54/blind/Essay: Marcella Maler - Bildungswesen

Marcella Maler
Bildungswesen
„Zu allem fähig, aber zu nichts zu gebrauchen.”

 

Wer kennt solche Sprüche nicht zur Genüge? Oder die Formulierung: „stets bemüht“. Niemand möchte so etwas gerne über sich selbst hören, aber treffender kann man unser Bildungssystem kaum beschreiben. Zumindest wenn man kein Verschwörungstheoretiker ist, der an die absichtliche Verdummung des gemeinen Volkes glaubt.
Keine Frage, es gibt sie, die engagierten, rhetorisch bewanderten, fachlich und vor allem sozial kompetenten Lehrer, die einem ein Leben lang in positiver Erinnerung durchs Leben begleiten, und ich hatte sogar das Glück, einige von ihnen kennenlernen zu dürfen, aber einmal ehrlich, die waren bei Ihnen auch in der Minderheit, oder? Es greift aber eindeutig zu kurz, die Schuld den Lehrern in die Schuhe schieben zu wollen. Es bedarf eines vollkommenen Systems, um so am Ziel vorbei eine Wende zu schaffen und das genaue Gegenteil zu erreichen. Erst dieser riesige Beamtenmoloch, der politisch ferngesteuert, jede Veränderung als persönlichen Angriff begreift, den (von diesem System dazu erzogenen) unmündigen Bürgern, die einen Schuldigen für die verortete Misere brauchen und sich von billiger Polemik mitreißen lassen, gegenseitige Pauschalurteile, aber keine Handhabe gegen tatsächliche Fehlentwicklungen, Zwang und Angst vor persönlichen Repressalien zwingen alle Beteiligten in ein Korsett, dass jede Bildungsreform im Keim erstickt.
Blind wird versucht, ein gescheitertes Modell am Leben zu erhalten, aus purem Egoismus, um die eigene Situation vermeintlich nicht zu verschlechtern. Und – auch das muss einmal gesagt sein – auch Eltern sind Teil des Systems. Getrieben von der Angst, dass die Kinder schlechte Chancen in ihrem späteren Leben haben, treiben wir sie in eine Selektionsmaschinerie, die mit zunehmendem Eifer der Eltern immer schlechter zu funktionieren scheint. Die boomende Branche der Nachhilfeinstitute sind der beste Beweis, dass der Lehrauftrag an unseren Schulen teilweise bereits im Volksschulalter nicht das erfüllt, was wir uns für unsere Kinder erwarten. Wir fordern von unseren Kindern gute Noten, um ihnen den späteren beruflichen Einstieg zu erleichtern, übersehen dabei, dass aber das Erreichen einer guten Note häufig zwangsweise das Deaktivieren von Gerhirntätigkeit erfordert. Stures Auswendiglernen ist in diesem System oft leichter, als schlüssige Ergebnisse zu erarbeiten. Blinder Gehorsam sich scheinbar lohnt. Manchmal stelle ich mir nur die Frage, ob wir uns auch das Richtige von den Schülern, aber auch vom Bildungssystem erwarten. Ständig werden Kompetenzen gefordert, eigenständiges Denken, vernetztes Handeln und sonstige Begriffe schwirren durch den Raum, wenn es darum geht, was unsere Kinder für ihren zukünftigen Arbeitsplatz mitbringen müssen.
Aber warum werden sie dann in Institutionen gepfercht, in denen ihnen all dies mit aller Gewalt abgewöhnt wird? Ist es wirklich das, was die Gesellschaft haben will? Benötigen wir nicht eher vertrottelte Sklaven, die unsinnige Arbeit verrichten, um sich unsinnige Dinge leisten zu können, damit wir ein unsinniges System am Leben erhalten können? Dann brauchen wir aber keine Bildungsreform, denn die Vorgaben werden schon übererfüllt. Der Lehrplan lässt keine Zeit für eigenständiges Denken und Hinterfragen. Schulunterlagen werden so gestaltet, dass es selbst (beruflich) vorbelasteten Menschen manchmal schwer fällt, Zusammenhänge zu erkennen, noch dazu, wo viele Unterlagen nur so vor Fehlern strotzen und demotiviertes Lehrpersonal es als ausreichend empfindet, streng nach dem Löser zu unterrichtet, natürlich brav, so wie seinerzeit erlernt. System-müde, desillusioniert und demotiviert suchen sie die paar Vorteile zu nutzen, die ihnen ja auch ständig vorgehalten werden.
Und so gibt es 2013 nach wie vor Volksschüler, die Schillingbeispiele zum Rechnen vorgesetzt bekommen, so manchen Geschichtsunterricht, in dem das WTC immer noch steht, Berufsschulen, die nur Wirtschaftsversager zum Unterrichten der Fachbereiche finden und den Staatsdienst, der seine Aufnahmekriterien an die Bewerber nach unten nivellieren muss. Bald werden in Werbekatalogen nur mehr Bilder zu finden sein. Nicht nur, weil sinnerfassendes Lesen out ist, sondern auch, weil das Gestammel, das dort immer öfter zu finden ist, leider auch von Kundigen nicht mehr übersetzt werden kann. Der deutschen Philosoph und bekennende Pädagoge Michael Schmidt-Salomon meinte: „Ameisen zeichnen sich durch Schwarmintelligenz aus, Menschen durch Schwarmdummheit. Es ist exakt das umgekehrte Phänomen: Während sich aus der individuellen Beschränktheit der Ameisen eine kollektive Intelligenz ergibt, resultiert aus der individuellen Intelligenz der Menschen eine kollektive Beschränktheit: Erst gemeinsam sind wir richtig doof!” Sollten uns da nicht doch endlich mal die Augen aufgehen und wir an einer Bildungsreform, die diesen Namen auch verdient hat, zu arbeiten beginnen?
Wann wird in unseren Breitengraden Bildung wieder zu einem erstrebenswerten Gut?

Marcella Maler
Geb.1974, Schülerin an einer berufsbildenden Abendschule in St. Pölten

Erschienen im etcetera Nr. 54 / blind / Dezember 2013