Buch

Gertraud Klemm: Muttergehäuse. Rez.: Eva Riebler-Übleis

 
 

Eva Riebler-Übleis

Gertraud Klemm
Muttergehäuse
St. Pölten: Literaturedition NÖ, 2016, 340 S.
ISBN 978-3-902717-32-0

Von Mutterrolle und Mutterbild. Nach der Innenschau in die weibliche Seele im sehr empfehlenswerten Roman „Aberland“ 2015, setzt Gertraud Klemm, 1971 in Wien geb., Brotberuf bis 2006 Biologin und seither Autorin, nun diese Thematik fort. Genauso authentisch und ehrlich nimmt sie ihre eigenen Gedanken aufs Korn und verarbeitete und aktualisiert 40 Abschnitte eines quasi Tagebuches aus 2010. Mitgedacht und eingebracht ist die jeweilige Reflexion in der und zur Gesellschaf. Oft sind es formulierte Träume, Ängste und das Berichten vom und über das Scheitern, die einem Leser, eher einer Leserin, den Rücken stärken oder wie ein hilfreicher Rat wirken. “Nicht jeder feministische Roman muss eine Heldin ausspucken“, meinte die Autorin treffend im Sonntagvormittags-Interview auf Ö1 am Muttertag.

Dieser Röntgen-Blick auf die Unsicherheit einer jungen Frau punkto Kinderwunsch oder anstrengender Mutterschaft und somit auf die gängigen Meinungen der Society macht das Werk wirklich spannend!

Warum die Mutterbürde 24 Stunden am Tag dauert und eine Geschlechterrolle ist, dass das Frauenbild in jeder Gesellschaft von der Religion diskreditiert und diffamiert wird, braucht die Autorin ja gar nicht polemisch hervorzuheben. Ihr Werk wirkt auch ohne Anklage in Form von Fragen: Ist es ein Versagen als junge Ehefrau kein Kind zu bekommen? Warum reden alle Freundinnen nur mehr über Pampers oder den ersten Milchzahn? Warum bekommt eine Freundin das dritte Kind, wenn sie doch beim ersten schon meinte  - ihr größter Feind sei ihr Mann - ? Warum gibt es kein wirklich lesenswertes Buch über alternative Elternschaft? Muss ich mir das erst selber schreiben? – Ja! Genauso ist es, möchte man/frau der Autorin beipflichten, und ist nun glücklich und zufrieden, dass sie das in Angriff genommen hat!

Ihre Reflexionen zwischen Kind – Frau – Mann sind genussvoll, ohne Vorwürfe und wirklich gelungen, federleicht und niveauvoll! Gratulation!

Gertraud Klemm: Muttergehäuse. Rez.: Eva Riebler-Übleis

K. Kumersberger & W. Vogel: Wunderland Korrekturrand. Rez.: Eva Riebler-Übleis


 

Eva Riebler-Übleis

K. Kumersberger & W. Vogel:
Wunderland Korrekturrand
Wien, Holzbaum: 2016, 62 S.

ISBN 978-3-902980-41-0

Kummer & Vogel. Ja, dieses Werk bereitet wirklichen Kummer! Ist es doch eine Sammlung von sprachlichen Pannen, die aus 30 Jahren Schulerfahrung stammen und der zweite Band nach der Stilblütensammlung 2014 „Ein Geräusch klopft an die Tür“. Was Schüler so schreiben, ist meist kein „Hopala-Irrtum“, sondern lässt  in ihr Innerstes blicken und stellt ihr Niveau klar und deutlich dar!

Da brauchen wir keine Pisa-Studie mehr, um zu sehen, wie tief die Bildung gesunken ist. Dieses Werk macht es uns deutlich.

Leider, muss man feststellen, dass die beiden Autoren wohl in der Oberstufe Deutsch unterrichten und diese bonnes mots sammeln, da sie beide Germanistik studiert haben; denn diese Sprach- und Schreibpannen würde ich gerne in die Unterstufe einordnen, da sie wirklich peinlich sind: Z.B. S. 49 Tommy gelangt aufgrund seiner Schläfrigkeit auf ein Auswanderungsschiff nach Amerika. Mit drei Pence in der Tasche erreicht er Sydney. – oder – Seine Identität bleibt bis zum Anfang hin ungeklärt … Natürlich geht es oft nicht um sprachliche Mängel, sondern auch um die Vorstellungskraft: Z.B. Sie fahren zu einer Schlucht, die über ein Flussbett führt. – oder komischer Weise wie die Texte oben beim Kapitel Literarischen Splitter & Scherben eingeordnet: Wo genau das Buch spielt, ist nicht wirklich bekannt, ich schätze aber in Preußen, weil es relativ nah an Rom liegt. – oder bei der Inhaltsangabe von Schillers „Räubern“: Am Ende endet alles in einem Drama!

Ob es sinnvoll ist, solche Schülerzitate zum Schmunzeln zu sammeln und herauszugeben, oder dies beschämt zu beenden, um nicht den Bildungsnotstand ausrufen zu müssen, sei mit  dem letzten Zitat dahingestellt: „Ernüchterndes Fazit einer Schülerin über Lessings Ringparabel: Ich persönlich finde, dass jeder an das glauben soll, woran er will. Und da mir die so genannte Ringparabel nicht mehr sagt, als dass sie wie ein mathematisches Paradoxon klingt, hat es nicht viel Sinn hier weiterzuschreiben.“

K. Kumersberger & W. Vogel: Wunderland Korrekturrand. Rez.: Eva Riebler-Übleis

Caspar Jenny: Der Waran. Rez.: Eva Riebler-Übleis

 
 

Eva Riebler-Übleis

Caspar Jenny
Der Waran. Roman
Ludwigsburg: Killroy media Verlag, 2015, 225 S.

ISBN 978-3-931140-15-1

Ein grauenhaftes Familienbild und KZ-Lager-Szenario.  „Wollen Sie das Buch  kaufen? Es ist ein schrecklich“, sagte …. Und so ist es auch mit diesem Werk. Einfach schrecklich! Schrecklich gut!

Es geht um den tödlichen Biss des Warans, der zu Beginn des Romans die alte Mutter ist. Sie ist die personifizierte Vernichtung, tötet zwei ihrer Töchter und vererbt diesen Tötungswillen an die dritte Tochter R. Deren Sohn Ran wird später der Rächer. Der brutale Bestseller Autor  A. wird der Ehemann von R. und gemeinsam feiern die beiden ihre Vereinigung mit der Tötung ihrer Tochter, die noch in der Wiege liegt. S 172. Nichts mehr würde sich zwischen sie stellen.Zum ersten Male hatte A. die Freiheit erlebt, als er Flüchtlinge erschossen hatte … Der Autor A. hat dem blutrünstigen, berüchtigten SS- Lagerarzt Dr. Jos, der einen Waran und einen Gehilfen aus den Sümpfen beschäftigt und mit Menschen füttert, ein Opfer versprochen. Und dieses Opfer soll nun sein Stiefsohn Ran sein. Dieser findet jedoch Kraft sich zu widersetzen durch den Willen seine ermordete kleine Schwester zu rächen und durch die Ruhe am wilden, ungepflegten Friedhof der armen im Lager getöteten Seelen.

Die vielen Schrecklichkeiten, z.B. die Tötung eigener Kinder, die brutalen Vorgänge in den Zellen und Folterkammern des Kriegslagers sind dermaßen sprachlich untermauert, dass man die Grässlichkeiten nicht um des Schauerns willen liest, sondern weiß, dass es um das Begreifen geht. Das Begreifen, dass es wirklich Menschen gab oder gibt, die eine Welt gestalten und erschaffen wollen, die jede Vorstellungskraft sprengte. Zitat S. 150: das Ziel war eine vollkommene Plastik des Bösen, die alle Elemente der Grausamkeiten zu einem Ganzen zusammenführte.

Also Folter und Tod nicht aus Blutrünstigkeit, sondern  als Gestaltungswillen und Parallele zur Kunst an und für sich: Zitat S.150 ff: Am liebsten hätte A. seine Bücher mit dem Blut seiner Opfer geschrieben. Seine Feder in die offenen Wunden getaucht ….                          

Caspar Jenny: Der Waran. Rez.: Eva Riebler-Übleis

Synke Köhler: Kameraübung. Erzählungen Rez.: Eva Riebler-Übleis

 
 

Eva Riebler-Übleis

Synke Köhler
Kameraübung. Erzählungen
Wien: Kremayr & Scheriau
126 S.
ISBN 9-783218-010245

Synke Köhler, geb. 1970 in Dresden, hat nachdem sie für die erste Erzählung in diesem Band „Nachbild“ den Newcomer-Preis des Literaturwettbewerbs Wartholz nun ihr Prosadebüt vorgelegt.

Alltagsmomente, Begegnungen und Befindlichkeiten sowie Gedanken der Protagonisten werden von ihr systematisch wie mit der Linse der Kamera festgehalten. Objektiv wie durch ein Objektiv ist ihre Erzählweise. Keine Deutungen oder philosophischen Hintergründe werden eingefügt – es ist, wie und was es ist!

Und wenn es nur ein Angler, der ohne Angel in der kleinen Bucht sitzt, ist – oder ein gegenseitiges Verpassen von Mutter und Vater bei einer Bergtour mit den Kindern ist. Auch das Auftauchen und wieder Verschwinden eines hungrigen Fremden, oder eines kleinen Jungen kann das Hauptereignis einer Erzählung bilden.

Auf alle Fälle wird realistisch, minutiös geschildert, was passiert, wobei meistens fast nichts passiert. Und darum geht es ja – die Aufmerksamkeit des Lesers wird durch die geringe Handlungsdichte gesteigert oder erst hervorgerufen. Er fühlt mit, er setzt sich in die Gedanken eines Anglers ohne Angel, eines Landstreichers oder kleinen Jungen, der sich stets als Außenseiter fühlt oder in die eines anderen Außenseiters, eines Inselbewohners, der im Tourismusgebiet vom Vermieten lebt und trotzdem das Meer zu hassen vorgibt.

Kleine Gegensätze wie diese stehen als Thema da.

Und das ist die Kunst, die Erzählkunst der Autorin, mit Beobachtung und einfacher lakonischer Umgangssprache Gefühle zu schildern und mehr zu beobachten und auszudrücken als die handelnden Personen selbst wahrnehmen.

Auch ist oft die Sprache z.B. bei einer romantischen Erzählung poetischer und leichter. Z.B. S. 80 „Ein Lächeln gleitet an den Balkonblumen entlang. Ihre Füße hinterlassen einen vorsichtigen Eindruck im frisch gefallenen Sommerlichschnee. Glitzern.“

Ein Band mit unerwarteten Erzählungen, leisen Beobachtungen ohne Action oder Surrealismus und trotzdem sehr spannend!

Synke Köhler: Kameraübung. Erzählungen Rez.: Eva Riebler-Übleis

Tania Witte: Bestenfalls alles. Rez.: Cornelia Stahl

Cornelia Stahl
Sehnsüchte und Identitätssuche im Dschungel der Berliner Großstadt.

 

Tania Witte:
Bestenfalls alles
Roman. Berlin: Queerverlag
2014. 288 Seiten
ISBN: 978-3-89656-224-1

Tania Witte beendet mit ihrem Roman „Bestenfalls alles” ihre Berlin-Triologie, in der sie mit Witz und Charme und witte-typischen Satzkonstruktionen von den Protagonisten der Berliner Großstadt, abseits der bürgerlichen Existenz erzählt. Tekgül könnte eigentlich glücklich sein, hat sie doch als Model, gerade aufgrund ihres Migrationshintergrundes, unnachahmlichen Erfolg. Doch von der Branche und dem sich zur Schau stellen hat sie langsam aber sicher die Nase voll. Nach mehrmaligen Anläufen gelingt es ihr, endlich an der Kunsthochschule zu studieren. Soweit alles in bester Ordnung, wäre da nicht ein Geheimnis, dem sie allmählich auf die Spur kommt: Als kleines Mädchen wurde sie zur Adoption freigegeben, lebt nun schon jahrelang bei ihren Eltern, die ihr einen neuen Namen und eine neue Identität gegeben haben. Krisengeschüttelt stürzt sie sich ins Abenteuer, ihre leibliche Mutter aufzuspüren. Es beginnt eine Suche in der Welt da draußen, abseits der Berliner Subkultur. Ihre beste Freundin Nicoletta hat nichts anderes zu tun, als sich während dessen mit ihren alten Jugendlieben zu amüsieren. Beide Freundinnen machen sich zeitgleich auf den Weg, beginnen die Suche nach Orten und Plätzen, wo damals alles begann. Tania Witte schafft wieder einmal sympathische Figuren, mit denen man von Anfang an Seite an Seite durch den Großstadtdschungel surft und hautnah dran ist am Geschehen. Ihr unkonventioneller Stil bereitet Lesevergnügen und kann jungen Lesern empfohlen werden.

Tania Witte: Bestenfalls alles. Rez.: Cornelia Stahl