Gottfried Helnwein: Retrospektive. Rez.: Ingrid Reichel

Ingrid Reichel
Lebendiges Mahnmal

 
   
 
Gottfried Helnwein:
Selbstporträt (BLACKOUT), 1982.
Aquarell auf Karton
Sammlung Christian Baha,
Zürich © VBK, Wien, 2013

 
 

Gottfried Helnwein
Retrospektive

Albertina, Wien, Kahn Galleries
Pressekonferenz: 24.05.13, 10 Uhr
25.05.-13.10.2013
Kuratorin: Elsy Lahner

Katalog zur Ausstellung:
Zweisprachig Englisch/Deutsch
Gottfried Helnwein
Hg. Klaus Albrecht Schröder/ Elsy Lahner/Albertina

Ostfildern: Hatje Cantz, 2013. 240 S.
ISBN 978-3-7757-3584-1
Albertina Shop: € 25.-

Gottfried Helnwein zählt in unserer so sonnig strahlenden kapitalistisch orientierten Gesellschaft wohl zu den unangenehmsten zeitgenössischen bildenden Künstlern. Seine Bilder befassen sich inhaltlich mit Schmerz, Verletzungen und Gewalt. Dies zeigt er einerseits anhand von Selbstportraits in seinen Frühwerken (Kat. S. 98-99; S. 110-119) - in denen er sich zum Teil selbst als Untermensch betitelt - und andererseits durch Kindsbilder - ausschließlich in Form von Mädchen im Volksschulalter-, die das unschuldige Opfer darstellen. In nuancenreichem Weiß manifestieren sich die bandagierten und durch gefährlich anmutende chirurgische Instrumente in die Mangel genommenen zum Teil verstümmelten Körper und Köpfe aus dem chiaroscuro, werden diese aus einem obskuren Dunkel von dem blutenden Rot aus ihrem Innersten zum Leben erweckt. Die hohe Kunst des Gottfried Helnwein ist nicht seine zur Perfektion ausgeführte hyperrealistische Malerei. Vielmehr liegt sie darin, dass trotz des Realismus, der hundertprozentigen Wiedergabe der Abgebildeten absolut nichts Individuelles übrigbleibt. Wesensmerkmale, Charakterzüge, die ganze Persönlichkeit wird vom Sog der Gewalt nahezu zersetzt bis nur mehr der Schmerz übrigbleibt. Dies ist insofern von entscheidender Bedeutung, weil diese Fähigkeit der Schlüssel dafür ist, dass Helnweins Kunst niemals zum Kitsch abdriftet.

Spätestens mit dem Aquarell „Blackout“ (Kat. S. 69), welches 1982 am Cover des Zeit-Magazins und als Cover der LP „Blackout“ der deutschen Hardrock bzw. Heavy Metal Band Scorpions erschien, schaffte Helnwein seinen internationalen Durchbruch. Auch wenn Helnweins Selbstdarstellungen aus den 80er Jahren einen schreienden gepeinigten Kopf sichtbar machen (siehe Selbstporträt/Blackout), der dem Betrachter innerlich den Urschrei hören lässt, ganz im Gegensatz zu den Mädchendarstellungen, die mit körperlicher Passivität das Unheil über sich ergehen lassen (müssen), verströmen Helnweins Werke eine absolute Stille aus, als ob der Moment der Agonie in Vakuum verpackt sei. Der Direktor der Albertina bezeichnete während der Pressekonferenz zur Eröffnung der Ausstellung Helnweins Œuvre sogar als „grausame Romantik“.

Helnwein wurde 1948 in kleinbürgerlichen Verhältnissen in Wien geboren und gilt somit als klassisches österreichisches Nachkriegskind. Die Altnazis sind aus dem Krieg heimgekehrt, besetzten angesehene Positionen, Österreich versuchte sich in der Opferrolle des Dritten Reichs zu präsentieren und kehrte seine schwere Schuld einfach unter den Teppich des Verdrängens. In der Kunst sah Helnwein die einzige Möglichkeit, die von ihm erlebte Situation des Nationalsozialismus nach dem Krieg in Österreich darzustellen. Zu Beginn seiner künstlerischen Laufbahn sind seine Werke wohl als Aufschrei gegen das Schweigen gegenüber der inländischen Naziverbrechen zu bewerten. Auch wenn Helnwein Hand in Hand mit dem Wiener Aktionismus (Brus, Nitsch etc…) agierte, so steht er außerhalb dieser für Österreich wichtigen Gruppierung, da er nicht nur als Aufrührer gegen das aus einem alten neuerwachsenen Establishment auftrat, sondern ihm eine (verhängnisvolle) moralische Rolle zuteil wurde. Obwohl Helnwein mit seiner Malerei rapide für großes Aufsehen sorgte und sich dementsprechend am Kunstmarkt etablieren konnte, wurde ihm die Professur als Nachfolger Rudolf Hausners verwehrt. So zog Helnwein 1985 nach Deutschland, restaurierte Schloss Burgbrohl nahe Köln und machte es zu seinem Wohnheim und Atelier für die nächsten 12 Jahre bis ihm die mediale Hetze in Zusammenhang zu der amerikanischen religiösen Bewegung Scientology einholte. Seit 1997 steht die Church of Scientology mit ihren umstrittenen Methoden in mehreren deutschen Bundesländern aufgrund eines innenministerlichen Beschlusses durch den Verfassungsschutz unter Beobachtung. Im selben Jahr verließ Helnwein Deutschland, kaufte ein Schloss in der Grafschaft Tipperary in Irland und nahm 2004 die irische Staatsbürgerschaft an. Seit 2002 arbeitet er wechselweise in Los Angeles und Irland.
Los Angeles sei für ihn ein Logenplatz, der ihm den Blick auf den letzten Stand der westlichen Zivilisation biete, einer Zivilisation, die sich selbst zugrunde richte, beteuerte er in der Pressekonferenz zur Eröffnung der Retrospektive.

Die Albertina widmet Gottfried Helnwein anlässlich seines 65. Geburtstags mit 150 Werken die erste große Retrospektive im europäischen Raum. Zu sehen sind von seinen frühen Aquarellen unter anderem jenes offiziell älteste Aquarell mit dem Titel „Osterwetter“ aus dem Jahr 1969 mit dem ihm nach seinem Abschluss der Höheren Graphischen Bundes-Lehr- und Versuchsanstalt seine Aufnahme in die Akademie der Bildenden Künste in die Meisterklasse Rudolf Hausner (1914-1995) gelang. Weiters bietet die Albertina Fotografien, zum einen solche, die seinen Aktionismus der frühen 70er beweisen und die als Vorarbeit seiner hyperrealistischen Malerei gelten. Die späteren großformatigen Silbergelatine-Abzüge sind einerseits als eigenständige Kunstwerke zu betrachten, andererseits ebenfalls Vorlage für seine Acryl-Öl-Werke der letzten Jahrzehnte, das jüngste datiert 2013. Die Schau ist durchwegs chronologisch aufgebaut, vereinzelt jedoch wegen der Themenbereiche zeitlich durchbrochen. Auch wurden die fotografischen Werke bewusst nicht von den gemalten Werken getrennt. Eine Herausforderung waren die großformatigen Leinwände, denn mit der Übersiedlung nach Deutschland 1997 wechselte Helnweins Maltechnik vom Aquarell auf großformatige Acryl-Öl-Gemälde, seine Fotografien von S-W auf Farbe. Dementsprechend mussten die überlebensgroßen Leinwände zum Transport ab- und Vorort in der Albertina frisch aufgespannt werden. Die schwierige Aufgabe, Leihgeber der Werke zu dieser erstklassigen und stimmigen Retrospektive aufzutreiben, zeichnete noch zusätzlich die anspruchsvolle Arbeit der Kuratorin Elsy Lahner aus. So gelang es ihr wahre Raritäten, nämlich kubinesk anmutende Tusche- wie Buntstiftzeichnungen der 70er und 80er Jahre, von Privatsammlern für die Retrospektive zu erhalten (Kat. S.74-77). Exemplare aus diversen Serien wie Righteous Man (Acryl-Ölwerke, 1991-1999.Kat. S. 123-127); diverse S-W-Foto-Portraits von Berühmtheiten wie Leni Riefenstahl und Andi Warhol (Kat. S. 214-225); die komplette Serie 48 Portraits in Rottönen aus den Jahren 1991/92, Helnweins Antwort auf Gerhard Richters 48 Portraits 1971/72 in Blautönen (Kat. S. 14); eine Serie von 24 Fotografien betitelt Poems (1996/97, Kat. 140-145), welche ähnlich verschwommene Polizeifotos, Kopfansichten von Opfern eines Gewaltverbrechens darstellen. Helnweins Landschaftsbilder bleiben mit Ausnahme von „Untitled. After Caspar David Friedrich“ (1998, Kat. S 133) in dieser Retrospektive unberücksichtigt.

 
Gottfried Helnwein:
Epiphanie III (Darstellung im Tempel), 1998
Öl/Acryl auf Leinwand
Collection Barry Friedman,
New York © VBK, Wien, 2013
 
 
Gottfried Helnwein:
The Disasters of War 7, 2007
Öl/Acryl auf Leinwand
Sammlung Christian Baha © VBK, Wien, 2013

 
 

Zentrales Thema der Ausstellung bleibt das Kind. Helnwein arbeitet zeitgleich an mehreren Serien, dessen Ende er wohl selbst nicht kennt. Inhalt ist jedoch immer die Unschuld in Form des Kindes, welches zum Zwecke von Machtmissbrauch gedemütigt, verletzt und benutzt wird. Dabei lässt Helnwein sowohl die politische Dominanz als auch die sexuelle Disposition einfließen.

Als Ausnahme gilt die Serie Angel Sleeping (1999, Kat. 146-149), eine Serie, die sich mit von Geburt an missgebildeten Babys bzw. Babyköpfen befasst. Ihr Torso bewegt sich schwebend, ihr Bildnis erinnert an die Flüssigpräparate, in Alkohol oder Formalin konservierten „Objekte“, in Gläsern sichtbar zu Lehrzwecken und zur Veranschaulichung abgefüllt, wie man sie in Naturhistorischen Museen auch heute noch zu sehen bekommt. Eine Serie, die dem Betrachter ermöglicht, die Ästhetik und Schönheit der Missbildung, der Deformation zu erkennen. Der Totgeburt, dem totgeweihten Leben, dem von sich aus nicht lebensfähigem Wesen den Schrecken nehmen kann, wenn es denn der Betrachter auch zulässt.

Auch die Serie Sleep (2008, Kat. S 164-169) zeigt zunächst keine Gewalt am Kinde. Vielmehr heben sich, die im dunkelsten Blau gehaltenen schlafenden Mädchen kaum ab, mit Mühe kann man sie erkennen, sehen. Es ist als ob Helnwein uns verführt, ihnen in ihren traumlosen Schlaf zu folgen, uns ermutigt in ihr Unterbewusstsein zu gelangen. Die Neugierde bringt uns näher, wir erkennen unseren Voyeurismus, unsere Bereitschaft weiterzugehen in diese dunkle undefinierbare Materie der Unschuld einzudringen.

Helnweins subtiles tiefenpsychologisches Spiel um Gewalt und Schmerz drängt mit den Serien wie Disaster of War, Epiphanie (1998-2013) und The Murmur of Innocents an die Oberfläche unseres Bewusstseins. Wie ein roter Leitfaden erscheinen immer wieder Comicfiguren in den großformatigen Gemälden. Mit Vorliebe Donald Duck, der für Helnwein als Kind wie eine farbenfrohe Rettung vor der düsteren Nachkriegszeit wirkte.

In den neuesten Werken jedoch benützt Helnwein typische Manga-Figuren, um unter anderem auf die Brutalität der PC-Spiele, dem Töten per Joystick als täglichen Zeitvertreib unserer Jugendlichen hinzuweisen. Donald Duck erscheint nun auch als bedrohliche Figur wie in „In the Heat of the Night“ (2002, Kat. S. 152) und „Dark Hour (2003, Kat. S. 154) oder die sonst so liebenswerte Mickey Mouse bekommt eine böse Fratze wie in „Pink Mouse“ (2011, Kat. S. 185).

Seit 2005 tragen nun seine jungen Protagonistinnen abwechselnd zu den unschuldigen weißen Kleidchen Uniformen in weiß oder schwarz und halten Waffen in ihren Händen, dies als Hinweis auf die Kinderarmeen im Nahen Osten und den Amokläufen in Amerikas Schulen wie es in „The Desaster of War 7“ (2007) und „Modern Sleep I“ (2005, Kat. S.196) veranschaulicht wird. Mit seinen Werken will Helnwein, wie er selbst immer wieder bekundet, weder Schockieren noch Provozieren. Mit seinen überlebensgroßen Formaten transportiert er das ästhetische Prinzip des Plakats in die Kunst hinein, und möchte damit im Gegensatz zum Spektakulären eines Plakats, im Stillstand eines Moment des Grauens ein größtmögliches Publikum erreichen und bewegen. Zwischen der Zurschaustellung des Schreckens und der Schönheit des inneren Schmerzes drückt Helnwein den Finger auf klaffende Wunden, will den Betrachter aufrütteln.

Laut Helnwein sei die Stilrichtung für eine Aussage in der Kunst völlig irrelevant, vielmehr ginge es um die Wirkung, die die Werke ausströmten. Helnwein wird jedoch seine Werke im Bann des Dritten Reichs obsessiv hyperrealistisch weiterbetreiben. Es stünde ihm fern, antwortete er auf eine Pressefrage, mit Medien zu konkurrieren, deren Aufgabe es schließlich sei, die Gräuel der Gegenwart aufzuzeigen.

Zur Ausstellung erschien im Hatje Cantz Verlag ein ausgezeichneter zweisprachiger (Englisch/Deutsch) Katalog mit einem Beitrag der Kuratorin Elsy Lahner über die Sichtbarmachung des Schreckens in Helweins Œuvre, und über die Ästhetik der Angst von Albertina Direktor Klaus Albrecht Schröder. Siegfried Mattl, wissenschaftlicher Leiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Geschichte und Gesellschaft schrieb für den Katalog einen aufschlussreichen Essay über die Revolte der Bilder. Ein von Howard N. Fox, dem ehemaligen Kustos für zeitgenössische Kunst am L.A. County Museum of Art, geführtes E-Mail-Interview mit dem Künstler Gottfried Helnwein rundet den Katalog ab.

Fazit: Ausstellung und Katalog geben ein intensives Bild des vielleicht politischsten Künstlers unserer Zeit wieder. Faschistoide Gedankenwelten verschwinden nicht von heute auf morgen, eher pflanzen sie sich seelenruhig quer durch unsere Gesellschaftsstrukturen fort. Es liegt wohl an Künstlern wie Helnwein, unermüdlich und obsessiv dieses Thema immer wieder aufzuwühlen, damit es nicht in Vergessenheit gerät, um uns Betrachtern, trotz vieler gesellschaftlicher Unbequemlichkeiten und negativer Kritiken, ein lebendiges Mahnmal zu bleiben.

LitGes, Mai 2013

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