Buch

Axel Karner: In adern dünn brach licht

Eva Riebler

Axel Karner:
In adern dünn brach licht

Wieser Verlag, Klagenfurt
2020, 46 Seiten
ISBN 978-3-99029-428-4

Lebens-Miniaturen: Axel Karner wurde 1955 in Zlan, Oberkrain/Slowenien geboren, unterrichtete in Wien evangelische Religion und darstellendes Spiel und soziales Lernen. Er veröffentlichte nun seinen siebten Gedichtband. Dieses Mal fehlen die Illustrationen. Sie müssten Wunden, Tod und Verbrechen beinhalten. Die Texte kommen daher im Umfang klein und zart, in der Wirkung umso gewichtiger einher.
46 Seiten Miniaturen, die das Leben und das tragische Vergehen desselben beleuchten.
Was bleibt? Die lyrischen Kleinodien!
Karners Lyrik ist gespickt mit bösen Erinnerungen und Wunden, die nicht heilen und bis in die Nazi-Zeit oder die 70er Jahre zurückreichen.
Täter des Wortes werden wie auch die Moral der Bürger angeklagt. Die Schrift hält sich fern und die Gerechtigkeit auch, meint er.
Er oder das lyrische Ich spüren Angst, Leid, und Tod, sehen eiternde Gliedmaßen, durchschnittene Kehlen, ein weinendes Kind, ertränkte Kinder und den Leichenzug seines Vaters. Rätsel werden auf Erden keine gelöst und Gott ist nicht erst seit heute tot, kann man lesen. Es gibt keinen Ausweg, der Stärkere siegt und verstümmelt und mordet grausam. Er darf hinter zerschlissenen Fahnen am Fenster lehnen, rauchen und töten. Auch die letzten Seiten zeugen von keinerlei Hoffnung, der Hals kann geboten werden – S. 45: …“was macht`s, brecht mir den Hals.“ … aus tiefen Höhlen steigt bloß das Weinen und die Seufzer von ertränkten Kindern empor.
– Alles in allem eine sehr düstere Welt, voll mit Leid und Anklage. Paul Celan fällt einem ein, jedoch noch bruchstückhafter und düsterer. Es bleibt – oder auch nicht – der Satz: „Damit ich leben kann, darf ich sterben.“ und nur die paradoxe Erinnerung, eingeschrieben im eigenen Leib: Seite 46: Augenspiel tot. „Das Land trag ich tief in mir. Daran geh ich fehl.“ Ein poetisches Werk, voll der Wehmut und der Wahrheit!

Reingard Dirscherl: Tägliches Befremden

Eva Riebler

Reingard Dirscherl:
Tägliches Befremden

Geschichten & Begegnungen
Frankfurt a.M. kurz&bündig
2020, 144 Seiten
ISBN 978-3-907126-34-9

Belebte Dinge: Dirscherl lebt im Iran und im Osten der Türkei und ist als Deutschlehrerin für MigrantInnen aus verschiedensten Herkunftsgebieten mit der Problematik der trans- oder interkulturellen Kommunikation vertraut. Sie ignoriert die Stummheit der Dinge, seien es Füße oder Buchstaben. Auch diese sprechen zu uns - und vor allem sehr wichtige Sätze mit weisem Inhalt über ethnische und soziale Perspektiven z. B. in der Schweiz: Die A B C - Buchstaben wollen wie die Einheimischen gleichberechtigt sein und nicht als Asylanten oder Ns gelten, die einst aufrecht dreimal so lang wie der Buchstabe I waren, - bevor sie zweimal geknickt wurden. – Diese Geschichten zeigt Ungerechtigkeiten unserer Zeit, die zum genauen Hinschauen gedacht sind. Auch die letzte Erzählung handelt vom Fremdsein einer in einem islamischen Gottesstaat Gebürtigen, die es in die Schweiz - oder wie in der Erzählung „Von West nach Ost und zurück” nach Paris verschlagen hatte. Da kann es z. B. schon sein, dass man nach Nordwesten betet, statt nach Osten, nach Mekka, und die Kaaba heimlich durch die Kathedrale von Notre Dame ersetzte. Solche direkt aus dem Alltag gegriffenen Begebenheiten fesseln und faszinieren. Der Leser wird bereichert, entdeckt ihm Fremdes und Eigenes aus seinem Lebensbereich. Mit dem Kennenlernen anderer Kulturen, anderer Nöte lernt er seine Kultur zu durchleuchten, abzutasten nach befremdenden Handlungsweisen, die eine Zuwanderin aus dem Iran missverstehen könnte.
Aus zwei Blickwinkeln. Dem eigenen und dem des Fremden wird deutlich wie interkulturelle Begegnungen Irritation oder Staunen erzeugen können. Auf alle Fälle: Spannende Geschichten, basierend auf kulturellen, sprachlichen, religiösen Unterschieden, die auf Grund von Migration entstehen. Ein Perspektivenwechsel in so elegante, humorvoll Sprache gekleidet, ist eine Bereicherung! Jede der Erzählungen wartet mit originellen Überraschungen auf den Leser!

Agnes Ofner: Nicht so das Bilderbuchmädchen

Cornelia Stahl

Agnes Ofner:
Nicht so das Bilderbuchmädchen

Wien: Jungbrunnen
2019, 180 Seiten
ISBN: 978-3-7026-5937-0.

Identitätsfindung in der Adoleszenz. Sich wohlfühlen im eigenen Körper, fällt meist nicht leicht. Insbesondere in der Pubertät stehen Jugendliche stundenlang vor dem Spiegel und sich selbst im Weg, beäugen selbstkritisch ihr Äußeres, das meist eigenen Erwartungen entgegensteht.
Agnes Ofner, illustrierte 2016 ihr erstes Kinderbuch. Im vorliegenden Debüt erzählt sie einfühlsam von der zaghaften Annäherung zwischen Sam und Zara, die als Nachbarn einander ins gegenüberliegende Fenster blicken und am Leben der jeweils anderen Familie teilhaben können. Zaras Blick schweift wiederholt in die Nachbarswohnung und beobachtet das Weinen eines
Jungen in ihrem Alter. Unruhe und Verzweiflung breiten sich aus, sind der Auslöser dafür, der anhaltenden Traurigkeit des Nachbarsjungen nachzugehen. Anfängliche Kontaktversuche per Zettel am jeweiligen Fenster lösen mal Freude, mal Missverständnisse beim Gegenüber aus.
Sams Traurigkeit und Unwohlsein im eigenen Körper erscheint zunächst wie ein sperriger Balken am Weg, überschattet die Kommunikation zwischen den Beiden.
Der Autorin gelingt eine präzise und empathische Figurenzeichnung, die den Lesenden ausreichend Identifikationsfläche bietet. Sams Leidensdruck, im falschen Körper zu stecken, erscheint glaubhaft, lässt Lesende mitleiden, alsbald erleichtert aufatmen, da die Hintergrundfolie des Verstehen durch die Liebe der Mutter wie ein Polster wirkt, der alles Sperrige von außen abfedert. Mit der Skizzierung der Mutter-Kind-Beziehung verwebt Ofner ein humanistisches Menschenbild, das ohne Kategorisierungen auskommt. Das Genderthema fließt unaufgeregt in die Erzählung, ohne moralischen Impetus, evoziert Zivilcourage und Solidarität.

Agnes Ofner, geboren 1989, Illustratorin, Autorin, Luftakrobatin. Für ihr Debüt „Nicht so das Bilderbuchmädchen“ erhielt sie den Österreichischen Jugendbuchpreis 2020.

Sabine M. Gruber: 111 Orte im Wienerwald

Cornelia Stahl

Sabine M. Gruber:
111 Orte im Wienerwald

Köln: Emons-Verlag
2020, 240 Seiten
ISBN: 9783740808440

Vom Planetenweg zum Meeresstrand. Als der Wienerwald noch am Badener Meeresstrand lag – wann war das noch? Auf Antworten stoßen wir im Wienerwaldmuseum in Eichgraben. Und wo befindet sich der Mittelpunkt (nicht der Erde), der Landesmittelpunkt Niederösterreichs? (S.7).
Über den Wolken möchte der Besucher schweben, sobald er das als Werkstatt konzipierte Flugzeug-Museum nahe Bad Vöslau betritt (S.30). Dass Julius Raab von hier aus 1945 nach Moskau startete, scheint weitgehend unbekannt.
Weiter geht`s zur Kruppstadt, benannt nach dem erfolgreichen Unternehmer Arthur Krupp, der als kunstsinniger Mäzen das Stadttheater bauen und Spuren für die Nachwelt hinterließ (S.36).
Was macht den Beruf des Pechers aus? Und was verbirgt sich hinter der mühevollen Arbeit des Harzens? Die Antworten kann man sich auf dem Pecherlehrpfad (S.62) erwandern. Zeugnisse körperlicher und geistiger Arbeit entdecken wir wie nebenbei beim Durchqueren des Waldes und stoßen auf Hinweise und Kleinode abseits der Wege.
Das Weinheber-Haus in Kirchstetten (S.74) erzählt vom Dichter Josef Weinheber, seinem Stigma als Nazi- Poeten und seiner Sehnsucht nach Anerkennung. Kurz liiert war er mit Anna Fröhlich, die ihn jedoch verließ. Auf dem Friedhof in Kirchstetten entdecken wir das Grab des Dichterkollegen Wystam Hugh Auden (S.76), dem das Land Niederösterreich eine separate Ausstellung widmete.
Die Klosterneuburgerin Sabin M. Gruber führt uns kenntnisreich auf Planeten-, Dichter und Wanderwegen, liefert Anfahrtswege, Telefonnummern samt
Webseiten. Ergänzend bezaubert sie mit passenden Fotografien.
Wer kann da schon widerstehen! Empfehlenswert!

Jürgen Heimlich: Die Rückkerhr von K.

Klaus Ebner

Jürgen Heimlich:
Die Rückkehr von K.

Erzählung,
26|Twentysix, Norderstedt
2020, 80 Seiten
ISBN 978-3-740770242

Kafkaesk. Jürgen Heimlich untertitelt sein Buch »(K) eine Biographie«, und das bildet den Ausgangspunkt. In dieser Erzählung tritt der Autor selbst auf, gibt Persönliches preis und spricht vor allem über sein emotionales Verhältnis zu Franz Kafka. Angelpunkte aus dem Leben des Prager Dichters stellen die zweite Säule, vor allem aber eine Reihe von Figuren, die aus Kafkas Werk stammen und dem Erzähler imaginäre oder auch wirkliche Besuche abstatten.
Der Besuch von Max Brod löst eine Reise nach Prag aus, die Heimlich, der kurz vor seinem fünfzigsten Geburtstag steht und eine Biografie über Franz Kafka schreiben möchte, mit Begeisterung antritt. Dort wird er ins Naturtheater von Oklahoma aufgenommen, das sich, worauf mehrmals hingewiesen wird, lediglich im einem fiktiven Amerika befindet, weil Kafka ja zeitlebens nie dort war.
Die auftretenden Figuren sprechen Heimlich von sich aus an; immer wissen sie, wer er ist und dass er im Begriff ist, ein Buch über ihren Schöpfer zu verfassen. Sie wollen Hilfestellungen geben, verharren aber dann doch in ihren persönlichen Eigenheiten, wie wir sie aus den Erzählungen Kafkas kennen.
Was der Erzähler an seinem ersten Tag im Theater erlebt, lässt nicht nur Protagonisten wie Frieda, Blumfeld, den Affen Rotpeter und Karl Roßmann Revue passieren, sondern klingt vielfach an die verworrene Suche K.s in »Der Prozess« an, enthält eine Menge Anspielungen und lässt, ganz in kafka`scher und kafkaesker Manier, vieles offen. Dabei vermengt der Autor die fiktionalen Personen Kafkas mit dessen Biografie und dem eigenen Lese- und Schreibprozess, in dem der Prager stets einen fixen Platz hatte.

Der Wiener Jürgen Heimlich, Jahrgang 1971, schrieb mehrere Kriminalromane und Bücher über Wiener Zentralfriedhöfe. 2019 wurde ein Theaterstück für Kinder in Innsbruck uraufgeführt.