt sich im Wartesaal des St. Pöltner Hauptbahnhofes auf die schlaftrunkenen jungen österreichischen Seelen: Die Leiden der jungen Wartenden. Eine junge Frau und ein junger Mann sitzen da und breiten auf den Sesseln neben sich ein Breakfast-to-go aus: Das Warten der leidenden Jungen. Sie kommen nicht so richtig ins Gespräch: Sie „Ja?“, er „Na!“ Die wartenden Jungen leiden. Sie stecken ihre Nasen in die Zeitung und erfahren, morgen ist heute gestern. Die jungen Leider warten. Leider warten die Jungen. Auf wen? Auf den Weltuntergang? Auf den Bankencrash? Auf den Erlöser? Auf den Wunderwuzzi? Auf Godot? Oder warten sie gar auf den McGuffin? Nein, sie warten auf den Zug! Denn der Zug, der kommt bestimmt. Wenn nicht heute, dann morgen. Sie wissen das, sie sind ja nicht von gestern. Zuvor kommen aber noch eine ganze Menge Leute in den Wartesaal: Die Schriftstellerin und die Leserin, der Journalist und der Zeitungsleser, die BWL-Studentin und die Businessfrau, der Kreuzworträtselkorrekteur und die Zwangsneurotikerin, die Enkeltochter und die Eierfrau. Nur er, er kommt noch nicht. Er lässt sie warten. Kein Wunder, irgendwie machen sie den Eindruck, als ob sie gewartet gehören.

Es entspinnt sich ein Wortgeflecht mit derart oberflächlicher Tiefe, dass einem schier die Ohren zufallen könnten: Die Enkeltochter sorgt sich um den Opa, den der liegt im Koma (reimen würd´ sich Oma). Die Schriftstellerin sucht Motive, die sie in ihrem Roman verarbeiten kann und die Leserin liest ein und dieselbe Liebesszene immer wieder um immer wieder mitfühlen zu können – noch nie war Shakespeare so wertvoll wie heute. Der Journalist sorgt sich um den Zeitungsbildbetrachter und will es ihm besorgen, das Bild. Und die Zwangsneurotikerin schildert ihren minutiösen Tagesplan vom Aufwachen bis zum … Moment! Über die Minuten zwischen Aufstehen und Zähneputzen wird der Zuschauer im Unklaren lassen. Was gibt es hier zu verbergen? Womöglich will man dem Publikum die imaginierte Geräusch- und Geruchsbelastung ersparen.

Und dann kommt er!
Wer, er?
Na, er.
Siddharta?
Nein.
Joshua?
Nein.
Justin?
Nein.
Der Zug?
Nein, ER! Die Lichtgestalt! Erich Hirsch, Weichensteller in Winterbach.
Erich aus Winterbach?!
Ja, Erich, nebstbei Birnenschleuderer.
Was, bitte, ist ein Birnenschleuderer?

Und spätestens hier fragt sich das Publikum, was ihm hier aufgetischt wird, oder besser aufgebühnt, oder noch besser: aufgegleist. Will man mit des Weichenstellers Nebenberuf vielleicht suggestiv an Franz Molnárs Hutschenschleuderer Liliom erinnern? Weiters fragt sich das Publikum, will man uns mit der Eierfrau mit ihrem roten Körbchen an das märchenhafte Rotkäppchen gemahnen. Und plötzlich ergibt eines das andere: Der Journalist mit seinen aggressiven Fragen ist niemand anderer als der gut getarnte böse (Papier-)Wolf. Die Schriftstellerin ist niemand anderer, wie die runderneuerte Miss Marple auf der Suche nach dem Selbstmordmörder. Und der immer wieder in Erscheinung tretende Sprechchor ist nichts anderes als der alte griechisch-antike Theaterchor, selbst seine stellenweise arpeggierten Kommentare können darüber nicht hinweg täuschen. Und Erich Hirsch, Weichensteller und Birnenschleuderer aus Winterbach, ist niemand anderer als der – man wagt es gar nicht zu denken – Rufer in der Wüste: „An alle: Hurchts zua!“

Nun steht es ganz klar vor dem Auge des Betrachters: Das Landestheater Niederösterreich will die literaturbewusste und bühnenbegeisterte Bürgerschaft auf nie geahnte theatralische Höhenflüge vorbereiten. Die Hochkultur hält Einzug ins Dirndltal und kriecht hinauf bis Winterbach, womöglich gar hinein bis Mariazell. Was dem kulturbewussten Wiener die Semmeringbahn, wird dem St. Pöltner die Mariazellerbahn. Was dem theaterverwöhnten Wiener Reichenau, wird dem St. Pöltner Laubenbachmühle. Was dem Wiener das Semmeringbahnhotel Panhans, werden dem St. Pöltner das Alpenhotel Gösing und das Hotel Winterbach. Und mit Schneeberg und Rax können Ötscher und Gemeindealpe allemal mithalten. Und wenn dann gar eine Schnellbahn von St. Pölten bis Bruck/Mur und somit weiter nach Graz führt, steht einer Begegnung von Theater im Bahnhof und Bahnhof im Theater nichts mehr im Gleis. Große Tage stehen bevor.

aufgleisen!, das fantastische Theaterprojekt im Landestheater Niederösterreich, hat mit seiner Bürgerproduktion 1.0 eines schon geschafft: Das Publikum zu minutenlangem Applaus zu bewegen und die Fantasie zum Fahren und zum Fliegen zu bringen. Menschen, die man sonst vielleicht nur aus dem Weichbild der Stadt in der Fußgängerzone kennt, stehen plötzlich auf der Bühne und wirken bei einer professionell betreuten selbst erarbeiteten Produktion mit. Damit wird eine möglicherweise bestehende Kluft zwischen Hochkultur und Amateurtheater überbrückt. Unter den Zuschauern waren jedenfalls Besucher, die schon sehr lange nicht mehr im Landestheater waren und durch private Kontakte zu Mitspielenden wieder Theaterluft geschnuppert haben. Somit ist dem Bürgertheater zu wünschen, dass es die Theaterwerkstatt nicht nur zweimal füllt, sondern öfter und vielleicht auch einmal im Haupthaus mitwirken kann. Und vielleicht ist die Fantasie mit der Literatur und dem Theater im Dirndltal gar nicht so weit hergeholt. Im Rahmen der Eröffnung der Niederösterreichischen Landesausstellung 2015 im neuen Betriebszentrum der Mariazellerbahn in Laubenbachmühle hätte „aufgleisen!“ ganz bestimmt ein begeistertes Publikum. Zug ab, Gleis auf!

aufgleisen!: Bürgerproduktion 1.0. Rez.: Ernst Punz

Mamma Medea: Tom Lanoye. Rez.: Eva Riebler

Eva Riebler
Liebe kann tödlich sein

 

Mamma Medea
Tom Lanoye
Österr. Erstaufführung
Aus dem Flämischen: Rainer Kersten
Landestheater NÖ, Großes Haus
20.03.13, 19.30 Uhr
Regie: Philipp Hauß
Mit dem Ensemble des Landestheaters
Dauer: 2 Std 30 Min inkl. Pause

Seit bald 2.500 Jahren beschäftigt der Medea-Stoff Literaten und Dramatiker von Euripides bis Christa Wolf. Dass die Frau eine Hexe ist, wissen wir. Dass sie dazu imstande ist, ihre Kinder eigenhändig zu töten, wissen wir auch. Neu ist, dass der Autor Lanoye einen Jason zeigt, der die dunklen Seiten Medeas erst evoziert. Als Testosterongesteuerter – was wäre die Welt ohne starke, fesche Helden - denkt er bloß pragmatisch und möchte die Königstochter Kreusa ihres Gastgebers Kreon heiraten. Somit hätte er auch die Erziehung als Prinzen seiner ehelichen Söhne gesichert. Muss bloß noch die Hexe, Ehefrau und Mutter Medea verschwinden und das fremde Land verlassen. Hat Medea kein Kraut ihre eheliche Liebe zu retten, so hat sie bestimmt eines, um die zukünftige junge Braut samt ihrem Vater Kreon ins Verderben zu stürzen. Aufregend zeigt dies die Handlung. Auch ist dem Belgier Lanoye ein besonderer Schluss gelungen. Seit Christa Wolf glaubt man, kein eindringlicheres Ende des Dramas als den Kindsmord durch die eigene Mutter zu kennen. Und nun ist dem Autor die Überraschung geglückt!

Ein hervorragender Text, der Hexameter mit moderner Alltagssprache, einer streitbaren Paarbeziehung entlehnt, gekonnt verbindet und die Spannung bis zum letzten Blutstropfen aufrecht erhält.
Außerordentlich präsentiert und gespielt vom gesamten Ensemble, vor allem natürlich von Moritz Vierboom als Jason und Franziska Hackl als Medea. Keine Überinterpretierung, kein Zuviel an schauspielerischer Demonstration! Eine geglückte Be- und Aufarbeitung historischer Mythen, des Verrates des Mannes an der Frau, des Verrates der Tochter an Vater und Bruder und der Unberechenbarkeit der bitteren Rache aus enttäuschter Liebe. Einfach eine geglückte, spannende Dramaturgie von M. Asboth und Bettina Hering, einer Regie unter Philipp Hauß und einer Sound- und Kostüme-Präsentation von Lane Schäfer mit modernem sparsamem, zweckbetontem Bühnenbild von Martin Schepers, kurz: eine Produktion und Aufführung, wie sie herausragender nicht sein könnte.

Mamma Medea: Tom Lanoye. Rez.: Eva Riebler

Stella entscheidet sich (endlich): Stephan Lack. Rez.: Ingrid Reichel

Ingrid Reichel
Der Apfel der Versuchung

 

Stella entscheidet sich (endlich)
Eine Fortschreibung nach Johann Wolfgang von Goethe
Stephan Lack
Landestheater NÖ, Theaterwerkstatt
Uraufführung, Premiere
09.03.2013, 19.30 Uhr
Regie: Barbara Nowotny
Dramaturgie: Bettina Hering / Barbara Nowotny
Aus dem Ensemble des Landestheaters NÖ:
Swintha Gersthofer, Marion Reiser, Tobias Voigt, Othmar Schratt
und Olivia Goga
Dauer: 1 Std 30 Min, keine Pause

1775 schrieb Johann Wolfgang von Goethe „Stella. Ein Schauspiel für Liebende in fünf Akten“. Offizier Fernando ist einerseits mit Cäcilie verheiratet und hat mit ihr eine gemeinsame Tochter Lucie, andererseits hat er ein neues Leben mit der jungen Baronesse Stella begonnen. Als er vom Kriegsschauplatz heimkehrt, „Er half die sterbende Freiheit der edeln Korsen unterdrücken“, trifft er beinahe gleichzeitig auf die zwei Frauen in seinem Leben und ist in seiner Gefühlswelt hin- und hergerissen.

Das Stück wurde 1776 in Hamburg uraufgeführt und verboten. Zu anrüchig war Goethes Ausführung einer polygamen Lebensweise, einer Ménage-à-trois. Die sittenstrengen Bürger lehnten Goethes Vision ab. Schließlich kam es zu einer zweiten Version, die 1806 in Weimar uraufgeführt wurde. Aus einem Schauspiel für Liebende wurde schließlich ein fatales Trauerspiel, angepasst an den Geschmack der damaligen Zeit und deren Moralvorstellungen, die meist einen tödlichem Ausgang forderten. Die Frage drängte sich also förmlich auf, wie würde heute so eine Konstellation gelebt werden und ankommen?

Das Landestheater NÖ gab nun ein Fortschreiben des Stückes in Auftrag, das der 1981 in Wien geborene und mehrfach ausgezeichnete Autor Stephan Lack ohne große Ehrfurcht vor dem großen Meister des Sturm und Drangs ausführte. Dem St. Pöltner Publikum ist Stephan Lack bereits bekannt, da er den ersten DramatikerInnenpreis des Landes NÖ 2006 mit seinem Erstlingswerk „verschüttet“ gewann und das Stück im Landestheater NÖ seine Uraufführung hatte.

Die junge Wiener Theater-, Film- und Medienwissenschafterin Barbara Nowotny führte Regie. Sie war von 2002 bis 2009 Regieassistentin am Wiener Burgtheater, assistierte Größen wie Luc Bondy, Christoph Schlingensief u.v.a.m. und ist seit der Spielzeit 2010/11 am Landestheater NÖ beschäftigt, zuletzt inszenierte sie „Die Affäre Rue Lourcine“ von Eugène Labiche.

Stephan Lack und Barbara Nowotny wandelten Goethes Figuren in zeitgerechte Rollen um. So wurde aus dem Offizier Fernando, der Auslandskorrespondent Ferdinand, der durch Ungeschicklichkeit sich selbst eine Kugel in die Schulter schoss und nach zwei Jahren absoluter Sendepause zu seiner Familie und seiner Geliebten aus einem Krisengebiet heimkommt. Überzeugend konnte Tobias Voigt den egoistischen Liebeszerrissenen und ungeduldigen Vater auf die Bühne bringen. Männlich und in seiner Gefühlswelt verloren versucht er sich gegenüber Stella und Cäcilie zu behaupten, die nach 238 Jahren mittlerweile finanziell unabhängige Frauen geworden sind. Aus der jungen verführten Baronesse Stella wurde eine finanziell unabhängige Geliebte, die als erste Geigerin in einem Konzert spielt und als Geigenlehrerin ihren Lebensunterhalt verdient. Ihr Haus ist groß genug, um das Experiment der Patchworkfamilie unter ihrem Dach zu starten. Die zierliche Swintha Gersthofer mimte gekonnt Ferdinands Engel des Zusammenhaltes, letztlich wird es an ihrem Wohlwollen liegen, ob die Konstellation lebbar wird oder zerbricht. Wie schon bei Goethe ist es Cäcilie, die die Geliebte unter fadenscheinigen Vorwand aufsucht. Noch bevor Ferdinand nach seiner langen Abwesenheit in Erscheinung tritt, lässt sie ihre Tochter Lucie von Stella Geigenunterricht erteilen. Marion Reiser vermochte die wütende, verlassene und betrogene Ehefrau glaubwürdig darzustellen. Die Rolle der Postmeisterin wurde durch Carl, einen Kollegen und Freund, von Ferdinand ersetzt. Othmar Schratt bekam hier eine undankbare Nebenrolle, die sich jedoch am Ende des Stückes in dieser Ménage-à-trois als sensationelle Schlüsselfigur entpuppt. Highlight ist jedoch, nicht zuletzt wegen ihres jungen Alters, die kleine Olivia Goga, die Lucie spielt, das Kind, das zwischen den Fronten der erwachsenen Gefühlsverwirrungen steht.

Für heutige Zeiten wäre die geschilderte prekäre Situation des Mannes zwischen zwei Frauen, oder auch einer Frau zwischen zwei Männern, keine Seltenheit mehr. Dass sie jedoch selten mit einem glücklichen Ausgang gesegnet ist, zeigt die Geschichte berühmter Paare. Geschickt und sehr authentisch baut Stephan Lack die verschiedenen Beziehungen zwischen den Protagonisten auf. Wie schon bei Yasmin Reza in „Der Gott des Gemetzels“ spielt auch Lack alle möglichen Varianten durch: das des Ehepaars, das der Geliebten, die Beziehung zwischen den Frauen und das des Kindes zur Mutter, zur Geliebten und zum Vater. Auch wenn Nowotny das Stück stark kürzen musste, werden in dieser Inszenierung alle Personen in ihrer Beziehung zueinander im Positiven wie auch im Negativen durchgespielt. Dass Stella sich schließlich ein Kind von Ferdinand wünscht, sorgt naturgemäß für zusätzliche Komplikationen. Lack findet jedoch eine hervorragende Lösung, das zum Scheitern prognostizierte Experiment menschlich und moralisch mit einer guten Portion Humor zu beenden.

„Wir können nichts dafür, dass wir so sind“ war wohl für Lack einer der inspirierenden Sätze aus Goethes Stella. Das Irrationale, die Unvernunft, die oft unser aller Leben bestimmt, bringt uns in Situationen oder Lösungen, die von Außenstehenden schlichtweg als absurd empfunden würden. Als Beispiel soll Ferdinands Berufswechsel zum Kolumnisten für Beziehungsberatung angeführt werden.

So ist Lacks Version von Stella weder Farce noch Drama. Sie vermag ohne moralische und gesellschaftliche Verurteilungen auszukommen und setzt die Figuren niemals der Lächerlichkeit aus. Es liegt wohl am Publikum wie es die Lage sieht und einschätzt, ob es lacht, oder nicht. Nicht unerheblich ist das im Titel in Klammern gesetzte „endlich“, zeigt es doch eine alte Geschichte aus einem modernen Blickwinkel. Denn Stella trifft tatsächlich eine Entscheidung, und diese ist diesmal nicht tödlich!

Die Regisseurin hat auf jeden Fall vorgesorgt, dass das Publikum jeden Aspekt einschätzen kann, schließlich müssen die Darsteller an zwei Fronten spielen, sind praktisch aus jeder Perspektive beobachtbar und somit einer besonderen schauspielerischen Herausforderung ausgesetzt. Das minimalistische Bühnenbild fordert die Phantasie der Zuschauer heraus. Tückisch der Apfel als Bühnenrequisite auf dem Küchen- bzw. Esstisch. Als Symbol der Versuchung und der Weiblichkeit trägt er nicht unwesentlich zur tiefenpsychologischen Spannung bei.

Ein ausgezeichnetes Stück mit einer souveränen Inszenierung und grandiosen Schauspielern. Großer Applaus!
Für Schüler sehr empfehlenswert, nicht zuletzt, weil Lack gekonnt, beinahe unbemerkt, einige Goethe-Zitate in sein Stück einzuflechten vermochte!

Stella entscheidet sich (endlich): Stephan Lack. Rez.: Ingrid Reichel

Sherlock Holmes und das Geheimnis des Illusionisten: Thomas Fröhlich. Rez.: Ingrid Reichel

Ingrid Reichel
Wo viel Rauch, auch viel Imagination!

   
Foto © www.perpetuum.at  
   

Sherlock Holmes und das Geheimnis des Illusionisten
Thomas Fröhlich
Ein Kriminalstück in drei Akten
Theater Perpetuum, St. Pölten
Uraufführung
02.03.2013, 20 Uhr
Regie: Richard Schmetterer
Mit: Georg Wandl, Fritz Humer …
Dauer: 90 Min, 1 Pause

Sherlock Holmes und das Geheimnis des Illusionisten
Thomas Fröhlich
Wien: evolver-books, 2013
122 S.
ISBN 978-3-9502558-6-7

Der Autor Thomas Fröhlich schrieb bereits in der Literaturzeitschrift etcetera Nr. 49 einen Essay, bzw. ein Sherlock Holmes-Special zum 125. Jubiläumsjahr „Grüße aus der Baker Street 221“. Nun veröffentlichte er in dem kleinen, unabhängigen und noch jungen Wiener Verlag evolver-books, der sich vor allem auf Pulp und Trash spezialisiert hat, ein Theaterstück nach einer Erzählung von Andreas Gruber: „Glauben Sie mir, mein Name ist Dr. Watson!“, welche in einer Anthologie von Sherlock-Holmes-Geschichten „Das Geheimnis des Geigers“ bereits 2006 im Blitz Verlag erschienen ist.

Die St. Pöltner Laiendarstellergruppe Perpetuum zögerte nicht lange und brachte den Dreiakter kurzerhand als Uraufführung auf ihre Bühne des ehemaligen St. Pöltner Forumkinos in der Kranzbichlerstraße 18.

Besonders hervorzuheben ist, dass das Perpetuum mit einem Low-Budget ein seriöses und hautnahes Theatererlebnis auch mit diesem Stück ermöglichte. In den Hauptrollen waren Fritz Humer als Sherlock Holmes und Georg Wandl als Dr. Watson zu sehen und gaben somit ein recht amüsantes Gespann zum Besten. Fritz Humer vermochte gekonnt den geistig abgedrifteten Holmes in seiner gewohnt arroganten und überheblichen Art zu mimen, während Georg Wandl einen lebensnahen quirligen Watson abgab.

Holmes, der sich bis zum Umfallen langweilt, wird durch den Besuch seines langjährigen Freundes Dr. Watson aus seiner Agonie gerissen, der ihn auf einen in London gastierenden Illusionisten namens Nyarlathotep, mit magischer Dramatik von Alexander Kuchar in Szene gesetzt, aufmerksam macht. Drei Menschen aus dem Publikum verschwinden spurlos während der Vorstellung im Miskatonic Theatre - in unserem Fall wohl aus dem Perpetuum Theater! - und schon hat das Duo wieder etwas zu tun. Dass dabei berühmte Literaten wie Charles Dickens, Jack London, Bram Stoker und H.P. Lovecraft sowie letztendlich Arthur Conan Doyle selbst eine Rolle spielen, die als ihre Romanfiguren sich in das Leben, bzw. ins Theaterstück als Protagonisten wie Mina Harker, gespielt von Daniele Wandl, Humphrey van Weyden (Alexander Donhofer) und Edwin Drood (Hasan Ocak) in Erscheinung treten, bleibt für immer ein Mysterium.

Thomas Fröhlich ist hier ein Sherlock gelungen, der mit literarischem Gespür dem Geheimnis der Fiktion und Phantasie nachgeht. Dem Regisseur Richard Schmetterer ist es geglückt mit viel Dampfschwaden die geistige Vernebelung unserer Illusionen und die Atmosphäre eines feuchten Londons nachzuempfinden. Mit dieser Aufführung des Theaters Perpetuum ist somit ein spannender, aber vor allem unterhaltsamer Abend garantiert.

Sherlock Holmes und das Geheimnis des Illusionisten: Thomas Fröhlich. Rez.: Ingrid Reichel

Tape: Stephen Belber. Rez.: Ingrid Reichel

Ingrid Reichel
Tape without tape

 

Tape
Stephen Belber
Dt. Übersetzung: Mojca Megusar/Ulrich Gehmacher
Landestheater NÖ, Großes Haus
31.01.01, 19.30 Uhr
Regie: Stefan Pucher
Mit: Felix Goeser, Bernd Moss, Nina Hoss
Dramaturgie: Claus Caesar
Musik: Christopher Uhe
Live-Video: Stephan Komitsch
Gastspiel: Deutsches Theater Berlin
Österreich-Premiere
Dauer: 1 Std. 15 Min. (Keine Pause)

An zwei aneinander folgenden Abenden gastierte das Deutsche Theater Berlin mit seiner Inszenierung des amerikanischen Stücks „Tape“ des 1967 in Washington D.C. geborenen Dramatikers, Drehbuchautors und Filmregisseurs Stephen Belber. Für sein 1999 geschriebenes Drei-Personen-Stück „Tape“ verfasste er auch das Drehbuch des 2001 realisierten und gleichnamigen Films von Richard Linklater mit Ethan Hawke, Robert Sean Leonard und Uma Thurman.

Zehn Jahre nach der High School treffen sich die beiden Freunde Vince und Jon in einem Zimmer eines billigen Motels wieder. Jon ist mittlerweile ein erfolgreicher Low-Budget-Filmemacher und präsentiert seinen neuesten Film bei den örtlichen Filmfestspielen. Vince ist auf der Sozialleiter nicht gerade emporgestiegen, er säuft, kokst und bestreitet seinen Lebensunterhalt mit diversen Drogendeals. Sein letzter moralischer Beitrag an die Menschheit ist, dass er als freiwilliger Feuerwehrmann dient. Vince, der wegen seines arschlochmäßigen und zur Gewalt tendierenden Benehmens sowie seines dekadenten Lebensstils von seiner langjährigen Freundin Lea verlassen wurde, muss sich von Jon die Leviten lesen lassen. Die alte männliche Rivalität zwischen den beiden entflammt erneut. Vor allem weil Vince seine erste Beziehung mit Amy an der High School noch immer nicht überwunden hat. Denn Jon bekam von Amy am Abschlussball das, was Vince schon lange gerne gehabt hätte: eine Liebesnacht mit Amy. Der Schmerz der Verschmähung sitzt tief. Doch während der vergangenen Jahre erfuhr Vince von Amy, dass die vermeintliche Liebesnacht in ein „date-rape“ ausgeartet ist. Vince setzt nun Jon unter Druck und fordert von ihm ein Geständnis dieser Vergewaltigung, das er heimtückisch auf einem Magnetophonband aufzeichnet. Nebenbei hat Vince mit Amy, die in der Gegend wohnt und in der Staatsanwaltskanzlei tätig ist, telefonisch ein Treffen im Motel vereinbart. Als Amy erscheint und im Laufe der unangenehmen Unterhaltung mit den beiden Freunden plötzlich leugnet, einst von Jon vergewaltigt worden zu sein, entwickelt sich die zunächst klischeehafte und typisch amerikanisch anmutende Alltagsstory vergangener Highschool-Tage zu einem rasanten gefinkelten Nervenkitzel. Ein großartiges Stück, dass leider trotz Starbesetzung an der zu deutschen Inszenierung leidet. Die vielfach ausgezeichnete Schauspielerin Nina Hoss konnte trotz guter Gesichtsmimik die vielseitigen Facetten der Amy, die sich als wahrer Racheengel entpuppt, nicht wirklich gerecht werden. Zu steif war ihr Auftreten, zu deutsch ihre Sprache. Bernd Moss, der die Rolle des Jon verkörpert, erscheint zu geschniegelt und auch zu alt, um glaubwürdig den einst aus der Rolle geratenen Verführer zu mimen. Bleibt einzig Felix Goeser als Vince der den ins gesellschaftliche Abseits geratenen und dennoch um Gerechtigkeit und moralische Instanz ringenden Amerikaner überzeugend darstellen konnte. Besonderes schauspielerisches Talent bewies Goeser, als nach dem Handgemenge mit Jon um das Magnetophonband, das Tape tatsächlich bei der Aufführung am 31.01.13 auf der Bühne verloren ging. Dafür gebührt ihm ein Extraapplaus.

Tape: Stephen Belber. Rez.: Ingrid Reichel