13. Philosophicum Lech: 3. Tag - Birgit Schwarz - Part 9. I. Reichel
Ingrid Reichel DAS SCHÖNE ALS ÜBERWÄLTIGUNGSSTRATEGIE
13. Philosophicum Lech
Vom Zauber des Schönen.
Reiz, Begehren und Zerstörung. Neue Kirche, Lech am Arlberg, Vorarlberg
16. – 20.09.09
3. Tag – Part 9
19.09.09, 11.00 Uhr
Vortrag von Birgit Schwarz (Wien)
Das Schöne als Wille und Vorstellung: Bildende Kunst im Dritten Reich
Birgit Schwarz wurde 1956 in Deutschland geboren. Sie lebt und arbeitet als freischaffende Kunsthistorikerin und Ausstellungskuratorin in Wien.
Einen völlig anderen und spannenden Einblick zum Schönen lieferte Birgit Schwarz. Anhand der Politik des Dritten Reiches erklärt sie das gefährliche Spiel mit dem Schönen als Machtdemonstration und als Vortäuschung einer Scheinwirklichkeit. Unmittelbar nach Thomas Küppers harmlosen Reizen des Kitsches ist hier eine aufregende Kontroverse zwischen den zwei Vorträgen gelungen.
Seit den 1980er Jahren arbeiteten Wissenschafter die Funktion der Kunst in nationalsozialistischen Systemen auf. Die zunächst nur als Machtdekoration interpretierte, instrumentalisierte, zeitgenössische und historische Kunst wurde erst in den Anfängen der 1990er Jahre in Bezug auf die Täuschung der Massen hin analysiert. In einem Zitat von Hitler wird zum ersten Mal das Schöne mit Gewalt verbunden: „[…] Das Schöne soll Gewalt haben über die Menschen; es will in seiner Macht bestehen bleiben.“
Die ästhetische Überwältigungsstrategie lasse sich auch am italienischen Faschismus, dem Stalinismus und dem amerikanischen Kapitalismus erkennen. Die spezifisch nationalsozialistische deutsche Kunst weiß man heute als internationalen Kunststil der Zeit zu bewerten. Eine weit verbreitete Auffassung sei, dass das Dritte Reich keine eigenständige Kunst hervorgebracht habe. Hierbei sei angebracht, dass Schwarz in ihrem kurzen Vortrag nicht weiter auf die Unmöglichkeit einer freien Kunstentwicklung in totalitären Regierungsformen einging.
Bisher weitgehend übersehen wurden die destruktiven Elemente, die das Begehren nach dem Schönen auslösen: „Das Dritte Reich war Kunst besessen; kein Staat habe mehr Geld für Kunst und Kultur ausgegeben als der Nazistaat, kann man immer wieder lesen.“ Ob der Superlativ stimmt, sei dahingestellt, feststehe der enorme Aufwand in so kurzer Zeit, fuhr Schwarz fort. „Der Aufwand, den ich dazu treiben werde, wird um ein Gewaltiges den Aufwand übertreffen, welchen wir zur Führung dieses Krieges nötig hatten.“ Zitiert Schwarz Hitler in seiner Rede zum Endsieg Oktober 1941. Hitler begann als Maler und endete als fanatischer Gemäldesammler. Seine Vision des Schönen konnte er inhaltlich vollbringen, zur Erbauung der dazu gehörigen Gebäude, der Museen reichte es nicht mehr. Der Wille und die Vorstellung einen wahrhaftigen deutschen Stil zu erschaffen,, schlug fehl.
Die Gegenüberstellung der Großen Deutschen Kunstausstellung und der Ausstellung Entarteter Kunst 1937 in München zeigte nicht nur die aggressive und gewaltbereite Kunstpolitik des NS-Regimes, sondern auch das Versagen der deutsch-arischen Künstler.
„Die Konfrontation war ursprünglich nicht vorgesehen“, berichtet Schwarz, da es bis 1937 keine klaren Richtlinien über deutsche Kunst und keine gelenkten Aktionen gegen die Avantgarde gegeben hatte. Dies führte zu massiven Richtungskämpfen zwischen der modernen, expressionistisch orientierten und der konservativen, völkischen Fraktion. Hitler, der sich selbst eine persönliche Endauswahl der beteiligten Gemälde zur Großen Deutschen Kunstausstellung vorbehielt, tobte angesichts der vielen entarteten Kunstwerke während des Rundgangs durch die Vorauswahl. Die Ausstellung drohte zu platzen. Die kunstpolitische Bankrotterklärung konnte gerade noch durch den Einsatz Hitlers Leibphotographen Heinrich Hoffmann abgewandt werden. Er reduzierte die 15.000 eingelangten auf 500 akzeptable Werke, sodass die Ausstellung stattfinden konnte. Dennoch wurde die Ausstellung Entarteter Kunst erfolgreicher besucht als die Große Deutsche Kunstausstellung,
„Weder die Erwartung einer automatischen Gesundung der Kunst unter dem Nationalsozialismus, noch die Hoffnung auf das nationalsozialistische Mal-Genie hatten sich erfüllt.“ berichtete Schwarz weiter. Enttäuscht führte Hitler neue Maßnahmen ein, um durch den Willen zum Schönen das Hässliche auszurotten. Seine Definition des Schönen lehnte sich an Immanuel Kants Kritik der Urteilskraft, in der der Philosoph „darauf bestand, dass nicht die Kunst sich selbst, sondern die Natur der Kunst die Regeln gibt“. Hitler selbst sah sich als ein Schüler Schopenhauers, der sich wiederum mit Kants Werk eingehend auseinandergesetzt hatte. Er galt als „Modephilosoph der Künstlerschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts“. Hitler, der ganze Passagen aus Schopenhauers Werk auswendig kannte, war jedoch nur subjektiv und selektiv, auf keinen Fall wissenschaftlich-kritisch mit der Lektüre Schopenhauers befasst, weiß Schwarz. Auch die rassistische und antisemitische Kulturgeschichte „Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts“ von Houston Stewart Chamberlain, ein Schwiegersohn Richard Wagners, beeinflusste Hitler früh in seiner Denkweise.
„Die Kunst des Lesens wie des Lernens ist auch hier: Wesentliches behalten, Unwesentliches vergessen.“ zitiert Schwarz aus mein „Mein Kampf“ und erläutert die folgenschweren kunstpolitischen Probleme, die Hitlers subjektive Rezeption mit sich brachte. Nach der Genielehre, sei das Genie angeboren. So brauche es, laut Hitler keine Erziehung zur Kunst, also keine Kunstakademien. Somit waren jedoch die Einflussmöglichkeiten des Regimes gering. Nach seiner Überzeugung konnte der Staat nur Voraussetzungen zur Entfaltung der Genies schaffen. Der Schock über das fehlende deutsche Malgenie ließ ihn die Schuld im Kulturbolschewismus suchen, durch den die deutschen Künstler die Orientierung auf das Schöne verloren hätten. Das gute Handwerk sollte nun als Grundlage zur Entfaltung des Genies herhalten und der jüdische Bolschewismus zur Optimierung ausgerottet werden.
Letztlich konzentriert sich Schwarz auf Hitlers Schönheitsempfinden, welches man am besten an seiner privaten Gemäldesammlung ablesen könne. Hitlers verrufener Kunstgeschmack sei nicht länger haltbar. Neu entdeckte Bildquellen der letzten Jahre bewiesen das Gegenteil. Drei Prachtphotoalben aus dem persönlichen Besitz des Diktators zeigten Gemälde des deutschen 19. Jahrhunderts (Band „Neue Meister“), europäische Malerei vor 1800 – italienische Renaissance und Barock - (Band „Alte Meister“) und ein weiteres Album, welches nun in der Library of Congress in Washington aufbewahrt wird, dokumentieren eine wesentlich qualifiziertere Kunstsammlung als man bis jetzt angenommen hatte.
Die Erkenntnis, dass es bis zum deutschen Genie noch lange dauern würde, ließ ihn von einer aktiven Kunstpolitik auf den Aufbau einer Kunstsammlung ausweichen. Kunstraub und Enteignung mit einem „Führervorbehalt“ für die Führerprivatsammlung (!) ab 1938 ermöglichten eine rasche Entwicklung der Sammlung für das geplante Führermuseum in Linz. Schwarz spricht von dem „Abgründigen des Begehrens nach dem Schönen!“. Das Großdeutsche Reich sollte mit Museen, Opernhäusern und Theaterbauten übersäht werden. Damit sollte nicht nur die arische Herrschaft sondern auch der Krieg legitimiert werden.
Für Hitler bestand im Kampf und im Widerstand die Entwicklung zur Stärke einer Persönlichkeit. Der Krieg und die Kunst waren in ihrer Symbiose die Genie erzeugende Kraft, mit der es galt das deutsche Volk „aufzutanken“. Mit dem Satz „Gerade weil Hitler der Kunst eine so grundlegende Funktion zuwies, musste sie vernichtet werden, damit sie nicht dem Feind nützlich sein könnte.“, schloss Schwarz ihren mit vielen neuen Aspekten versehenen Vortrag.
Buchtipp:
Birgit Schwarz: Hitlers Museum.
Die Fotoalben Gemäldegalerie Linz.
Dokumente zum „Führermuseum“.
Wien: Böhlau Verlag, 2004. 500 S.
ISBN-13 978-3-205-77054-1
NEU!
Birgit Schwarz: Geniewahn.
Hitler und die Kunst.
114 s-w Abbildungen.
Wien: Böhlau Verlag, 2009. 397 S.
ISBN 978-3-205-78307-7
13. Philosophicum Lech: 3. Tag - Thomas Küpper - Part 8. I. Reichel
Ingrid Reichel DER KITSCH ALS ÜBERLEBENSSTRATEGIE
13. Philosophicum Lech
Vom Zauber des Schönen.
Reiz, Begehren und Zerstörung. Neue Kirche, Lech am Arlberg, Vorarlberg
16. – 20.09.09
3. Tag – Part 8
19.09.09, 9.30 Uhr
Vortrag von Thomas Küpper (Braunschweig):
Zu schön, um wahr zu sein? Vom Reiz des „Kitsches“
Thomas Küpper wurde 1970 geboren und vertritt zurzeit eine Professur für Kulturwissenschaft an der Hochschule für bildende Künste Braunschweig. Er ist Mitherausgeber von „Querformat. Zeitschrift für Zeitgenössisches, Kunst, Populärkultur“.
Hier in Lech lieferte Küpper einen äußerst unterhaltsamen und zur Diskussion anregenden Vortrag.
Die Kritik der Kitsch-Kritik sei eine Problematisierung des Kitsches und mache sich selbst zum Problem, so Küpper am Beginn seines Vortrags, denn ein vielköpfiges Publikum erachte Bilder der Idylle und des vollendeten Glücks als schön. Für die „Anspruchsvolleren“ gelte Kitsch als zu schön, um wahr zu sein“. Die Kritik am Kitsch hätte sich laut Küpper damit selbst verdächtig gemacht, wäre zur Folge nicht haltbar und lohne sich nicht näher zu betrachten: „In kultursoziologischen und historischen Untersuchungen konnte gezeigt werden, wie gesellschaftliche Gruppen das Schlagwort ‚Kitsch’ dazu gebrauchen, andere gesellschaftliche Gruppen herabzusetzen, ihnen schlechten Geschmack und mangelndes Urteilsvermögen nachzusagen und sich auf diese Weise über die anderen zu stellen.“ (Küpper: Vgl. Jacob Reisner: Zum Begriff Kitsch).
Interessant hingegen wäre die Beobachtung, dass der Kitsch selbst die kritische Frage nach der Wahrhaftigkeit der Schönheiten des Kitsches in sich trage, demnach sich selbst reflektiere.
Doch zunächst ging Küpper der Frage nach, warum die Kritik des Kitsches die Selbstreflexion kaum beachte. In der Kritik gehe man davon aus, Kitsch sei auf Reiz und Rührung angewiesen, die Wirkungsprinzipien also, die Menschen als Sinnwesen und zu wenig als Vernunftwesen einordne (Kant). Weiters erscheine Kitsch von außen gelenkt und liege einem Täuschungsverdacht nahe: „Der ‚Kitsch’, der sich des Publikums bemächtigt, es etwa zum Weinen bringen kann, wann immer er will, könnte ihm Ergebene zu beliebigen Zielen führen – auch hinter’s Licht.“ Der von den Kritikern meist sogar als billig empfundene Täuschungsvorwurf liege in der Konsumentenausbeutung und Geldorientierung. In anderen Kontexten unterstelle man Kitsch einen falschen Kunstanspruch. Bei diesen Überlegungen sieht Küpper eher ein Schattengefecht der Hochkultur mit ihren eigenen Projektionen.
Eine heuristische Umkehr der kritischen Argumente gestatte die Sicht auf die „heile Welt“ und Unverdorbenheit des Kitsches. Die Sehnsucht nach Geborgenheit, nach Vertrautem, die Sehnsucht den Tod zu überwinden, ja „gemütlich zu sterben“ und der Wunsch nach Entlastung mache den Kitsch so attraktiv. Das Angebot die Realität zu verdrängen, ihr auszuweichen, bewirke beim Publikum Regression, ermögliche ein Zurückfallenlassen in eine kindliche Welt.
Wie kann also Kitsch dem Publikum einerseits die Sicht durch Täuschung versperren und es andererseits in Sicherheit wiegen? Die Antwort liege in der Distanz der Selbstreflexion. „Die Philosophie und die Kulturwissenschaften stehen vor der Aufgabe, Kategorien zu finden, die sich für die Betrachtung der „Schönheiten des Populären“ (Kaspar Maase) eignen.“
Am Publikum in Lech erprobt Küpper drei Schönheitskategorien zur Untermauerung seiner These: die deutsche Liebesromanschriftstellerin Hedwig Courths-Mahler (1867-1950), den Tourismus als erlebtes Paradies sowie den niederländischen Musiker André Rieu mit seinem Konzert im Schloss Schönbrunn im Juli 2006.
Beispiel Hedwig Courths-Mahler: Ihre von einem großen Publikum geschätzten Romane behandelten immer die gleichen Klischees, nämlich das der sozial Benachteiligten, welche durch die Liebe den Standesunterschied überwinden. Trotz ihrer Auflagenstärke war sie Zielscheibe starken Gespötts. „Seit Sie mir die Ehre erweisen, mich in verschiedenen Intervallen wegen meiner harmlosen Märchen, mit denen ich meinem Publikum einige sorglose Stunden zu schaffen suche, anzupöbeln, werden diese noch mehr gekauft als bisher.“ (Brief: H. C.-M. an H. Reimann). Anhand Courts-Mahler schriftlichen Reaktion auf Reimann erläutert Küpper die Selbstreflexion in ihren Texten. Der wirtschaftliche Faktor, der Unterhaltungswert und die Bezeichnung ‚Märchen’, die nicht zu „nüchternem Denken“ verpflichtet sei, zeige Selbstreflexion, da sie den Leser gleichwohl in eine Phantasiewelt ein- aber auch wieder aufzutauchen ermögliche.
Am Beispiel Tourismus mit der Präsentation der ‚heilen Welt’ sehe Küpper die Sehnsucht nach einem friedvollen Ausgleich zum hektischen Alltag erfüllt. Obwohl die Reise aus der industriellen Welt in die ländliche Idylle schon lange selbst zur Industrie geworden sei, befriedige diese Art des Tourismus das Bedürfnis nach kindlicher Geborgenheit und sei daher selbstreflexiv.
Auch bei der Fallstudie André Rieu sieht Küpper von Seiten des Publikums ein bewusstes Einlassen auf eine Illusion der Unterhaltungsbranche, welches wie ein Kippschalter vom effektiv erwünschten Abschalten ein Fortführen des Alltags ermögliche. Szenarien des „Schondagewesenen“ verstärken den Erkennungswert, der für das Gefühl der Geborgenheit unablässig ist. „Wiedersehen macht eben Freude.“
Küppers Vortrag ist an sich schlüssig. Dennoch muss sich Küpper für seinen Vortrag die Kritik der Verharmlosung des Kitsches gefallen lassen. Zieht man in Betracht, dass Idealisierung und Heroisierung in ihrer Übertreibung immer mit einem starken Kitschfaktor belastet sind, kann man z.B. die Propagandafilme des Dritten Reichs sehr wohl zum Kitsch zählen. Hier funktionierte allerdings die Theorie der Selbstreflexion nicht. Das Wiedereintauchen in die Realität fand nicht statt. Unterhaltend waren die Vorkommnisse so gut wie für niemanden. Der Verdrängungsmechanismus, der vor dem drohenden Alltag (vor Arbeitslosigkeit, Hunger etc.) entfliehen ließ, gewann die Oberhand. Kitsch wurde zum Werkzeug des Bösen.
In diesem Sinne: Hütet Euch vor Gartenzwergen!
Buchtipp:
Thomas Küpper: Kitsch.
Texte und Theorien.
(herausgegeben mit Ute Dettmar)
Stuttgart: Reclam, 2007. 320 S.
ISBN 978-3-15-018476-9
13. Philosophicum Lech: 2. Tag - Werner Bätzing - Part 7. E. Riebler
Eva Riebler VOM SONNBERG RUNTER ZUM HÖLLENTAL
13. Philosophicum Lech 2009 Vom Zauber des Schönen.
Reiz, Begehren und Zerstörung.
Neue Kirche, Lech am Arlberg, Vorarlberg
16. – 20.09.09
2. Tag – Part 7
18.09.09, 17 Uhr
Vortrag von Werner Bätzing (Erlangen)
Vom „Arkadien im Herzen Europas“ zum Sport-, Event- und Funregion.
Die „schönen“ Alpen zwischen Bewunderung und Langeweile.
Werner Bätzing Prof. für Kulturgeografie an der UNI Erlangen. Hg „Die Alpen“, „Bildatlas Alpen“ 2005.
Als Geograf konnte W. Bätzing anhand seines Fotomaterials alle seine Thesen beweisen. Z.B. dass die Schönheit subjektives Wohlbefinden sei, die Alpen jedoch intersubjektiv geprägt sind. Vor über 10.000 Jahren begannen die Besiedlung und deren Auswirkungen sichtbar zu werden. Der Begriff „Alpen“ war negativ besetzt. Im Industriezeitalter fand eine Umwertung der Alpen statt. Statt bedrohlich wurden sie „schön“ und freizeittauglich. Durch die Aufstiegshilfen (Seilbahn etc.) und die Erschließung mittels der Eisenbahn wurde der Großraum Alpendynamisiert und modernisiert. Später wurden sie zur „Kulisse“ für Freizeitaktivitäten wie Klettern, Biken usw. Die Alpen wurden „Event-Alpen“ und die Bevölkerung war in städtische Bereiche abgewandert.
Die Landschaftsästhetik muss heute abgegrenzt werden: Weder nur rückwärts gewandte Nutzung oder Bebauung ist ästhetisch – auch moderne zweckmäßige und nachhaltige Nutzung ist wünschenswert.
Eine Mensch-Umwelt Beziehung muss qualitativ umgesetzt werden. Eine Ästhetisierung der Form der Alpen bei Mega-Events ohne Inhaltsbezug ist nicht annehmbar.
Auf die Frage, wie Lech sich ästhetisch in der heutigen Besiedelung darlegt, war die ehrliche Antwort W. Bätzings: „Lech sei zersiedelt und baulich nicht modernen Ansprüchen gerecht werdend. Allerdings seien auch Nationalparks in Österreich keine Alternative, um Natur zu bewahren, denn die Flächen Österreichs wären stets und fast überall menschlich genutzt worden und eine Rückführung in sozusagen ursprüngliche und unangetastete reine Natur ist weder wünschenswert noch möglich“.
13. Philosophicum Lech: 2. Tag - Elisabeth von Samsonow - Part 5. E. Riebler
Eva Riebler VOM HIMMEL ZUR HÖLLE
13. Philosophicum Lech 2009 Vom Zauber des Schönen.
Reiz, Begehren und Zerstörung.
Neue Kirche, Lech am Arlberg, Vorarlberg
16. – 20.09.09
2. Tag – Part 5
18. 9. 09, 11 Uhr
Vortrag von Elisabeth von Samsonow (Wien):
From Helena to hell. Hel, Hellas, Hulda, Holle, Hölle.
Innerhalb der Triade von Leben, Schönheit und Tod.
Elisabeth von Samsonow, Künstlerin und Professorin für Philosophische und historische Anthropologie der Kunst an der Akademie der bildenden Künste Wien. Hg. „Sex-Politik“ 2000, „Anti-Elektra“ 2007.
Prof. Kreuzer aus Oldenburg reflektierte im vorhergehenden Vortrag wissenschaftlich korrekt nach streng philosophisch, sprachlich-semantischen Kriterien, während E. v. Samsonow weitaus erfrischender in Inhalt und Vortrag die etymologischen Begriffe teilweise in Assoziationsketten aneinander knüpfte.
„Wer nicht wagt …“, rechtfertigte sie ihr nach strengen Kriterien unwissenschaftliches Tun.
Dass es gar nicht so unwissenschaftlich ist, zeugt ihr strenger Aufbau und ihre Ableitung aus der griechischen Mythologie: 1. Kapitel: Die Schönheitskonkurrenz. Paris kürt Aphrodite zur Schönsten und darf die schöne Helena, der Inbegriff an Schönheit, rauben. Dies zeugt von der Verbindung Venus und Mars, Kampf um die Schöne und Sensibilisierung für DIE Schöne und somit für die Industrie der Verschönerung, sprich Kosmetikindustrie. Das zweite Kapitel: Die Phantom Queen erläutert die Verdoppelung, einerseits gibt es Helena physisch in Ägypten und phantomhaft als Wolkengebilde in Troja. Im dritten Kapitel wird die Wieder-Auffindung der Helena im Hades, in der Tiefe der Erde im Faust II durch den Gang zu den Müttern und in Hofmannsthals „Die Bergwerke zu Falun“ mit Schwerpunkt Jungfräulichkeit geschildert und auf die Doppelnatur hingewiesen. Die Frau als Mutter oder Jungfrau und als dritte Natur als dämonisches Wesen, das zu Liebesglut und Kampfeswut (Kriegergöttinnen Boudica und Andraste) anstiftet.
Die Conclusio im vierten Kapitel: Metaphysik und „Infraphysik“ verdeutlicht, dass der Schwerpunkt im Kern der Sache, im Erdinneren, in der Hölle liege. Das Höllische und seine Entmythologisierung sollte nach Meinung der Vortragenden zukünftiger Schwerpunkt der Forschung sein.
13. Philosophicum Lech: 2. Tag - Johann Kreuzer - Part 4. E. Riebler
Eva Riebler EINE SKIZZE DES SCHÖNEN
13. Philosophicum Lech 2009 Vom Zauber des Schönen.
Reiz, Begehren und Zerstörung.
Neue Kirche, Lech am Arlberg, Vorarlberg
16. – 20.09.09
2. Tag – Part 4
18.9.09, 9.30 Uhr
Vortrag von Johann Kreuzer (Oldenburg)
Titel des Vortrages: Göttliche Begeisterung. Zur Reflektion des Schönen in der Antike.
Johann Kreuzer, Prof. für Geschichte und Philosophie an der UNI Oldenburg. Veröffentlichungen zuletzt: „Hölderlin-Handbuch“ 2002, „Die Realität der Zeit“ 2007, „Der Sinn des Hörens. Zur Philosophie der Musik“ 2009.
Johann Kreuzer referiert über das Schöne im Sinne Platons und Kants: das Schöne begeistert und es ergibt sich „ein IN Gott sein“, ein Enthusiasmus, der süchtig und bedürftig macht. Nach Immanuel Kant ist der Geist das belebende Prinzip des Gemüts und hat nichts mit dem ästhetisch Schönen zu tun. Schön ist vielmehr das, was gut tut und gut macht.
Für Odysseus bedeutet dies, dass er die Landschaftsidylle auf der Insel bei Kalypse zwar als schön sieht, dies jedoch zweitrangig sei. Die Unsterblichkeit, die ihm Kalypso anbietet schlägt er aus, denn die endlose Zeit ist nicht sinnerfüllt. Er will zur Gattin Penelope zurück, da sie schwächlich, sterblich – eben von Zeit bestimmt- sei. Die sinnerfüllte Zeit ist eine endende.
Nach Heraklit und Nietzsche ist die Kunst die einzige Tätigkeit, die uns über die endende Welt hinaus hebt. Die Menschen vergehen, das Leben ist ein Spiel, - und nur die Welt bleibt. Es ist ein Werden und Vergehen, nur das Kind und der Künstler spielen wie mit Sandhaufen am Meer, das immer wieder zerstört, was gebaut wurde. Kunstwerke werden im Widerstreit und in Harmonie geschaffen und sind vor Gott – sowie alles andere auch– schön, gerecht und gut. Nur für den Menschen ist die Schönheit wie ein Streichholz: Es entzündet sich rasch und wenn er hingreift, verbrennt er sich. Innehalten heißt verbrennen. Die Begeisterung durch das Schöne lässt uns Göttliches erfahren und uns als vergängliche Kreatur begreifen sowie bejahen.
Wer das Naturschöne vergisst, kann die Schönheit der Kunst nicht verstehen. Der Einfluss ist gegenseitig bedingt.
Mit Hölderlin schließt Johann Kreuzer sinngemäß: Das menschliche Leben in der Natur, die Eingeschränktheit und Zufriedenheit, die Kreativität in der Mitte des Lebens ist vielleicht das Schöne.
Der Vortrag ist schlüssig belegt und zitiert, lässt zwar trotzdem Fragen bezüglich des äußeren Schönheitsbegriffes in der Antike offen. Ein Begriff des Schönen wird skizziert, der von vornherein den Begriff des Naturschönen enthält. Dem Hörer, erschließt sich eventuell der Vergleich, dass das Göttliche erfahren heute die kurze innere Berührung des Zwerchfells oder der Eingeweide sei, sozusagen das Ergriffensein und Berührtsein schlechthin.