Sabine Scholl: Erfundene Heimaten

Cornelia Stahl

Sabine Scholl:
Erfundene Heimaten

Essay.
Wien: Sonderzahl
2019, 507 Seiten
ISBN: 9783854495277

Heimaten im Plural. Sympathisch und einladend gestaltet ist bereits der Buchtitel, der nicht von der einen (wahren) Heimat spricht. Von der Vielgestalt ist hier die Rede, welche Mehrfachdeutungen zulässt und erweiterte Sichtweisen einschließt.
In der Sprache, an einem Ort/ an mehreren Orten beheimatet sein: „Ich trage meine Heimat in mir“ meint die bulgarische Lyrikerin Antina Zlatkova und bringt eine weitere Dimension des Heimatbegriffs ins Spiel, eine Voraussetzung zugleich: Mit sich selbst, in sich Heimat finden als Bedingung dafür, an anderen Orten, (Wahl) Heimaten, andocken zu können. Mit dem Schiff, die eigene Biografie im Gepäck, und Leinen los. Auf geht`s.
Die Autorin Sabine Scholl hat diese oder ähnliche (Abschieds)-Situationen mehrfach erprobt. Im Anhang listet sie chronologisch ihre diversen Aufenthaltsorte, an denen sie weilte: Orte wie Lissabon, Chicago, New York, Berlin, Japan, Rumänien, Portugal, Türkei und Venedig. Europäische und außereuropäische Destinationen, die geradezu einladen den tradierten Heimatbegriff wiederholt infrage und auf den Kopf zu stellen.
In einzelnen Kapiteln reflektiert Scholl zu Themen wie Sprache, Bewegung, Kunst, ich. Vom Ich geht es weiter zu den anderen, verdichtet sich zu einem „Wir“. Eine sukzessive Erweiterung also. Ausgespart bleibt auch der Heimatort Grieskirchen nicht. Tabuwörter wie BLUT, MUTTER, JUDE, TSCHUSCH – bilden biografische Rückkoppelungen. Eindringlich liest sich der Briefwechsel mit Elfriede Czurda. Neugierig auf Zukünftiges macht das Gespräch mit Jan Kuhlbrodt.
Am Ende der Lektüre bleibt die Sehnsucht, die (politisch) aufgeladenen Texte der Autorin als Fortsetzung weiterverfolgen und an ihnen teilhaben zu können!

Sabine Scholl, geboren in Oberösterreich, erhielt 2018 den Anton-Wildgangs-Preis. Sie lebt als freie Autorin in Wien.

Mehr Kritiken aus der Kategorie: