ÜberLeben: Xenia Hausner. Rez.: Ingrid Reichel

Ingrid Reichel
Das Rätsel um die Rekonstruktion

 
     

ÜberLeben
Xenia Hausner

Essl Museum, Klosterneuburg, Großer Saal und Rotunde
Pressekonferenz:10.2012, 10 Uhr
Ausstellungsdauer: 24.10.2012-20.01.2013
Kurator: Günther Oberhollenzer

Überleben: Xenia Hausner
Hg. Essl Museum

Wien: Brandstätter Verlag, 2012. 120 S.
Zweisprachig Deutsch/Englisch
ISBN: 978-3-85033-715-1
Preis: € 29,90.-; Museumsshop: € 25.-

Xenia Hausner wurde 1951 in Wien geboren. Sie studierte Bühnenbild an der Akademie der Bildenden Künste in Wien sowie an der Royal Academy of Dramatic Art und sie ist die Tochter des Malers Rudolf Hausner. Eine Information, die man verschweigen könnte, denn Xenia Hausner hat so gar nichts mit dem Wiener Phantastischen Realismus zu tun, den ihr Vater vertrat, dennoch zeigt die Verwandtschaft, ihre genetisch verankerte Disposition zum malerischen Können, vor allem, wenn man auf diese Sorgfalt - von der Kunstkritiker Rainer Metzger in seinem Essay "Vom Werk zum Œuvre" behauptet, sie sei unerhört - mit der sie ihre Bilder vollendet, verweist. Xenia Hausner kann man jedoch nicht als reine Malerin betiteln. Auch wenn es ihr schlussendlich immer nur um Malerei geht, ist sie doch eine Multimediakünstlerin. Sie vereint Pinsel, Fotoapparat und all ihr Wissen über das Bühnenbild zu einem Gesamtkunstwerk. In einem Interview kurz vor der Ausstellung (ausgestrahlt im ORF 2 in der Sendung Kulturmontag am 22.10.12) berichtete sie, dass sie von einigen Kunsthistorikern belächelt wird. Warum genau kam bei dem Interviewausschnitt nicht heraus, Hausner erwähnte lediglich, dass ihre Ansichten als naiv abgetan würden. Auch Kurator Günther Oberhollenzer sprach wie auch die drei Autoren im Katalog davon, dass Hausners Œuvre nicht als zeitgemäß eingestuft wird. Den Trends des Kunstmarkts zum Trotz, gilt Hausner als eine der erfolgreichsten österreichischen Künstlerinnen. Zu sehen sind 14 großformatige Mixed Media, Acryl- und Ölgemälde von 2001 bis 2012, vorwiegend jedoch der letzten drei Jahre.

 
Xenia Hausner: Pensée Sauvage, 2011
Öl auf Dibond, 140 x 213 cm
Courtesy Xenia Hausner
© VBK, Wien, 2012
Fotonachweis: Archiv der Künstlerin
 

In ihrem Atelier arrangiert sie Situationen als Momentaufnahmen, ihre Modelle sind vorwiegend Frauen, die hierfür als Darstellerinnen fungieren. Oft verwendet sie für ihre Inszenierungen Fotos, die sie auf ihren vielen Auslandsreisen gemacht hat. Schließlich hält sie die fertige Komposition fotografisch fest. Die Personen stehen weiter Modell und werden auf das Tafelbild gemalt. Hausner selbst nennt ihre Werke Rekonstruktionen. Herkömmlich arbeitet Hausner mit Acryl auf Hartfaserplatten, die sie dann multimedial, wie z.B. mit Karton anstückelt oder kaschiert. Seit 2007 scheint sie die Öltechnik auf Dibond zu bevorzugen. Dibond ist eine leichte Aluminiumverbundplatte, die für hochwertige und langlebige Fotoprints verwendet wird. So befindet sich unterhalb der Ölmalerei bereits gedruckt die fotografische Vorlage, welche Hausner in ihren gewohnten kräftigen farbigen Pinselstrichen teilweise völlig übermalt, gar verändert oder völlig transparent durchschimmern lässt.

 
Xenia Hausner: ÜberLeben, 2012
Installationsansicht, Rotunde Essl Museum
© VBK, Wien, 2012
Fotonachweis: Günther Oberhollenzer
 

Repräsentativ für den Titel der Ausstellung steht die Installation in der Rotunde im Museum Essl: ÜberLeben. Ein Wortspiel wie schon in vergangenen Ausstellungen. Einerseits geht es um das Leben an sich, andererseits um das Überleben. Hausner weist mit dieser Installation auf unsere doch sehr in Sicherheit lebende Gesellschaft hin, die den Gefahren ausweicht bzw. die existentiellen Nöte verdrängt, denen andere Menschen auf dem Planeten permanent ausgesetzt sind. Wie das Schwert des Damokles führt uns Hausner eine leichtgewichtige Imitation eines Tonnen schweren Steines vor, die über dem Bodenfoto von zwei friedlich schlummernden Frauen hängt und sie zu zerquetschen droht.

Hausner stellt kontroverse Gefühle ins Bild wie Bedrohung und Unbetroffenheit, Tod und Zuversicht, Leid und Kälte, Sehnsucht und Gleichgültigkeit … Die Figuren sind immer angezogen, sauber und adrett, egal welcher Begebenheit sie ausgesetzt sind. Auch sind in ihren großformatigen Gemälden die Protagonisten überlebensgroß. Accessoires, die das Umfeld räumlich gestalten, werden dagegen perspektivisch in ihrer Größendimension falsch dargestellt. So wirken, um ein Beispiel zu nennen, in Pensée sauvage (2011) die Zahnputzbecher samt Zahnbürsten im Hintergrund größer als die beiden Köpfe der Hauptdarsteller im Vordergrund.

Hausner greift gerne in die Trickkiste der Assoziationsketten, wenn sie für ihre Rekonstruktionen Titel von literarischen Werken, ohne einen Bezug zu ihrem Inhalt herzustellen, verwendet: Pensée sauvage, ein philosophischer Essay des französischen Philosophen Claude Lévi-Strauss; Wem die Stunde schlägt, ein Roman des US-Autors Ernest Hemingway; An education, ein Filmdrehbuch des britischen Autors Nick Hornby, welches auf eine autobiografische Erzählung der britischen Journalistin Lynn Barber basiert; Unter Strom, ein Reisebericht des US-Journalisten und Kunstkritikers Tom Wolfe u.v.m.

Hausners Bildsprache ist dramatisch, fordert ausgeprägte Schauspielleistung und enthält viel Wortwitz. Es ist daher verwunderlich, dass der ansonsten bildnerisch gut gestaltete Katalog zur Ausstellung wenig Qualität in seinen Texten aufweist. Wortkomplexe Satzkonstruktionen, voll überintellektualisierter Sprachgewalt entmutigen den Leser und verwirrten offensichtlich selbst die drei Autoren Rainer Metzger, Alexandra Matzner und Elmar Zorn, die übrigens auch in diesem Katalog leider wieder nicht biografisch vorgestellt wurden. In Rainer Metzgers Essay haben sich nebenbei Wort für Wort Satzwiederholungen von Seite 20 Mitte auf Seite 21 Ende eingeschlichen. Ein Fehler, der zwar in der englischen Übersetzung nicht vorkommt, aber unbedingt bei einer Neuauflage des Katalogs in der deutschen Version korrigiert werden sollte.

Einigkeit herrscht über die Bedeutung der Farbe und der Dramaturgie in Hausners Œuvre und über ihr malerisches Talent. Oftmals hat man jedoch das Gefühl, dass sich die Autoren weniger mit Hausners Werk an sich beschäftigen, als sie sich vielmehr darum bemühen, es für die Kunstgeschichte relevant zu integrieren und sie daher, um den heißen Brei reden, sich wiederholen und damit gegenseitig bestärken. Ein kurzes Resumé der wichtigsten Statements soll hier dennoch nicht fehlen:

Rainer Metzger gab drei Stichworte zu Hausners Kunst: Gute Arbeit, Referenz und Bild im Bild. So lobt Metzger die gute Arbeit als handwerkliche Fähigkeit der Künstlerin, als ob es diese vor dem Kunstmarkt zu verteidigen gelte. Unter Referenzen ergötzt sich der bekannte Kunsthistoriker und- kritiker seitenlang über das Figurative und der mise en abyme in der Geschichte der Malerei. Immerhin weist er schließlich doch noch auf die spielerische Komponente zwischen Figuration und Realität hin, erklärt die sprachliche Komponente durch die Bildbetitelungen, bringt hierzu ein detaillierteres Werkbeispiel aus dem Jahr 1995, welches in der Ausstellung nicht vorkommt, und nimmt Bezug zu dem Bild-im-Bild-Aufbau (mise en abyme) mit dem jüngeren Werk Land in Sicht (2006).

Kürzere Essays boten die Kunsthistorikerin Alexandra Matzner und der Kunstkritiker Elmar Zorn.
Matzner erörtert in ihrem Essay "Frauen ohne Eigenschaften?" die Stellung der Frauen in Hausners Bildern und fragt, ob sie nicht Stellvertreterinnen für unser aller Leben seien. Matzner spricht von Hausners lust- wie leidvollen Materialschlachten, von der Aufhebung der Grenze zwischen Fotografie und Malerei, deren hybride Form zu einem Trompe-l'œil verschmilzt. So werde dem Foto die Realität entzogen, der Ölfarbe der Realitätsbezug zugesprochen. Matzner vergleicht die Oberfläche der Gesichter und Körper in den Werken mit dem gesellschaftlichen Antlitz. Das selbstbewusste Schauen oder Angeschautwerden der Frauen auf den Bildern verwickle den Betrachter in einen stummen Dialog, wie auch das Fehlen einer einheitlichen Perspektive eine mentale und keine räumliche Beziehung suggeriere.

Der Kunstkritiker Elmar Zorn betitelte seinen kurzen Essay "Ecce pictus" und meint damit: Seht her, das ist die Malerei vom Bild des Lebens! Dieser von den Werken kommende suggestive Appell, mache die Faszination in Hausners Bildern aus, so Zorn, der Hausners Radikalität in der Malerei mit jenen von El Greco und Egon Schiele, die sich als große Außenseiter der Kunstgeschichte herausstellten, vergleicht. Hausner setze ihre Protagonisten in Farbzusammenstöße aus Körperexpressionen an die Grenze ihrer physischen und psychischen Entblößung. Zorn sieht die condition humaine in Hausners Werk verwoben und meint damit wohl, dass die Bedingungen der menschlichen Existenz in ihrem Überlebenskampf die optimale Dramatik in Hausners Bilder ergäben. Richtig wohltuend dagegen ist Günther Oberhollenzers Interview, der die Künstlerin selbst zu Wort kommen ließ.

Trotz kunsthistorischer ausschweifender Exkurse bleiben Metzger, Matzner und Zorn an der Oberfläche. Viele Fragen bleiben offen. So wird weder auf die üppige und gepflegte Stoffwahl noch auf die akribische Verhüllung der Körper eingegangen, von der Hausner getrieben zu sein scheint, als ob es gerade darum ginge, die Nacktheit zu verbergen, die so ein Kampf um die Existenz mit sich bringt. Mehr als die von Zorn erwähnte condition humaine ist also die menschliche Würde im Visier. Auch geht es in Hausners Werk nicht um die bereits oben zur Sprache gebrachte Sorgfalt in ihrer Malerei, als vielmehr um die Mühsal mit der die aufwendige Vorarbeit zur Malerei verbunden ist. Aufgabe der Kunsthistoriker wäre doch gewesen, das Rätsel um die Rekonstruktion zu lösen. Zumindest den Versuch zu unternehmen, die Frage zu beantworten, warum Hausner nicht nur mit Sorgfalt als vielmehr mit Ernsthaftigkeit diesen Aufwand an zeitintensiven und kostspieligen Vorarbeiten leistet, wenn man doch schon weiß, dass die Realisation schneller und einfacher ginge.

Weiters ist auch leider in diesem Katalog, wie so oft in Essl Katalogen, nur eine Minibiografie der Künstlerin zu finden. Sehr interessant sind dafür die erstmals veröffentlichten Polaroid-Aufnahmen, die den Arbeitsvorgang der Künstlerin dokumentieren. Der Katalog bleibt zumindest wegen seiner Farbqualität, seiner Auswahl an Bildmaterial, den reichen Detailansichten und Fotos ein geglückter Bildband.

Fazit: Eine gut konzipierte und sehenswerte Ausstellung einer engagierten, dynamischen und mit Phantasie überbordenden Künstlerin!

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