75/Paradies/Essay: Manfred Becker-Huberti: Allegorische Blüten und Früchte

Pflanzliche Symbolik in der christlichen Kunst am Beispiel der Gottesmutter Maria 

Das Buch der Natur 

Auf dem Relief eines Grabsteins im Frauenhausmuseum zu Straßburg steht die Inschrift: „O mensch zart, bedenck der blumen art.“ Verwiesen wird hier auf die Grundsymbolik aller Pflanzen und Blumen, wie sie in der Bibel mehrfach vorkommt: Die Vergänglichkeit des Schönen und Grazilen, aller Kostbarkeiten, die der Mensch selbst nicht bilden kann. Der Mensch selbst wird mit den Blumen gleichgesetzt, denn ihm geht es wie ihnen: Er welkt dahin und es wird sein, als habe es ihn nie gegeben. 

Nach christlicher Tradition ist die Welt von einem Netz von Zeichen und Verweisungen durchwoben, die alle auf ein Zentrum hinweisen, auf Gott selbst. Hugo von Sankt Victor (gest. 1141) schreibt über das „Buch der Natur“: „Die ganze sichtbare Welt gleicht einem Buche, geschrieben vom Finger des Herrn; sie ist geschaffen durch göttliche Kraft, und alle Geschöpfe sind Figuren, nicht als Erzeugnisse menschlicher Willkür, sondern hingestellt durch göttlichen Willen zur Offenbarung und gleichsam als sichtbares Merkmal der unsichtbaren Weisheit Gottes.“ In diesem Sinne kann Raimund von Sabunde (gest. 1436) feststellen: „Zwei Bücher sind uns von Gott gegeben, das Buch der Gesamtheit der Kreaturen oder der Natur und das Buch der Heiligen Schrift. Das erstere ward dem Menschen von Anbeginn an gegeben, als der Inbegriff aller Dinge geschaffen wurde; denn jegliche Kreatur ist nur ein von Gottes Finger geschriebener Buchstabe, und aus den vielen Kreaturen setzt sich jenes Buch zusammen, wie ein Buch aus seinen Buchstaben […]. Der Mensch aber ist Hauptbuchstabe desselben Buches. Auch ist dieses nicht wie jenes [ergänze: die Bibel] verderbt und verfälscht, sondern allen gemeinsam und verständlich.“ 

Der verborgene Sinn in allem, der sensus mysticus, wird offengelegt im sensus spiritualis. Die religiöse Sicht der Welt, ihre Ausdeutung aus dem Wissen um die Erlösung, erschließt die Geheimnisse der Schöpfung, die auf ihren Schöpfer verweist. Das Nicht-Sichtbare wird durch Zeichen symbolisiert, unter anderem durch die Symbolik von Pflanzen und Blumen. Das „Sprechen durch die Blume“ meint sprichwörtlich eben dies: Ein „verblümter“ Hinweis bedeutet, dass der eigentliche Gedanke unausgesprochen bleibt, die Pflanze ist also ein Bild für etwas ganz anderes. Aber: Was der Pflanze geschieht, geschieht auch dem Menschen. Wir wissen heute, dass aus ökologischen Gründen ein solcher Satz sogar doppeldeutig ist. 

Bis in das 13. Jahrhundert hatten Pflanzen in der Kunst allein eine symbolische Bedeutung, erst dann wurden sie um ihrer selbst willen in ihrer natürlichen Gestalt dargestellt. Beide Darstellungsweisen, die symbolische und die natürliche, kommen nebeneinander vor und kreuzen sich. 

Wir fordern heute „unver-blüm-tes“ Sprechen, weil uns die Symbolik fremd geworden ist. 

Symbol - Allegorie - Zeichen - Metapher 

Das Wort Symbol (gr. symbolon) heißt schlicht Erkennungszeichen. Das griechische Substantiv „symbolon“ stammt von dem Verb „symballein,“ was „zusammenwerfen“ bedeutet. Gemeint ist das Zusammenfügen der zwei Teile eines zerbrochenen Tontäfelchens, das zwei Freunde vor ihrer Trennung als sicheres Wiedererkennungszeichen benutzt haben. Lassen sich beide Teile später wieder zusammenfügen, lässt sich damit belegen, dass beide die früheren Freunde oder ihre Abgesandten sind. In diesem Sinne bezeichnet Symbol etwas Sichtbares, wie die beiden Tontäfelchen, für etwas Unsichtbares, die konkrete Freundschaft von zwei Männern. 

Gern wird das Symbol mit der Allegorie verwechselt, bei der auch durch Sichtbares eine unsichtbare Wirklichkeit aufgezeigt werden soll. Die Allegorie erschließt immer etwas Abstraktes, eine Idee, und kleidet sie in ein Bild. Die „Gerechtigkeit“ (lat. iustitia) wird allegorisch als Frau mit verbundenen Augen dargestellt, die in ihren Händen eine Waage und ein Schwert hält. Die Allegorie besteht also aus mehreren interpretationsfähigen Einzelelementen, die der Erläuterung bedürfen: verbundene Augen, Waage, Schwert, die - zusammengenommen - einen abstrakten Begriff darstellen. In diesem Sinne können Blumen Allegorien sein, wenn z.B. die weiße Lilie auf die Reinheit und Jungfräulichkeit der Gottesmutter verweist. 
Während das Symbol in der Regel alleine und ohne Interpretationsaufwand eine Sache vergegenwärtigt, bedarf eine Allegorie mindestens zwei Symbole. Ein Symbol kann aber 
nie eine Allegorie sein. 

Eine allegorische Erzählung kann eine Personifikation beinhalten wie z.B. die Figur der Iustitia, oder aber insgesamt für einen Sachverhalt stehen wie z.B. die biblische Erzählung von der Arbeit im Weinberg (Mt 20,1-16), die die unbegreifliche Gerechtigkeit Gottes bei der Bewertung des menschlichen Lebens lebendig erhält. 

Gerne werden Symbol und Zeichen verwechselt. Die Zeichen, die in einer Landkarte Verwendung finden, werden gerne fälschlich als Symbole bezeichnet. Während aber ein Symbol dadurch definiert ist, dass sich der Zusammenhang zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem fast von alleine ergibt, weil immer ein innerer Zusammenhang besteht, so ist er beim Zeichen willkürlich festgelegt. Die Bedeutung eines Notenschlüssels oder eines mathematischen Zeichens ist frei vereinbart und festgelegt. Zeichen vergegenwärtigen keine unsichtbaren Wirklichkeiten, sie sind Handlungsanweisungen und austauschbar. 

Symbol, Allegorie oder Zeichen dürfen nicht mit der Metapher verwechselt werden, eine bildhafte Übertragung in Form eines sprachlichen Ausdrucks, bei dem ein Wort oder eine Wortgruppe aus seinem eigentlichen Bedeutungszusammenhang in einen anderen übertragen wird, ohne dass ein direkter Vergleich die Beziehung zwischen dem Bezeichnenden und dem Bezeichneten verdeutlicht. Dies gilt z.B. für „Meerstern“ als Metapher für die Gottesmutter Maria oder für „Herr des Alls“ als Metapher für Gott. Die Metapher wird vor allem als Stilmittel gebraucht. 

Maria in der Kunst 

Die Gottesmutter gerät im Zusammenhang mit der Frage, wer dieser Jesus Christus genau ist, in den Fokus der Theologen. Nachdem das Christentum 391 n. Chr. zur Staatsreligion im Römischen Reich wurde, begann sich die Theologie zu entfalten. Wenn Jesus Gott und Mensch zugleich ist, dann ist Maria die Theotokos, die Gottesgebärerin. Die Gottesmutterschaft Mariens wurde 431 auf dem Konzil von Ephesus zum Dogma erklärt. Als Theotokos muss Maria anders als alle anderen Menschen gewesen sein, nämlich ohne Erbschuld. Diese alte Auffassung wurde erst im 19. Jahrhundert dogmatisiert. Schon im 6. Jahrhundert wurde die immerwährende Jungfräulichkeit auf dem zweiten Konzil von Konstantinopel im Jahr 553 als Dogma festgehalten, also die Ansicht, dass 
Maria vor, während und nach der Geburt Jesu immer jungfräulich blieb. Erst Pius IX verkündete dann die immer beibehaltene Ansicht, dass Maria vor und nach ihrer Geburt frei 
von der Erbsünde ist, im Jahr 1854 als Dogma von der unbefleckten Empfängnis. Auch das vierte Dogma aus dem 20. Jahrhundert greift eine alte Lehre auf. 1950 dogmatisiert Papst Pius XII. die leibliche Aufnahme Marias in den Himmel und schreibt damit fest: Die Zeit ihres Lebens Sündenfreie Gottesmutter wurde mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen. 

Im 7. Jahrhundert entstehen die ersten Marienfeste und das „Ave Maria“ (Lk 1, 28.42) wird Vorlage für ein Gebet, das fast den gleichen Rang erreicht wie das von Jesus selbst geformte „Vater unser“ (Mt 6, 9-13; Lk 11,2ff). 

Die ersten beiden Dogmen bilden historisch den Hintergrund für das Interesse der Kunst an der Gottesmutter; inhaltlich sind die beiden jüngeren Dogmen allgemein gültige Auffassungen über Jahrhunderte vor ihrer offiziellen Feststellung. 

Natürlich gab es schon im 2. und 3. Jh. Marienbilder. In den Katakomben wird die Gottesmutter selbst zum Thron für ihren Sohn, der auf ihrem Schoß sitzt. Dieser Darstellungstyp entspricht der Präsentation der heidnischen Göttin Isis mit dem Horusknaben. Nach dem Konzil von Ephesos beginnt sich die Bildfindung zu entfalten. Elemente, die bis dahin als heidnisch streng abgelehnt wurden, werden nun vom Christentum übernommen. Von den heidnischen Mutter- und Erdgöttinnen werden Verehrungsorte, Funktionen und Attribute adaptiert. 

C.G. Jung hat dies eindrucksvoll beschrieben: „Die Mutter ist das Bild der irdischen Unendlichkeit, an ihrem Glück wie an ihrem Schmerz ziehen die Jahrtausende vorüber; die Mutter ist immer die gleiche, sie ist die ungeheure Fülle, Stille und Wandellosigkeit des gebärenden Lebens selber, nur vergleichbar mit dem fruchtbringenden Schoß der Erde“ (C.G. Jung, in Gyger 2002, 106). 

Gaia, Kybele, Demeter, Ischtar, Isis, Hera, Juno, Aphrodite, Diana sind die Namen einiger wichtiger Göttinnen. Wie Isis wacht Maria als Stella Maris, Meerstern, über die Seefahrer und Schiffe. Von Kybele erhielt Maria die Krone. Maria mit dem Jesusknaben auf dem Schoß entspricht der Isis mit dem Horusknaben. Das Ährenkleid der Maria findet sich bei Demeter. Titel wie „Herrin des Himmels“ oder „Königin des Himmels und der Sterne“ finden sich bei den altorientalischen Göttinnen. 

Marienkirchen stehen vielfach dort, wo früher Göttinen verehrt wurden: Santa Maria Maggiore steht in Rom auf dem Esquilin, wo früher der Kybele-Tempel stand; Santa Maria d’Aracoeli steht auf dem Kapitol, wo zuvor die phönizische Göttin Tanit ihren Tempel hatte. 

Die Vitalität altorientalischer Göttinnen manifestiert sich in Pflanzen und Bäumen. Die christliche Tradition kennt darum zahlreiche Marienerscheinungen in Bäumen, vgl. diverse Marienlinden, oder Grotten, z.B. Lourdes, Quellen, Berge, Hügel. Maria offenbart sich in der Natur. 

Pflanzen, Blumen und Heilkräuter, die mit den Göttinnen auftraten, übertrugen sich auf Maria. 

Ein ganz besonderer Impuls geht von Köln aus, als Rupert von Deutz (ca. 1070 - 1130) das Hohelied des AT auf Maria bezog. 

Das Hohelied wird zu einem zentralen Text der Marienmystik im Mittelalter. Maria wird mit dem Garten gleichgesetzt: 

„Versiegelter Brunnen, / verschlossener Garten, in den Balsam strömt, / der wie Zimt duftet! / Du bist wie die Zeder, / die der Wurm meidet, heilige Maria!“ (Melker Marienlied, 12. Jh., 10. Strophe) 

Neben der Rose wurde die weiße Lilie zur Marienblume schlechthin, eben zu der „Lilie unter Disteln:“ 

„Ich bin eine Blume auf den Wiesen des Scharon, / eine Lilie der Täler. / Eine Lilie unter Disteln / ist meine Freundin unter den Mädchen“ (Hohelied 2, 1 - 2). 

Bonaventura dichtete im 13. Jh.: „Ave caeleste lilium / Ave rosa speciosa ... “ “Gegrüßet sei, Himmelslilienzier, / gegrüßet sei, Rose, hold zu schaun ...“ 

Hortus conclusus und Rosenhag 

Der umfriedete und mit einem Tor verschlossene Garten, der „hortus conclusus“, entsteht als Sinnbild der Jungfräulichkeit Mariens, auf die auch zahlreiche auf den Schriftbändern zu findende lobpreisende Zitate aus dem alttestamentarischen Hohelied Salomos verweisen (Bild 1). In der Mitte des Gartens ist zur Rechten die Gottesmutter zu sehen, die in einer Demutsgeste ihre Hände vor der Brust verschränkt. In ihren Schoß flüchtet sich ein Einhorn, das von einem Horn blasenden und von vier Hunden begleiteten Engel verfolgt wird; das Einhorn ist ebenfalls ein Symbol der Jungfräulichkeit. 

Dass Maria als Klammer zwischen Altem und Neuem Testament, als Brücke zwischen der Zeit der Verheißung und der Erfüllung, gesehen wird, verdeutlicht darüber hinaus die kompositorisch hinzugefügte Darstellung der Wurzel Jesse im oberen Teil unseres Gemäldes. Sie ist hier in der Form eines Weinstocks, ausgeschmückt mit Bundeslade und Opfertisch, gestaltet und mündet in der Darstellung Christi als Schmerzensmann mit der Beischrift: „Ego sum vitis vera vos palmites“ (Ich bin der wahre Weinstock, ihr die Reben, Joh 15, 5). Auf diese Aussage bezieht sich auch die Darstellung von zehn Propheten mit ihren Schriftbändern. Der „hortus conclusus“ versinnbildlicht das Paradies und die Gottesmutter ist in ihm die neue Eva, Brücke zwischen gestern, heute und morgen. 

Die innere Qualität, also die Eigenschaften der Gottesmutter, werden durch äußerliche Elemente vorgezeigt: 

- der hortus conclusus ist ein Symbol für die immerwährende Jungfrau, 
- das Einhorn ist ein weiteres Symbol der Jungfräulichkeit, 

- der fließende Brunnen verweist auf das Hohelied, das auf Maria bezogen wird. Hier heißt es:  „Die Quelle des Gartens bist du, ein Brunnen lebendigen Wassers“ (Hld 4, 15). 

Die Jungfräulichkeit der Gottesmutter wird durch das offen getragene Haar der Gottesmutter verdeutlicht. Als verheiratete Frau und Mutter kommt man - genau genommen nur das Haar - „unter die Haube.“ Das wallende Haar der Maria zeigt sie als Jungfrau auch nach der Geburt ihres Sohnes. 
Das neue und unvergängliche Paradies, das uns Maria durch ihren Sohn eröffnet hat, wird als geschlossener Garten dargestellt, der zum Betrachter hin geöffnet wird. So wird er einbezogen, geradezu eingeladen zur Teilnahme am ewigen Heil. 

Alles Dargestellte ist die äußere Form einer inneren Haltung, Qualität oder eines Wertes. Keine Blume wird nur wegen ihrer Schönheit porträtiert, sondern die Schönheit ver-weist, z.B. bei der Lilie, auf die Unberührtheit der Jungfrau Maria. 

Die acht bedeutendsten Marienpflanzen 

Der Gottesmutter zugeordnet werden zahlreiche Pflanzen und Tiere. Die nachfolgend genannten Pflanzen und Früchte sind nur ein winziger Ausschnitt, stellen aber wohl die bedeutendsten Vertreter ihres Standes dar. Für alle gilt: Sie werden möglichst naturgetreu dargestellt, weil sie Teil der neuen Erkenntnisse sind, die in Medizin, Kräuterkunde und Pharmazie einfließen. Denn die Pflanzen sind nicht nur schön und symbolisch, sondern zugleich auch Heilkräuter. Aus diesem Grund wurden sie in Klostergärten kultiviert und verbreiteten sich entsprechend. 

Bezugsrahmen für die florale Symbolik der Gottesmutter sind die Göttinnen der Antike. So wie Sandro Botticelli gegen Ende des 15. Jahrhunderts den Frühling darstellt, können wir uns den Beginn der Übernahme der antiken floralen Elemente vorstellen. Das Mittellalter hat diese Symbolik übernommen. 

Die bedeutendsten Pflanzenbeispiele werden nachfolgend aufgeführt: 

Die Lilie 

Die Göttin Athene begegnet uns schon mit lilienumkränztem Haupt. In Ägypten wurde die Pflanze verehrt. In Israel hat sie einen besonderen Stellenwert: Im Hohelied heißt es: „Ich bin eine Blume auf den Wiesen des Scharon, eine Lilie der Täler“ (Hld 2,1) und „eine Lilie unter Disteln“ (Hlg 2,2). Das „Ich“ des Hoheliedes wurde seit Rupert von Deutz mit Maria gleichgesetzt, so dass sie zur Lilie wurde, die Pflanze dementsprechend auch „Madonnenlilie“ genannt wurde. Das hebräische Wort für Lilie „shoshan“ oder „shushan“ war Vorlage für den Mädchennamen „Susanne.“ 
„Lilium candidum“, die Madonnenlilie wird zum Inbegriff für Vollkommenheit und Schönheit. Seinen Ausdruck findet das im Wort Jesu: „Und was sorgt ihr euch um eure Klei-dung? Lernt von den Lilien, die auf dem Feld wachsen: Sie arbeiten nicht und spinnen nicht. Doch ich sage euch: Selbst Salomo war in all seiner Pracht nicht gekleidet wie eine von ihnen“ (Mt 6, 28f). 

Die weiße Farbe der Lilie ist nicht nur ein Hinweis auf die Sündenfreiheit der Gottesmutter, sondern verweist auch auf den Heil bringenden Körpersaft: die Muttermilch Mariens, die „Liebrauenmilch.“ Der Legende nach tropfte diese Milch auf eine Distel, die seitdem eine weißliche Maserung zeigt und als „Mariendistel“ bezeichnet wird. Ein eigener Darstellungstyp der Mara entstand: Maria lactans, die stillende Gottesmutter, aber auch Darstellungen, bei denen die Gottesmutter ihre Milch in die Münder der Gläubigen spritzt, wurden im späten Mittelalter und Barock ausgebildet, sowie die Gottesmutter, die auf ihre Brust zeigt und so als „Mutter der Barmherzigkeit“ einen eigenen Typus darstellte. 

Für die Darstellung der Verkündigung an Maria wird die Lilie unerlässlich. Der Verkündigungsengel hält sie wie ein Heroldstab in Händen oder sie steht in einer Vase deutlich sichtbar. 

Die Rose 

Die duftende Rose stammt aus dem persischen Raum und lässt sich erstmals im 24. Jahrhundert vor Christus nachweisen. Über Griechenland und Rom kommt sie mit den Römern nach Deutschland, das bis dahin nur die Hundsrose (Rosa caniona L.) kannte. In Klostergärten wird sie gehegt und gepflegt. Bis heute hat das Rot der Rose die Bedeutung der Liebe, die durch das Samtrot und den sich verschenkenden Duft, aber auch durch die Dornen ausgedrückt werden. 

Die Symbolik von Lilie und Rose ist bereits dem Benediktinerabt Walahfried Strabo, der um das 9. Jahrhundert auf den Bodenseeinsel Reichenau lebte, bekannt, denn er dichtete: „Diese beiden lobwürdigen und ruhmreichen Blumenarten sind nämlich schon seit Jahrhunderten Sinnbilder der höchsten Ruhmestitel der Kirche, die im Blut der Martyrer die Gabe der Rose pflückt und die Lilien als leuchtendes Zeichen strahlenden Glaubens trägt. Mutter und Jungfrau du, Mutter mit fruchtbarem Reise, Jungfrau mit reinem Glauben, Braut nach des Bräutigams Namen, Braut du, Taube und Hort, Königin, treue Gefährtin, pflücke Rosen im Streit, brich Lilien im glücklichen Frieden.“ 

Der Mythologie nach entstanden die ersten weißen Rosen aus dem Meerschaum, der bei der Geburt der Aphrodite zu Boden fiel. Die gleiche Aphrodite verwandelte in einem Mythos die Farbe. Als sie ihrem verwundeten Liebhaber Adonis zu Hilfe eilen will, verletzt sie sich an den Dornen der weißen Rose, die sich durch ihr Blut rot färben. 

Die rote Rose steht für die Schönheit, die Liebe und die Vergänglichkeit, denn die Pracht der Rose hat eine eng bemessene Spanne. Bei den Römern wurden die Toten mit einem Rosenkranz bestattet; die Hinterbliebenen trauerten mit Rosenkränzen auf dem Kopf und auf der Brust - Gründe für die Christen, Rosen zunächst nicht zu nutzen. Da aber die griechische Dichtung das Paradies, das Elysion, als mit Rosen geschmückte Wiesen des Jenseits darstellte, wurde die Rose zur Paradiesblume. In Dante Alighieris (1265 - 1321) „Göttlicher Komödie“ wird das Zentrum des Paradieshimmels als Rückstrahlung des göttlichen Lichtes in Form einer riesigen weißen Rose beschrieben. 

Während die dornenlose weiße Rose zum Symbol der Reinheit Mariens wurde, symbolisiert die rote Rose mit Dornen das Blut der Martyrer, vor allem aber das Leiden Christi. 
Wenn Maria zur „rosa mystica“ wird, zur Knospe, die den Reis Jesse gebar (Vgl. „Es ist ein Ros’ entsprungen“ nach Is 11,1: „Doch aus dem Baumstumpf Isais wächst ein Reis hervor, / ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht“) ist sie dadurch nicht gehindert, alle antik-heidnischen Attribute der Göttinnen zu übernehmen: die Titel Himmelskönigin, Gottesgebärerin oder heilige und himmlische Jungfrau, die Krone, den Halbmond, das Blau für den Himmelsmantel und das Rot für das Kleid, das auf die Schmerzen verweist. 

Die weiße Rose wird ihr Erkennungszeichen, die in Kombination mit der roten Rose auftritt. Nimmt Maria eine weiße Rose aus der Hand ihres Sohnes entgegen, oder greift das Kind nach ihr? Die roten Rosen im Hintergrund zeigen die Bestimmung Jesu an. Da aber das Leiden Christi auch Leiden für Maria bedeutet, wird ihre weiße Rose auch mit roten Rosen kombiniert (Bild 5). Das Überreichen einer Rose zwischen Mutter und Sohn ist ein Zeichen für die Liebe zwischen beiden. 
Der Paradiesgarten wird als Rosengarten vorgestellt. Es entsteht der Typus des verkleinerten Paradiesgartens, der Rosenhaag. 

Die rote Rose lieferte die Vorlage zur „Goldenen Rose“, die der Papst bis in die Gegenwart überreicht, die dem „Rosensonntag“ „Laetare“ den Namen gegeben hat, Vorbild für die Farbe des Messgewandes an diesem Tag. Säkularisiert wird die „Goldene Rose“ zum Filmpreis in Montreux. 

Die Symbolik der Rose ist - in vielfältig trivialisierter Form - bis in die Gegenwart erhalten, sei es in den Märchen wie z.B. „Schneeweißchen und Rosenrot“ oder „Dornröschen“, in Schlagern wie „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ oder „Weiße Rosen aus Athen“, in der Gleichsetzung von Rose und Herz, in der Heilkraft des Rosenöls usw. 

Das Gänseblümchen 

Das Gänseblümchen (Bellis perennis L.) drückt sich auf den Boden. Die Blüte schließt sich bei Regen und in der Nacht. Die weißen Blütenblätter scheinen das mittige Symbol der Sonne zu schützen, so wie Maria das Jesuskind schützt. Die Pflanze ist einer der ersten Frühlingsboten, blüht aber bis in den Winter, ist also sensibel und stark zugleich. Das Gänseblümchen steht für die Mütterlichkeit und Fürsorge, entstand der Legende nach aus den Tränen, die Maria auf der Flucht nach Ägypten weinte. „Maßliebchen“ „Marienblume“ oder - in der gefüllten Variante - „Tausendschön“ sind einige der weiteren Namen. 

Durch sein gelbes Körbchen und seine weißen Blütenblätter ist das Gänseblümchen ein miniaturisiertes Abbild der Sonne, wird - wenn die Sonne mit Gold assoziiert wird - zum „summum golde“ und Frühlingsboten. In seinem englischen Namen, „daisy“, ist das Licht der Sonne noch durch den Begriff „Tag“ (engl. day) enthalten. In den germanischen Mythen bildet das Gänseblümchen die Augen des Sonnengottes Baldur, der uns durch seine Blüten anblickt. 

In erster Linie ist das Gänseblümchen ein Bild der Demut und kommt so in fast allen Paradieswiesen vor. In der Gegenüberstellung mit der „alten“ Eva wird das Gänseblümchen neben Maria zur Pflanze des neuen Paradieses, stellt Christus als Lichtbringer und Sonne dar. Und natürlich stellt das Gänseblümchen nicht nur das Heil dar, sondern lässt sich auch zum Heilen einsetzen, innerlich und äußerlich. 

Das Veilchen 

Das Veilchen, die „viola odorata L.“ wurde bereits in der Antike kultiviert. Homer kritisiert, dass die Olivenhaine vernachlässigt würden, weil duftendes Unkraut wie die Veilchen zwischen die Bäume gepflanzt worden seien. Der Name „Märzveilchen“ verweist auf seine Funktion als Frühlingsbote, als Herold einer neuen, besseren Zeit. Seine Beziehung zur Gottesmutter erscheint im Namen „Marienstängel.“ 

Violett ist die Farbe der Demut und Buße; als liturgische Farbe wird sie im Messgewand zur Fasten- und Adventzeit verwendet. Die Tugend der Demut wird der Gottesmutter zugeordnet. 

Weil in Griechenland die Persephone, Gattin des Unterweltherrschers Hades, aus der Totenwelt wieder zum Licht fand, stand dort das Veilchen für die Wiederkehr des Lebens im Frühling. Seine Entsprechung hat dies bei Maria: Als Königin des Himmels steht sie den Verstorbenen bei, ist Fürbitterin beim Gericht, steht den Sterbenden bei, begleitet die Seelen beim Übergang vom Leben zum Tod. 

Veilchen sind Teil der paradiesischen Blumenwiese. Stefan Lochner hat dem Veilchen aber ein besonderes Denkmal gesetzt: die „Muttergottes mit dem Veilchen“ (Bilder 8a). 

Die Pfingstrose 

Die Pfingstrose (Paeonia) kommt wild wachsend nur in den Mittelmeerländern und im südlichen Tessin vor. Kultiviert wurde sie in benediktinischen Klostergärten und wanderte von dort in die Bauerngärten. Weil sie Heilpflanze wurde, kam sie zu dem volkstümlichen Namen „Kindliwehblume“ denn sie wurde als Heilmittel für Kinder eingesetzt. Sie war aber auch Zauberblume, denn aus ihren schwarzen Samen und der Wurzel wurden Amulette gegen Epilepsie und böse Geister angefertigt. 

Ursprünglich wohl aus China stammend, gewann die Pfingstrose über die Bezeichnung als „Rose ohne Dornen“ eine Beziehung zur Gottesmutter. Konrad von Würzburg gilt als Berühmteste unter den Dichtern, die diese Zuordnung vergeben haben. In seiner „Goldenen Schmiede“ (1275 - 1277) heißt es in Vers 422: „du phingstróse ân allen stift“ - „du fingstrose ohne jeden Dorn.“ 

Die Bezeichnung der Pfingstrose als Rose ohne Dornen und der gleich lautende Titel Marias machen die Pfingstrose zu einem Attribut Marias. Rose ohne Dornen ist Maria als die neue Eva. Durch die Geburt des Erlösers hat Maria die Schuld der alten Eva aufgehoben. Als Frau (= Rose) hat sie die Sünden (= Dornen) getilgt. 

Besonders schön wird dies in dem Bild „Madonna im Rosenhaag“ von Martin Schon-gauer sichtbar, wo die voll aufgeblühte Pfingstrose links neben Maria sich der Gottesmutter entgegenreckt und so einen Kontrast zu den mit Stacheln bewehrten Rosen im Hintergrund bildet. 

Die Akelei 

Die Akelei (Aquilegia vulgaris L.), ein Hahnenfußgewächs, ist eine Pflanze der Nordhalbkugel, die als geheimnisvolle, elegante und blaublütige Pflanzen schon in vorchristlichen Zeiten - da allerdings eher in erotischem Zusammenhang - Karriere gemacht hat. Die Fünfzahl der Blüten - symbolisch für die heilige Fünf des Dämonen abwehrenden Pentagramms - und die doppelt dreizähligen Blätter - Symbol für die Dreifaltigkeit - haben sie im Christentum populär werden lassen. Auch als Heilpflanze wurde sie gegen Krebs, Pest und Geschwüre eingesetzt. Ihre zahlreichen Alias-Namen wie z.B. „Marünggeli“ im Thurgau lassen sie als Marienpflanze erkennen. 

Die Symbolhaftigkeit der Akelei hat vielerlei Facetten: Von der Seite betrachtet haben die einzelnen Blütenblätter Ähnlichkeit mit kleinen Tauben. Die Taube ist das Erkennungszeichen des Heiligen Geistes. Und weil die Akeleistauden meist sieben Blüten tragen, erblickte man in ihnen den Hinweis auf die sieben Gaben des Heiligen Geistes - Weisheit, Verstand, Rat, Stärke, Wissen, Frömmigkeit und Gottesfurcht -, die nach Isaias (11, 2) dem Messias verliehen wurden. Der Prophet beschreibt den Messias als Friedenskönig so, dass man an das Paradies erinnert wird. Die Akelei wird so auch zu einem Christussymbol. 

Das Blau der Grundform der Akelei deutet auf das Himmelsblau der Himmelskönigin. Maria wurde und wird von den Menschen als Fürsprecherin bei Gott angerufen, als Patronin der Menschen im Himmel. Diese Funktion zeigt sich in ihrem blauen Mantel, der auch als „Schutzmantel“ dargestellt wird, unter dem sich die Schutzbefohlenen bergen. Übernommen wurde hier aus dem römischen Recht das „sub pallio cooperire,“ die rechtswirksame Annahme von Schutzbedürftigen, die den Annehmenden zum „Patron“ werden ließ. 

Blau ist in unserem Kulturkreis bis in die Türkei hinein ein Apotropäum, ein Dämonen abwehrender Schutz. Ob dies von der Erkenntnis abgeleitet wurde, dass die wenigen blauen Pflanzen (nur 5 % aller Pflanzen) fast ausnahmslos giftige Bestandteile enthalten, ist ungeklärt. Dass man diese Pflanzen aber als das Böse abwehrend ansah, ist belegt. In Griechenland wird das Blau der Tür- und Fensterrahmen als Apotropäum genutzt und das blaue Augenamulett gegen den bösen Blick, findet sich ebenso in Griechenland, der Türkei und anderen islamischen Ländern. 

Die Schwertlilie 

Die Deutsche Schwertlilie (Iris germanica L.), die Wappenblume der französischen Könige, hat ihren deutschen Namen von ihren schwertartig aufragenden Blättern. Kultiviert wurde sie wegen ihres ätherischen Öls, das aus ihren oberirdischen Wurzeln gewonnen wurde. Glattgeschliffene Wurzelstücke wurden und werden als Beißhilfe für zahnende Kinder verwendet, oft unter der Bezeichnung „Veilchenwurz.“ Die pulverisierte Iriswurzel wurde gegen Wassersucht, Blasensteine und zur Aktivierung der Blasentätigkeit eingesetzt. 

In der griechischen Mythologie ist Iris Götterbotin, die wie Hermes im Auftrag der Götter umherreist, zumeist auf dem Regenbogen. Sie begleitet die Seelen, vor allem die weiblichen, in das Totenreich. Deshalb ist die Schwertlilie noch heute in Griechenland eine typische Grabblume. Den Bezug der Blume zum Regenbogen versteht man, wenn man in die geöffnete Blüte blickt und die irisierenden Farben wie im Regenbogen erkennt. 

Der gekrümmte Regenbogen berührt mit seinen beiden Enden die Erde, während sein Bogen weit in den Himmel reicht. Die Faszination des Regenbogens und seine Bedeutung erschließen sich u.a. aus den vielen mit ihm verbundenen Legenden, wonach dort, wo der Regenbogen endet, Zwerge große Schätze hüten oder ein Goldtopf auf seinen Finder wartet. 
Der Regenbogen verbindet unten und oben, Immanenz und Transzendenz, die Welt der Menschen und das Paradies. Schnittstelle dieser Beziehungen ist Maria. Ihre Darstellung materialisiert Geistiges, spiegelt das göttliche Geheimnis wider. In ihr verkörpert sich das Bild Gottes. Sie ist so „Imago Dei.“ So wie die mythologische Iris zwischen den Götter und den Menschen hin und her reiste, vermittelt Maria zwischen Gott und den Menschen. 

Nicht ohne Grund wird diese Pflanze auf dem Bild mit dem Marientod in den Vordergrund gerückt, geht Maria hier doch selbst den Weg alles Irdischen. Ihre Seele hockt bereits als kleines Mädchen auf dem Arm ihres Sohnes, der sich segnend unter die Apostel begeben hat. 

Die Walderdbeere 

Die schmackhaften Erdbeeren waren den Römern einmal Symbole der Lebenslust, Leichtlebigkeit und Sinnesfreuden. Die Überreichung einer Erdbeere galt in der Bildsprache des Mittelalters als klare sexuelle Anfrage. Die Gestalt der Erdbeere bleibt bildhaft, wenn in einem der weltlichen Gedichte des Georg Rudolf Weckherlin von den „wärzlein erdbörglich“ die Rede ist. Auf den Vergleich der Wald-Erdbeere mit der weiblichen Brustwarze deuten Volksnamen für die Erdbeere wie „Brüstlein“ hin, eine Deutung, der auch Ingmar Bergmann in seinem Film „Wilde Erdbeeren“ folgte. 
Dominant im Mittelmeerraum war aber die Deutung der Wald-Erdbeere als Speise des Goldenen Zeitalters, des „aetas aurea.“ Ovid bezeichnet sie so in seinen „Metamorphosen.“ Durch das Christentum entstand eine neue Deutung: Erdbeeren haben rosenförmige Blüten, die keine Dornen bilden, ihre Beeren haben keinen Kern und Schale. Während sie Früchte ansetzt, blüht sie immer noch. Diese Gleichzeitigkeit der Pflanze hat ihre Entsprechung in der Gleichzeitigkeit von „Mater et virgo.“ Die Blätter der Pflanze werden meist in Aufsicht mit betonter Dreizahl dargestellt, womit die Maler deutlich auf die Dreifaltigkeit verweisen. Die weiße Farbe der Blüte deutet auf die Unschuld, das Rot der Früchte auf die Liebe. „Rot und Weiß“ zugleich bei einer Pflanze lässt sich als Bild für die jungfräuliche Mutterschaft verstehen. Die Frühlingsblüte wird mit der Inkarnation Christi gleichgesetzt, die Reife der Beeren mit der Anbetung der Heiligen Drei Könige (Bild 8b, die Walderdbeeren auf der Paradieswiese bei Lochners Madonna mit dem Veilchen). 
Die Wald-Erdbeere wurde ganz allgemein zum Symbol der Rechtschaffenheit und zeichenhaft für fromme und gute Gedanken. Aber auch die Deutung als himmlische Speise, als Gabe Gottes, wird tradiert, wenn der Mystiker Heinrich Seuse von einem Jüngling berichtet, dem ein Knabe ein Körbchen mit Wald-Erdbeeren bringt und dazu sagt: „dis roten fruht hat dir din frunt und din himlischer herr gesendet. Ach wie hat er dich so recht liep.“ Neben der Rose und dem Veilchen wurde die Wald-Erdbeere zu einer der Muttergottespflanzen, Motiv zahlloser Maler wie z. B. Stefan Lochner, Rogier van der Weyden, die Brüder van Eyck, Hugo van der Goes. In Großbritannien sind die Blätter der Erdbeeren zudem ein Zeichen von Rang. Acht Erdbeerblätter schmücken die Herzogskronen. Als paradiesische und himmlische Pflanze eignet sich die Wald-Erdbeere auch zur Dämonenabwehr. Neben anderen Dämonen abwehrenden Pflanzen wie Eiche, Nelkenwurz und Hahnenfuß stellt das linke Kapitell an der gotischen Westfassade des Basler Münsters auch Wald-Erdbeer-Blätter dar. 

Die Wald-Erdbeere kommt in zahlreichen Mythen, Märchen und Sagen vor. In der germanischen Mythologie gehört sie zur Göttin Frigga. Sie versteckte verstorbene Kinder zwischen den Erdbeeren, um sie dann heimlich mit nach Walhall zu nehmen. Diese Beziehung übertrug sich im Mittelalter auf Maria. Sie soll die ungetauft verstorbenen Kinder, die nach der geltenden Lehre keine Aufnahme im Himmel fanden, und schon gar nicht in das Fegefeuer oder die Hölle eingehen konnten, in einem geschützten Raum, der nicht Himmel, Hölle oder Fegefeuer war, dem Limbus, untergebracht haben. [Am 20. April 2007 hat Papst Benedikt XVI. die Lehre vom „Limbus infantium vel puerorum“ als eine ältere theologische Meinung, die nicht mehr vom Lehramt unterstützt wird, abgewertet.] 
Bei der hohen Kindersterblichkeit jener Jahrhunderte und dem Leid der hinter-bliebenen Eltern war die Legende, die nun entstand, ein gewisser Trost. Nach ihr stieg Maria jedes Jahr einmal auf die Erde herab, um in einem Korb Erdbeeren für die Kinder im Limbus zu sammeln. In einigen Gegenden Deutschlands galt, dass Frauen, denen ein Kind gestorben war, deshalb keine Wald-Erdbeeren essen sollten. Auch die Brüder Grimm erzählen von der Gottesmutter, die für das Jesuskind Erdbeeren pflückt: „Schlaf sanft, ich will derweil in den Wald gehen und eine Handvoll Erdbeeren für dich holen; ich weiß wohl, du freust dich darüber, wenn du aufgewacht bist.“ 

Ein ganz besonderes Früchtchen: Der Apfel 

Welche Früchte am Baum der Erkenntnis im Paradies hing, teilt uns die Bibel nicht mit (Gen 3, 3.6). Die bildliche Darstellung des Phänomens verlangte aber nach Präzision. In den Ländern am Mittelmeer wurde die Feige zur Frucht am Baum der Erkenntnis. Da-durch bekam die Erbsünde eine sexuelle Konnotation, denn die Feige wurde immer auch als ein Abbild des weiblichen Geschlechts gesehen. Nördlich der Alpen gab es keine Feigen, zumal dann nicht, wenn im Paradiesspiel am Tag von Adam und Eva, dem 24. Dezember, vor dem Krippenspiel gezeigt werden sollte, wie die Erbsünde in die Welt kam. 
Sprichwörtlich dabei ins Spiel gekommen ist der Apfel durch das analoge Denken unserer Vorfahren: Was gleich klingt, muss auch gleich sein, haben unsere Ahnen gemeint. Wenn der Apfel (lat. malus) so klingt wie Fehler, Gebrechen, Übel, Leid, Unheil (lat. malus, das Gegenteil von bonus), dann müssen beide Phänomene etwas miteinander zu tun haben. Die Folge: Die Frucht am Baum der Erkenntnis im Paradies konnte nur ein Apfel gewesen sein. Die verbotenen Früchte wurden in Nordeuropa durch Äpfel dargestellt – rote Äpfel, die sich kräftig vom Grün des Baumes abhoben. 

Den Übergang von der Feige zum Apfel zeigt eindrucksvoll ein kleines Alabasterrelief aus dem Museum Kolumba in Köln.

Während die „alte“ Eva den Apfel Adam reicht und damit die Erbsünde in Welt bringt, erhält Maria den Apfel, um als „neue“ Eva zu demonstrieren, dass durch den Opfertod ihres Sohnes die Erbsünde vergeben werden wird. Aus dem Apfel als Symbol der Schuld wird in den Händen Marias der Apfel zum Symbol der Überwindung der Schuld. Oft wirkt die Mimik von Maria und dem Jesuskind in Verbindung mit Apfel sehr ernst. 

Diese Doppeldeutigkeit des Apfels zeigt beispielhaft die Legende des „Apfelheiligen“ Hermann Joseph von Steinfeld. Er schenkt seinen Apfel der Gottesmutter, die als Plastik in der Kirche Maria im Kapitol in Köln stand und steht. Oberflächlich ist es ein simples Geschenk; wer tiefer sieht, erkennt, dass durch Marias Gehorsam der Erlöser in die Welt kam und die durch den überreichten Apfel ausgedrückte Schuld tilgte. Zeichenhaft nimmt Maria die Schuld entgegen und macht so den Apfel zum Zeichen der Erlösung. Der Apfel spiegelt Erbschuld und Erlösung. 
Symbole ersetzen tausend Worte 

Die bildhafte Darstellung des inneren Wesens durch äußere Symbole ist für moderne Menschen zu einer fremdartigen Sprache geworden, die sich aber wiederzuentdecken lohnt. Bekanntlich ersetzt ein Bild tausend Worte und manchmal vielleicht noch mehr. Das intuitive und emotionale Erfassen eines Sachverhaltes, der sich oft nur schwer in Worte fassen lässt, ist eine sinnliche Leistung, die Freude bereitet und ungeahnte Zugänge verschafft. 

Wer es poetischer mag, möge sich an der Erkenntnis des Johann Wolfgang von Goethe (1749 - 1832) erfreuen: 

„Wer nicht von dreitausend Jahren / Sich weiß Rechenschaft zu geben, / Bleib im Dunkel unerfahren, / Mag von Tag zu Tage leben. 


Literatur 

Algermissen, Konrad (Hrg.), Lexikon der Marienkunde. Regensburg 1967. 
Angenendt, Arnold, Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart. München 1994. 
Austin, David, Die Rose: Vom Zauber einer Königin. Kosmos 2009. 
Behling, Lottlisa, Die Pflanze in der mittelalterlichen Tafelmalerei. Weimar 1957. 
Belting, Hans, Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst. München 1990. 
Beuchert, Marianne, Symbolik der Pflanzen. Frankfurt/M. 2004. 
Cornides, Elisabeth, Rose und Schwert im Päpstlichen Zeremoniell. Von den Anfängen bis zum Pontifikat Gregors XIII. Wien 1967. 
Cronenburg, Petra van, Das Buch der Rose. Berlin 2008. 
Erich, Oswald A. / Beitl, Richard, Wörterbuch der Deutschen Volkskunde, Zweite Auflage neu bearb. von Richard Beitl. Stuttgart 1955. 
Forstner OSB, Dorothea, Die Welt der Symbole. Innsbruck, Wien, München 1961. 
Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens (=HdA), hrsg. von Eduard Hoffmann-Krayer und Hanns Bächtold-Stäubli. Berlin, Leipzig 1927 - 1942 (Nachdruck 2002, digitale Ausgabe 2008). 10 Bde. 
Heilmeyer, Marina, Die Sprache der Blumen von Akelei bis Zitrus. München 2000. 
Heinz-Mohr, Gerd / Sommer, Volker, Die Rose. Entfaltung eines Symbols. München 1988. 
Ihm, Christa, „Sub matris tutela.“ Untersuchungen zur Vorgeschichte der Schutzmantelmadonna. Heidelberg 1976. 
Knoblauch, Ina, Rosenduft und Blütenzauber. Ein Streifzug durch die Welt der Rosen. Frankfurt/M. 2008. 
Lexikon der christlichen Ikonographie (= LCI), hrsg. von Engelbert Kirschbaum SJ. Rom, Freiburg, Basel, Wien 1968 - 1976, 8 Bde. 
Lurker, Manfred, Symbol, Mythos und Legende in der Kunst. Die symbolische Aussage in Malerei, Plastik u. Architektur. Baden-Baden, 1958. 
Ders., Der Baum in Glauben und Kunst. (= Studien zur deutschen Kunstgeschichte 328). Baden-Baden 1960. 
Parkstone International / Kroemer, Madonnen. Bildnisse der Jungfrau. o.O. 2006. 
Quiñones, Ana Maria, Pflanzensymbole in der Bildhauerkunst des Mittelalters. Würzburg 1998. 
Schmidt, Margarethe, Warum ein Apfel, Eva? Die Bildsprache von Baum, Frucht und Blume. Regensburg 2000. 
Schreiner, Klaus, Maria. Leben, Legenden, Symbole. München 2003. 
Ströter-Bender, Jutta, Die Muttergottes. Das Marienbild in der christlichen Kunst, Symbolik und Spiritualität. Köln 1992. 
Widauer, Simone, Marienpflanzen. Der geheimnisvolle Garten Marias in Symbolik, Heilkunde und Kunst. Baden, München 2009. 
Zerling, Clemens, Lexikon der Pflanzensymbolik. Baden, München 2007. 


Veröffentlicht in: Allegorische Blüten und Früchte. Pflanzliche Symbolik in der christlichen Kunst am Beispiel der Gottesmutter Maria. In: Joachim Schmiedl (Hrg.): Dann legte Gott einen Garten an. Theologische Anmerkungen zu einem Ursymbol der Menschheit. Vallendar 2011.
[978-3-86342-244-8], 45 - 67


Manfred Becker-Huberti 
Geb.1945 in Koblenz, wohnh. in Neuss, ist Theologe, studierte in Bonn und Münster Katholische Theologie, Publizistik und Kommunikationswissenschaften sowie Philosophie, Pädagogik und Kunstgeschichte.. War von 1990 - 2006 Pressesprecher des Erzbistums Köln. Seit 2007 Honorarprofessor an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Philosophisch-Theologischen Hochschule