Buch

Vincents Sternennacht u. a. Geschichten: Eine Kunstgeschichte f. Kinder

Eva Riebler

Vincents Sternennacht u. a. Geschichten: Eine Kunstgeschichte f. Kinder
Michael Bird, Kate Evans/Ill. ORG: Org. 2016, 3. Aufl. 2019,
Midas Zürich,
336 S.
ISBN 978-3-03876-11-6

68 Geschichten über Künstlerpersönlichkeiten im spannenden Erzählton für Kinder. Jeder Zugang zum Künstler ist individuell passend und verschieden von allen anderen. Einmal wird der berühmte  Kunstdrucker Hokusai mit seinen Ansichten vom Fuji zum Großvater einer Ich- Erzählung, dann wird  das Zwiegespräch zwischen dem Portraitiertem Arnolfini und dem Maler Jan van Eyck als Anlass für die Vorstellung der Künstlerpersönlichkeit genommen und meist wird aus der Sicht des Künstlers selbst erzählt, wie es zu einem Gemälde kam. Zur Zeit der französischen Revolution schildert der Maler Jacques-Louis David wie es zum berühmten Ölbild des toten Marats, des Freundes Robespierres kam und dass es denkbar sei, dass dieser Mord vielleicht den Gang der Revolution ändere. Die Adlerkrieger der Azteken werden plastisch mit ihrer Epoche in Mexiko und in Europa um 1480 geschildert.

Die Motive und der Vorgang der Höhlenmalerei um 40.000 bis zur Zivilisation stehen am Beginn des historischen Reigens und als Ende ist der in China unbeliebte Ai Weiwei mit seiner Installation von hunderten Sonnenblumen 2011 aus Porzellan angeführt. Die Kunstwerke weisen auf den Schöpfer und seine Intention hin und erzählen von fernen Orten und Gebräuchen.

Ganz spannend fügt sich der Zeitgeist, die Epoche, die soziale und persönliche Lebenssituation oder der Vorgang des Arbeitsprozesses in die jeweilige Geschichte ein.

Eine Karte, eine Zeitleiste und ein Glossar sowie eine Liste der 68 Kunstwerke sind dem wertvollen Band angeschlossen. Michael Bird leistete viel Arbeit/Recherche und hat ein einzigartiges psychologisches Verständnis, genauso wie Kate Evans mit ihren gelungenen persönlichen Illustrationen als verbindendes Element.

Ein wunderbar aufregendes Buch! Kunst wird lebendig. Sie kann gefühlt werden und das Schicksal der Künstlerpersönlichkeiten ebenso! Das Gestern wird zum Heute!

Kindgerecht kurbelt diese Kunstgeschichten die Fantasie der Kinder und ihr Interesse oder ihr Verständnis an.

Manichi Yoshimura: Kein schönerer Ort

Eva Riebler

Manichi Yoshimura: Kein schönerer Ort.
Roman
cass-verlag,
Löhne 2018,
158 Seiten
ISBN 978-3-944751-19-1

Katastrophe vorbei? Es ist eine Zwischenzeit, eine Zeit der Ängste, des Verschweigens, Verdeckens und Sterbens. Niemand wird angeklagt, kein Schuldiger genannt und doch weiß der Leser um den totalitären Staat und seine Unterdrückungsmechanismen. Jede Reaktor-Katastrophe mag gemeint sein, jedenfalls ist es anlässlich der Reaktorkatastrophe Fukushima vom 11.3.2011 in Japan geschrieben und 2018 ins Deutsche übersetzt worden.

Ganz langsam beginnt die Erzählung aus der Sicht einer 11-jährigen Japanerin, die mit ihrer Mutter in ärmlichen Verhältnissen lebt und sie wie den Schulbetrieb aufs Genaueste beobachtet. Da klare Fragen oder Antworten im autoritären Schulalltag nicht üblich sind, sind die kindlichen/pubertären Reflektionen sehr kenntnisreich. In dem der/die Leser/in sie durch den Alltag begleitet, hat er/sie die Möglichkeit peu a peu die Lebenssituation zu erkennen: Das siebte, das achte Kind stirbt in dieser Schule, später sind es elf, LehrerInnen werden ausgewechselt, ständig wird jeder beargwöhnt, überall streng zurechtgewiesen. Frische Lebensmittel, auf denen farbenfrohe Aufkleber prangen, wie „Sicherheitssiegel“, „Unbedenklichkeitssiegel“ – werden von der Mutter im Supermarkt gekauft, müssen hergeschenkt bzw. zuhause in den Müll wandern, obwohl man arm ist usw.

So erschließt sich im indirekten Schildern der Situation die Unmöglichkeit des selbstbestimmten Lebens, die Unfreiheit und der Unterdrückungsapparat, der mit Angst und verstärktem Gemeinschaftssinn nach dem Motto: Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns! arbeitet.

Dieses Buch ist spannend zu lesen und der wertvollste Beitrag gegen Gleichschaltung und impft gegen verordnete Lügen – daher gehört es in jede Bibliothek und vor allem als Klassenlektüre in die Schulbibliothek ab der Unterstufe!

Gerade in Zeiten von/nach Corona ist dieses Buch der Zwischentöne ein wesentlicher Beitrag des Erlebens der Nicht-Verantwortung

Katharina Tiwald: Macbeth Melania

Klaus Ebner

Katharina Tiwald: Macbeth Melania
Roman, 144 Seiten
Milena Verlag, Wien 2020
ISBN 978-3-903184480

 

Populistenmoritat

Michael Knutkovsky ist Deutscher. So ein richtiger, würde man sagen. Er ist PR-Fachmann, und als solcher wird er von den österreichischen Sozialdemokraten engagiert, um die Wahl gegen das erstmals antretende »Bubi« zu einem Sieg zu bringen. Wie wir aus unserer jungen Geschichte wissen, ein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen.

Viele der wohl bekannten Namen aus der Politik werden gar nicht genannt – das ist auch gar nicht notwendig. Für einen kurzen Lacher sorgt auch, wenn die 1979 in Wiener Neustadt geborene Autorin Katharina Tiwald dann ihre Protagonistin »die Tiwald« einführt, die auch sonst eine Menge mit ihrer Schöpferin gemein hat.

Der deutsche PR-Mann erhält die Aufgabe, ein Bezirkstheater aus dem Boden zu stampfen, und »die Tiwald« soll ein Stück dazu schreiben. Die Wahl fällt auf eine moderne Version von Macbeth, als deren Hauptfiguren der amerikanische Präsident und seine aus Slowenien stammende Frau Melania fungieren.

Auch ein paar Liebesgeschichten beschäftigen die Protagonisten; dass jedoch der deutsche PR-Mann ausgerechnet »Bubis« Exfreundin auf den Leim geht und dieses Techtelmechtel offensichtlich nur einen politisch-berechnenden Hintergrund hat, vibriert vor Klamauk und Schadenfreude.

Der Roman präsentiert sich als schrille Komödie, die ihren mitunter beißenden Spott über die politische Landschaft Österreichs und bis zu einem gewissen Grad auch über die Weltpolitik ergießt, die heute von Herrschenden des gleichen populistischen Typs dirigiert wird. Und das Theaterstück wird am Ende aufgeführt: Eine vor dem Bürgerkrieg in ihrem Land geflohene Syrerin verkörpert Melania Trump, und weitere Rollen werden von hiesigen Expolitikern und Entertainern besetzt.

Das Buch »Macbeth Melania« kam im Wiener Milena Verlag heraus. Hart gebunden, sehr schön und sorgfältig gestaltet: So bereitet es eine doppelte Freude, den Roman zur Hand zu nehmen und zu lesen.

 

Anneliese Merkac-Hauser: Fernweh sucht Heimweh

Eva Riebler

Anneliese Merkac-Hauser: Fernweh sucht Heimweh
Lyrik, Fran Verlag, 
Klagenfurt 2020, 96 Seiten
ISBN 978-3-9028320-7

Texte schleppen dich in Träume. Die Lyrik Annelieses Merkac-Hauser, geboren 1952 in Grieskirchen/OÖ, Germanistin und Musikpädagogin in Salzburg und Viktrin/Klagenfurt, ist kein Genre, das Rosen streut und in der Natur Kraft schöpft. Ihre Lyrik ist viel differenzierter, viel weiter und essentieller. Sie schöpft und vergibt Kraft. Ihre Worte drücken Brennnesseln auf die nackte Brust – und das tut dennoch gut.

Es klingt sehr viel über Tod und traurige Verletzung durch. Z.B. „Kahl geschlagen hast du mein Herz ...“ S. 54. Oder: „Zwischen den Wörtern raubst du den Atem … Zwischen den Wörtern raubst du die Wahrheit … zwischen den Wörtern will ich aufrecht stehen … S. 52. Hier sieht der Leser, die Leserin schon die aufrechte Kraft und Klarheit nicht nur der Texte, sondern der Autorin selbst.

Die Aussagen und die unbarmherzige Tiefe schmerzen. Die Wahrheit liegt offen und lässt sich erleben.

Die wenigen Begriffe, stets ohne Adjektive, die verzerren oder einschränken könnten, sind der durchgängige Sprachduktus. Dadurch wird das Narrative in eine Dimension gesteigert, die es erst einmal zu erfassen gilt.

Das Aussparen ist das Lyrische und Aussagekräftige. Die Gedichte wirken ungefeilt, ungeschminkt, ehrlich und trotzdem nicht dürr und platt. Der Inhalt wirkt im Lesenden nach. Ganz wenige Zeilen entfaltet sich zu etwas Großem. Es ist immer eine Bestandsaufnahme der Welt und der Sozietät des Menschen und entwickelt sich nie zu einem Hilfeschrei oder zu einer Anklage. Kein pädagogischer Zeigefinder stört und kein Verursacher wird angeklagt. Es gibt keinen Richter und keinen Gott; auch wenn Kain Abel erschlägt oder vielleicht die Nazis die Juden oder eine Vergewaltigung stattfindet. „Hinter der Scheune blutet die Axt … „S. 54 und „aus der Lunge schwindet der Atem“ S. 87.

Es ist wie es ist. Und es soll unbedingt gelesen werden! Es ist erstklassige Lyrik!                                             

Petra Gabnglbauer: Gefeuerte Sätze

Cornelia Stahl

Petra Ganglbauer: Gefeuerte Sätze.
Limbus Lyrik. 94 Sätze.
Innsbruck-Wien. 2019.
ISBN: 978-3-99039-145-7

Wenn Narben nie verheilen

Die österreichische Autorin Petra Ganglbauer greift im aktuellen Lyrikband Themen wie  Heimat, Flucht und Sprache auf, die im Gedichtband „Wie eine Landschaft aus dem Jahre Schnee“ (2017) bereits im Focus standen. Das Cover ziert Schlauchboote, Ruderboote und Rettungsringe und verweist auf die Thematik, welche seit 2015 meist unter dem Wort „Flüchtlingskrise“ subsumiert wurde. Das Bild der Seenotretterin Carola Rakete taucht auf, die den Ertrinkenden Humanität entgegenzusetzen versuchte. -

Ganglbauer setzt sich mit sprachlichen Mitteln mit den oben genannten Themen auseinander. Sie unterteilt ihren Lyrikband in eine Trias: Gewalt Muster/ Revisited/ Blessuren. „Gefeuerte Sätze“ lässt an Kriegszustände denken, an Gewehre, Raketen und Pistolen, aus denen Schüsse abgefeuert werden. Aber auch Worte, Sätze, die  hinausgeschleudert oder gebrüllt werden, können mitunter als Schüsse empfunden werden. Das eingangs assoziierte Bild der Ertrinkenden korrespondiert an anderen Stellen mit Abbildungen, die aus Konzentrationslagern wie Mauthausen bekannt sind: „Massenhaft Rippen gezählt... Als hart verlassene namenlose Körper“ (S.8). Das Elend, medial aufbereitet, punktuell angereichert mit Fake News, verschmilzt zu einer klebrigen Masse, verstellt den Blick auf die Realität, lässt Individuen verblassen: „Das Schimmern der Namenlosen. Zu Erde verdichtet, zu Staub“ (S.9). - Ganglbauers Texte eröffenen Möglichkeiten einer tiefer gehenden Auseinandersetzung mit einem zeitgenössischen Thema. Empfehlenswert!

 

Petra Ganglbauer, geb, 1958 in Graz, lebt in Wien, ist Radiokünstlerin, Leiterin des Lehrgangs für Schreibpädagogik, Wien. Veröffentlichungen (Auswahl): Die Unbeugsame. Petra Ganglbauer über Jeannie Ebner. Mandelbaum, 2018. P.ROSA. mit Sophie Reyer, Klever, 2019.