Kasimir und Karoline

Stefan Harm

Ödön von Horváth: Kasimir und Karoline

Regie: Moritz Franz Beichl

Landestheater Niederösterreich, St. Pölten

(Koproduktion mit dem Grand Théâtre de la Ville de Luxembourg)

Premiere: Samstag, 30. September 2023

„Vielleicht sind wir zu schwer füreinander“ richtet Karoline an ihren pessimistischen – weil gerade arbeitslos gewordenen – Kasimir, den Konstantin Rommelfangen großartig in seiner ganzen bedauernswerten Gefühlslage einfängt. Diese Worte sind es, die den Sog in menschliche Untiefen einsetzen lassen. Moritz Franz Beichl inszeniert Ödön von Horváths „Kasimir und Karoline“ als einen Strudel, dem seine Protagonist*innen nicht entkommen können.

Das Stück spielt in den frühen 1930ern auf dem Münchner Oktoberfest, doch das Bühnenbild verzichtet auf Wiesn-Kitsch. Es ist auf wenige Requisiten reduziert, die in ihrem ramponierten Zustand die gesellschaftliche Verfassung dieser Zeit aufzeigen. Gleichzeitig ist der so entstehende Schauplatz zeitlich wie auch geographisch nicht eindeutig zuordenbar. Das Bühnengeschehen wird aus jeder Verortung geholt und kann großzügig umplatziert werden. So entsteht eine teils beunruhigende Vergegenwärtigung von Krise, Unsicherheit, Zweifel und Verzweiflung. Diese nebulöse Atmosphäre schafft Raum und erlaubt dem Ensemble, seine Schleifen zu ziehen. Die Schauspieler*innen treten auf und wieder ab, kommen sich näher und entfernen sich voneinander, ohne je wirklich aus dem Blickfeld zu geraten – weder für die anderen Personen noch für das Publikum. Sie treten bloß in den Hintergrund, bis die nächste Szene die Konstellation tänzerisch ändert. Das Stück bewegt sich – wie der Zeppelin – in Schleifen, es ist in ständiger kreisender Bewegung und so wie jener Zeppelin – oder auch die Achterbahn – lediglich Runden dreht, gibt es für die Figuren kein echtes Fortkommen. Der erhoffte Fortschritt bleibt aus. Anfangs- und Endpunkt sind ident. Unterdessen zieht sich die Schlinge zu.

Die Rolle des Orchesters übernimmt Philipp Auer, der mit Gitarre und seiner eindringlichen Stimme kraftvolle Momente erzeugt. Ausgewählte moderne Musikeinlagen verstärken den Eindruck der Gegenwartsbezogenheit und schaffen es, die entsprechende Stimmung wohldosiert zu erzeugen oder zu verstärken.

Die „Abnormitäten-Schau“ – man danke an „den Liliputaner“ oder „Juanita, das Gorillamädchen“ – fehlt gänzlich. Das schadet der Inszenierung allerdings nicht, denn wirkliche Missbildung findet man bei der ökonomischen Situation und an den Beziehungen, die sich in diesem Kontext entwickeln. Sehnsüchte und Erwartungen ergreifen und verformen den Charakter. Wer Ambitionen hat, wer gesellschaftlich oder finanziell aufsteigen möchte, muss dafür auch etwas geben – und es zeigt sich: Manche haben einfach zu wenig, für manche gibt es nichts zu feiern. Auf diesem Oktoberfest greift man nicht zum Bierkrug, sondern zum (überdimensionierten) Strohhalm. Sogar der wohlhabende Geschäftsmann Rauch – wunderbar zwielichtig verkörpert von Michael Scherff – muss nicht nur sinnbildlich nach jedem Strohhalm greifen. Es geht um Status, Macht, Geld sowie um die Verbindungen und Verwirrungen, die sich daraus ergeben. Beziehungen sind Kapital. Davon ist selbst die amouröse Liebe nicht ausgenommen – in schweren Zeiten schon gar nicht. Die Liebe kann es nicht völlig unabhängig von ihrem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umfeld geben – und sie kann daran scheitern. Das zeigen die Figuren, das muss die von Laura Laufenberg mitreißend gespielte Karoline schonungslos lernen: „Man hat halt oft so eine Sehnsucht in sich – aber dann kehrt man zurück mit gebrochenen Flügeln und das Leben geht weiter, als wär man nie dabei gewesen.“

Gegen Ende des Stücks reihen sich die Darsteller*innen am äußersten Bühnenrand auf. Die letzten Dialoge sind ans Publikum gerichtet. Die grandios inszenierte und vom Ensemble herausragend gespielte „Ballade vom arbeitslosen Chauffeur Kasimir und seiner Braut“ endet wie eine Achterbahnfahrt: Niemand ist weitergekommen, den meisten geht es schlecht und gebracht hat es ihnen nichts. Das Publikum aber darf begeistert sein.

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