91 / Hirn mit Ei / Interview / Florian Steininger

Florian Steininger ist seit 2016 Direktor der Kunsthalle Krems. Vorher war er Kurator am Bank Austria Kunstform Wien. Er kuratierte u. a. die Ausstellungen Roy Lichtenstein, Willem de Kooning, Frida Kahlo, Warhol & Basquiat, Helen Frankenthaler… .
Eva Riebler besuchte ihn in Krems/Stein.
Zuerst darf ich mich bedanken für die Übermittlung der Bilder dieser einmaligen Ausstellung „The New African Portraiture” aus der Collection der iranischen Brüder Shariat.
Es ist ja die erste europaweite umfangreiche Schau aktueller Tendenzen figurativer Malerei aus Afrika und aus der afrikanischen Diaspora, die in der Kunsthalle Krems noch bis 10.4.23 präsentiert wird.
Dazu gibt es den sehens- und lesenswerten Katalog der Kunst Halle Krems mit 144 Seiten zum Genre und den 24 KünstlerIinnen.
(Verlag Buchhandlung König, Köln)

Unser Heftthema heißt „Hirn mit Ei: auf der Suche nach dem Gelben vom Ei”, daher darf ich fragen: Was ist für Sie das Gelbe vom Ei, sozusagen das Wertvollste des Wertvollen?
Kunst und Kultur sind die wesentlichen Säulen des Menschseins, sind das Besondere. Für mich war Kunst etwas unmittelbar Selbstverständliches. Mit dem Vater war ich immer in Ateliers, an der Druckerpresse usw..., also für mich war immer Kunst Alltag.

Haben Sie einen Ausreißer gemacht oder war ihr Weg in die Kunst bzw. Kunsthalle schon festgelegt?
Ich hatte nicht den Drang Künstler zu werden, wollte mich nicht mit dem Vater (Erich Steininger: Grafiker und Leiter des DOC St. Pöltens/Anm.) messen.

Wie kamen zwei Iraner zum Sammeln von afrikanischer Kunst?
Amir Shariat war in Wien mit Amoako Boafo bekannt, der auf der Akademie am Schillerplatz studierte, daher enthält seine Collection viele Künstler aus Ghana.

Wie keimte in Ihnen die Idee zu dieser Ausstellung?
Im Louvre gibt es nur ein Portraitbild mit einer Schwarzen Person, denn diese waren in der Kunst der letzten Jahrhunderte nicht präsent. (Siehe Katalog S. 125) Sie wird als die Schwarze Mona Lisa bezeichnet. Und dieses Ölbild von 1800 war Ausgangspunkt meiner Idee, das Schwarze Portraitbild in die gegenwärtige afrikanische Malereisituation zu bringen. Dies war der Anlass für diese Ausstellung! Eine Idee war geboren! Ich lud den Kurator Ekow Eshun ein. (Autor der Bücher: In the Black Fantastic und Africa State of Mind)
Dessen Eltern kommen aus Ghana, daher der Schwerpunkt Ghana, außerdem ist Ghana der Schwerpunkt figurativer Malerei.
Amoako Boafo stellte den Sammlern Shariat viele Künstler vor, von denen sie neue Werke kauften und die auch der Kurator Ekow Eshon bereits kannte.

Wertvoll und einzigartig ist diese Ausstellung außerdem, da die eigenen Identitäten von meist sehr jungen schwarzen Künstlern (um die 20/30 Jahre alt) in den Darstellungen selbstbewusst thematisiert werden.
Ja, nicht nur die junge Kunstszene ist in der Schau vereint, auch die Bilder stammen z.T. aus den Jahren 2021 oder sogar 2022.

Interessant sind diese Gegensätze, auch beim Alter. Everlyn Nicodemus z. B. ist 1954 geboren und lebte als Teil der afrikanischen Diaspora in Frankreich, Deutschland und Belgien. Als sie 1973 nach Schweden zog, erlebte sie sich als „Schwarze”.
Ja, die Grande Dame der afrikanischen figurativen Malerei, sie kommt aus Tansania, emigrierte in den 60-er Jahren nach Europa. Sie wurde in Europa rassistisch angefeindet und studierte daraufhin in Stockholm Sozialanthropologie und beschäftige sich mit ihren afrikanischen Wurzeln. Sie war extrem traumatisiert, erlitt 1987 einen Nervenzusammenbruch in Frankreich und
fand in der Malerei ihr Heilmittel um die Traumata zu verarbeiten.

Malte sie vorher?
Nein sie hatte vorher konzeptuelle Kunst gemacht. Sie beschäftigte sich alsdann mit der weiblichen Figur und erstellte Momentaufnahmen ihres Lebens, z. B. ihre Hochzeit oder das Erleben der Mutterschaft oder die Begegnung mit dem Tod usw. Sie zitiert in ihrer Malerei den Kubismus; Henri Matisse, vor allem in der Farbund Formgestaltung.

Wenige der 24 KünstlerIinnen sind vordergründig politisch motiviert, das politische Sujet erschließt sich erst über den persönlichen Blick in die Räumlichkeiten, in die Privatsphäre und zeigen szenisch das Zusammenleben von Familien oder den Arbeitsplatz ..
Das Selbstbewusstsein der Künstler, z. B. bei den Werken von Cornelius Annor, kommt hervor. Er nahm seine Familienalben als Grundlage für seine Malerei. Er war Artist in Residence in Krems im September 2022 und malte vorort einige Bilder.

Thematisiert wird z. B. bei Jean David Nkot der Arbeitsplatz in den Minen oder bei Afia Prempeh an der Nähmaschine. Haftet Ihrer Meinung dem Blick des Besuchers etwas Voyeuristisches an?
Eher umgekehrt. Die Portraitierten blicken uns an. Sie treten sehr aktiv in den Dialog mit uns. Und zwar sehr selbstbewusst in enormer Präsenz.

Wie sehen Sie die Häufung der applizierten Stoffe, sei es als Sakko, als Gewand der Dargestellten oder auch motivisch unterstützend bei Blättern oder Haaren?
Es geht bei der Collage um den Realismus; spezifische Stoffe aus Ghana, unterstützen die Wirklichkeit des Dargestellten. Das wird in den Arbeiten hervorgekehrt. Also kein abstraktes Komponieren, sondern ein motivisches.

Widerspricht das unserem europäischen Geschmack?
Es ist etwas Afrikaspezifisches, die Verquickung der Stoff-Affichierungen, des Materiellen in Verbindung mit gegenständlicher Malerei.

Wie sehen Sie die narrativen Momente in den Darstellungen?
Es gibt erzählende Bilder, die von familiären Situationen schildern und es gibt sehr strenge Portraits ohne Beiwerk. Bei diesen geht es nur um den Ausdruck und den Charakter der Dargestellten.

Amoako Boafo stellte immer nur Freunde dar. Warum eigentlich?
Er ist zeitgemäß und stellt trendige Kleidungsstile anhand seiner coolen Bekannten und FreundInnen dar. Auch er hat in Wien studiert und sich daher konkret auf Egon Schiele bezogen.

Sieht man den Einfluss Schieles im Hervortreten der Figuren aus dem weißen Hintergrund und der Malerei mit den Fingern?
Ja, auch Alexandre Diop bezieht sich in seinen Werken z.B. auf den Jugendstil und das Ornament.

Studierte dieser auch Wien?
Ja, er studiert noch bei Daniel Richter auf der Akademie.

Wie schätzen Sie nun nach der Ausstellung für diese Künstler die wirtschaftliche Bedeutung, die Bedeutung am Kunstmarkt ein?
Bereits vor dieser Ausstellung wurde Amoako schon in Aktionshäusern gehandelt und erzielte enorme Preise. Viele der jungen KünstlerIinnen haben vor Ort ihre erste museale Präsentation und bisher noch keinen Marktwert.

Wie sehen Sie die Maltradition der Afrikaner in Europas Kunstwelt und Kunstgeschichte?
Die afrikanische Kunst war für die europäische Moderne um 1900 wild-primitivistisch. Man verstand unter Afrika-Kunst Masken- und Skulpturenkunst, die nicht von Individuen, von Künstlergenies geschaffen wurde.
Man verstand sie als archaisch-ethnografische Produkte. Diese Einfachheit und Rohheit waren für Picasso oder Matisse inspirierend.

Ist die ausgestellte afrikanische Malerei vorwiegend konkrete Malerei?
Die vertretenen Positionen zeigen eine große Bandbreite an malerischen und bildnerisch-collagehaften Beiträgen - von realistisch - szenischen bis expressionistisch ironischen.

Gibt es das Mythische mit Traumbildern Verwobene oder aus Traumbildern Hervorgehende?
In einem Raum der Ausstellung ist das Mythische gesammelt, die Psyche, das Innere, das Expressive, das Archaische. Z. B. Basil Kincaid geht mit seiner Bildsprache an die Grenze, ist mehrdeutig, faszinierend und provokativ. Josie Love Roebuck lotet ihr Inneres aus, fragt: „Wer bin ich?”. Die Kunstwerke sind Spiegel der einzelnen Individuen. Es geht um ihre Identität. Sie hat sich selbst mit der traditionellen afrikanischen Maske und den Dreadlocks dargestellt.

Was hat sich in Ihrem Denken hinsichtlich der afrikanischen Kunstszene geändert?
Dass sich die Kunst nicht nur auf den europäischen Raum beschränkt, dass Afrika eine unheimlich florierende Kunstregion ist, die im Sinne einer globalen Weltanschauung selbstverständlich miteinzubeziehen ist.

Was könnte sich durch diese Ausstellung im Wertesystem oder der Vorstellung der Betrachter bezüglich heutiger afrikanischer Kunst ändern?
Dass Klischees, die mit dem afrikanischen Kontinent in Verbind stehen, über Bord geworfen werden. Es gibt ja nicht EIN Afrika, sondern einen Kontinent mit 54 Staaten, die eine unheimliche Vielfalt der Kulturen aufweisen.

Ich danke sehr für das interessante Gespräch!