Buch

Liis Kasepha: Zwischen uns das Wasser

Cornelia Stahl

Liis Kasepha:
Zwischen uns das Wasser

Dresden/München:
fortfolgendes im
Thelem Universitätsverlag
2022, Roman. 234 Seiten
ISBN: 978-3- 95908-379-9

Weibliche Suche nach eigenständigem Lebensentwurf.
Das Buchcover mit untergehender Sonne am See weckt zunächst Assoziationen zu Franz Schuberts Sonate „An die untergehende Sonne“ Op 44, D 457.
Wie Musik, so eröffnet auch Literatur unterschiedliche Rezeptionsarten, lässt sich ungern auf nur eine Lesart festlegen.
Ebenso verhält es sich mit Lu, Protagonistin im vorliegenden Roman, die sich weigert, gesellschaftlichen und privaten Erwartungen zu entsprechen. Die Einstiegsszene an einem See, an dem Lu und Sedna einander begegnen, gestaltet sich hoffnungsvoll. Sedna, die versucht zu balancieren, fällt dabei ins Wasser. Lu, die in der Nähe verweilt, rettet sie und zieht sie aus dem Teich.
Die Metapher, das Bild der Rettenden einerseits und der Geretteten andererseits, taucht wiederholt im Roman auf. Die Freundschaft zwischen den beiden Frauen entwickelt sich jedoch als Berg- und Talbahn. Als Ursache könnten möglicherweise Missverständnisse herhalten. Auf einer Geburtstagsfeier, zu der Sedna Lu eingeladen hat, verlaufen Gespräche in unterschiedliche Richtungen und erinnern Lu an Kindheitstage, die nicht gerade glänzten von Konsum und von Geschenken. Sie zieht sich zurück. In der Stille verfasst sie Gedichte, verstaut sie in der Küchenschublade und unter dem Tisch.
„Vielleicht hätte Sedna gern gewusst, was Lu schrieb. .. Aber Sedna fragte nicht“, S. 73. Eines Tages ist Lu verschwunden, niemand weiß warum und wohin.
Liis Kasepha, 1992 in Brandenburg geboren, spielt in ihrem Debüt mit surrealen Elementen, die Ort, Personen und Handlungen fragmentarisch skizzieren, schemenhaft andeuten: „Mein Bahnhof ist verlassen, ich bin die Letzte, die ihn betreten hat“, S.228. Manche Sprachbilder erinnern an winzige Filmsequenzen, die in ihrer Wirkung beim Lesenden Spuren hinterlassen. Die Autorin bedient sich keinem linearen Narrativ und schafft dadurch eine eigenwillige literarische Stimme, die unverwechselbar nachhallt.

Julian Schutting: Das Los der Irdischen

Cornelia Stahl

Julian Schutting:
Das Los der Irdischen

Bildervon Albin Schutting
St. Pölten: Literaturedition
Niederösterreich, 2022
373 Seiten, Halbleinen
ISBN: 978-3-902717-67-2

An der Schank beim Gästetelephon … stand Julian Schutting und versuchte, mit Ilse Aichinger ein Treffen zu vereinbaren, so erzählt der Autor die Szene, die zugleich cineastisch anmutet. Vorliegende Texte entstanden für das Projekt der „Alten Schmiede“ Wien, zu Ehren Ilse Aichingers, das sich auf ihr Werk „zu keiner Stunde“ bezog. Ähnlich wie Aichinger, die darin Dialoge und Szenen präsentiert, geht auch Schutting vor, unterteilt seine Publikation in fünf Abschnitte, beginnt mit „Das Los der Irdischen“ (wo nicht vor Troja gefallen) – einem Volksstück. Originalschauplätze und Personen montiert der Autor als Versatzstücke in vorhandene Textpassagen: Den „Türkenschanzenpark“ ebenso wie „Gratulanten aus Krems“, S.41. Seine Dialoge zwischen demenzkranken Pflegeheim-Bewohnerinnen und Betreuerin(en) spiegeln Alltagsszenen einer alternden Gesellschaft.
Der Gegenwart entnommen scheint auch die Figur „AHITLER“ in mehrerlei Gestalt aus „Ein Stück Hitler“, S.116. Hitler als Diktator, verantwortlich für die Shoah, findet gegenwärtig dennoch Nachahmer: „Der FALSCHE HITLER, um Hitler-Tonart bemüht.(...) Adolf-Hitler-Platz, der bin nun ich!“, S.117. Der dritte Abschnitt „Ilse Aichinger zu Ehren“ präsentiert Mini-Dramolette, die im Subtext die Verehrung des Autors für Aichinger entfalten. In den Teilen vier und fünf erzählt Schutting von Begegnungen zwischen Kindern und Erwachsenen.
Hauptaugenmerk legt Schutting auf das Dialogische.
Die Spiegelung in einem Gegenüber. In seinen Werken verfließen nicht selten die Grenzen zwischen den einzelnen Gattungen Lyrik und Prosa, bemerkt Gerhard Zeilinger im Nachwort. Des Neffen Albin Schuttings sparsam eingesetzte Bilder ergänzen die Texte idealerweise. Julian Schuttings, geboren im Oktober 1937, kann auf zirka sechzig Veröffentlichungen verweisen. 2021 erschien: Die Winterreise. 2022 erhielt Schutting den H. C. Artmann-Preis für seine Lyrik.

Mario Schlembach: Heute graben

Cornelia Stahl

Mario Schlembach:
Heute graben

Wien: Kremayr & Scheriau
2022, 188 Seiten
ISBN: 978-3-218-01323-9

Wonach suchen wir in den Träumen? Die Hauptfigur, Totengräber von Beruf, soll den elterlichen Betrieb übernehmen. Doch während er konzentriert seiner Arbeit nachgeht, dringen Träume und Sehnsüchte an die Oberfläche, unterbrechen den gewohnten Rhythmus.
Immer öfter stellt er sich selbst infrage, findet seine Träume lächerlich, noch lächerlicher sie aufzuschreiben.
(…) Inmitten all dieser Sehnsucht forsche ich einen Menschen aus mir heraus, den ich gar nicht kenne, S146.
Der Text verrät, dass Vater und Sohn einander sehr ähnlich sind: Der Vater, der es nicht übers Herz bringt, das Zepter aus der Hand zu geben, um seinen Ruhestand zu genießen.
Und der Sohn, dessen Leben zwischen Totengräberschaufel, Begräbnis und dem nächstem Dating in der Stadt ziellos erscheint. Nie ist die ersehnte Idealpartnerin dabei. Versuche, dem Elternhaus zu entfliehen, um eigene Wege zu gehen, scheitern: Nach dem Besuch im Diagnosezentrum erwächst im Protagonisten der Wunsch, sein Schreiben fortzusetzen: Was will ich im
Schreiben erreichen? Ich möchte eine Literatur finden, die (…) nach meinem Tod Bestand hat, S.147.
Den Protagonisten schließen wir von Anbeginn in unser Herz. Sein Suchen im Anderen spiegelt die Suche nach sich selbst. Eine leichte und unterhaltsame Lektüre.
Mario Schlembach,geboren 1985 in Hainburg/Donau, entwickelt einen unverkennbaren Sprachduktus, der Tagebucheinträgen gleichkommt. Mit seiner Figur, die in seinen Träumen das „richtige“ Leben sucht, schafft er für Lesende eine breite Identifikationsfläche.
Schlembach veröffentlichte Romane: Dichtersgattin: 2017, Nebel: 2018, (beide im Otto-Müller-Verlag), Essays und Theaterstücke. Ein Ö1 Feature: Die Sprache aber bleibt Treibsand eröffnet detaillierte Einblicke in die Arbeit des Schriftstellers und Totengräbers Schlembach.
Ein Autor, von dem wir hoffentlich noch weitere Werke erwarten dürfen.

Eva Riebler: Weltblick

Florian Müller

Eva Riebler:
Weltblick

Texte und Grafiken
Wien: Verlagshaus
Hernals 2022,
111 Seiten,
ISBN: 978-3-903442-31-3

Am Anfang war das Bild. Kann ein literarisches Werk in Zeiten von E-Books und verschickten PDFs ohne ein Buch zwischen zwei Deckeln existieren? Im Falle von Eva Rieblers „Weltblick“ ist die Antwort klar: Nein. Das Rohmaterial des Gesamtkunstwerks waren 63 Gedichte und 36 Grafiken. Daraus geworden ist ein haptisches Erlebnis in Quart, in dem die bildende Künstlerin und die Lyrikerin Eva Riebler friedlich und frei assoziierend gelungen koexistieren.
„Am Anfang war das Bild“, müsste man bei Eva Riebler sagen, denn aus der bildenden Künstlerin hat sich die Lyrikerin entwickelt. Ihre Grafiken entstehen zumeist in Serien mit manchmal nur minimalen Abweichungen von Bild zu Bild. Mit wenigen Ausnahmen dominieren warme Farben wie Rot oder Braun. Die figurativen Darstellungen spielen lustvoll mit den Grenzen zur Abstraktion. Wie der versierte Kunstkenner Carl Aigner treffend in seinem Nachwort anmerkt, machen Eva Rieblers Grafiken auch die Experimentierfreudigkeit im Verfahren aus. Schade ist, dass die Titel der Grafiken erst im Anhang zu finden sind, wie übrigens eine beeindruckende Liste bereits stattgefundener Ausstellungen.
Aber vielleicht war das auch eine taktische Überlegung, um den notorischen Titelstarrern einen Bildgenuss zu ermöglichen.
Eva Rieblers Gedichte sind auch widersrüchliche Antworten zu Zeilen Robert Schindls oder Karl Kraus.
Gleichzeitig ist ein selbstbewusstes „ich bin“ Leitmotiv vieler der freien Verse. Wenn sich das lyrische Ich zu aktuellen Themen wie dem Ukraine-Krieg oder zum Lockdown äußert, dann sind es durchaus pessimistische Perspektiven.
Auf Titel mit harmonischer Vorahnung folgen oft Zeilen mit schmerzhaften Auseinandersetzungen. Alltagsbilder wie Naturerlebnisse oder die Schreibmaschine oder das Stillleben eines vollgestapelten Schreibtisches lassen in das von Elfriede Bruckmeier in einem Nachwort beschriebene umtriebige Leben der Autorin einblicken.

Simona Smatana: Kompostfranzi

Eva Riebler

Simona Smatana:
Kompostfranzi

Übersetzt v. Michael Stavaric
Wien-Berlin 2023, Leykam, Kinderbuch
ISBN 978-3-7011-8272-5

Michael Stabaric hat aus dem Slowenischen ein Kinderbuch von Vydal Monokel, Verlag roku  2020 übersetzt.Ein hervorragend gestaltetes Kinderbuch von Smatana als Autorin und Bildende Künstlerin.
Leider ist keine Biografie, kein Sterbenswörtchen über die Autorin und die Künstlerin oder die Machart der aufwändigen Gestaltung zu finden. Jedoch das Bilderbuch lebt von der wunderschön gemalten Ausstattung. Vorallem durch diese greift man/frau/kind ganz schnell und zielsichert nach diesem Werk. Außerdem ist nicht nur der Umschlag anziehend und liebevoll gemacht, sondern jede einzelne Seite lebt vom Werk und Können dieser Künstlerin!!
Der Inhalt ist ebenso liebevoll und kindgerecht aufbereitet: Franzi der Regenwurm ist zwar fröhlich aber weiß nicht so recht, was er tun soll. Er hat kein besonderes Talent, wie andere Tiere. Im Laufe der Zeit kommt er drauf, dass er den Boden durch seine Wanderungen gut durchlüftet.
Dieser kindlichen Erzählung sind wissenswerte Details über Kompostierung, fruchtbaren Boden oder die Lebensweise der Regenwürmer  auf den letzten acht Seiten angefügt. Diese sind ebenfalls künstlerisch hochwertig bebildert. Jeder Erwachsene erfreut sich an den fröhlichen Darstellungen!
Ein wunderbares,  qualitätsvolles Kinderbuch für zirka 3-7 Jahre, das allerdings die für ein Bilderbuch so essentielle Künstlerin leider keinesfalls würdigt. Wir würden sie natürlich aufs Wärmste weiterempfehlen!
Eine Gratulation an den Verlag und die kreative, einfallsreiche Autorin/Künstlerin für dieses schön gestaltete Kinderbuch!