92/LitArena XI/Siegertext 1. Platz: Lea Menges: frauenbild(er) –

Lea Menges
frauenbild(er) –

zyklus aus sechs bildern

erstes bild
was dir offen steht: man zwängt dich in spinde
dein manifest papiern, der neckarbrückensprung
einer pinseltaucherin. was du vor augen verschwimmst:
rolle vorwärts durch die linse substituiert (damals klar)
in deinen kopf hast du den wulstsattel gesetzt, das leckt
und bedeutet: eruption oder silikatschmelz auf den zähnen.
julius und cäsar heißen die genossen im zoo
die parallel besuchten kriegsversehrten.
bomben haben eure panzer splittern lassen.

ich erbe: eine kamera, zwei aquarelle und deinen trotzigen willen.

zweites bild
eine teehybride: zwischen geburt und tod
nennt man dich nicht beim selben namen
ich glaube: es ging nie um identität,
aber die möglichkeiten eines mannes.
es ging auch um die zweckmäßigkeit der dinge
(gefühl und gewicht als grenzen, die zoll verlangen)
also den garten wie einen körper pflegen
(kontrollieren, kompensieren, kompostieren).
und als das hohlorgan zu wuchern wagt
und im selbstekel mündet, ist eines davon
künstlich erzeugt. nein, es ist keine rose,
die da rot-feucht aus der bauchdecke ragt
muttersein und erde hast du nie verbunden.

ich erbe: einen ring, einen anzug und etwas vom verhältnis zum körper.

drittes bild
du trägst zwei brüder und eine schwester zu grabe,
ordnest dich ein zwischen büchern, vielleicht
glaubst du, auch auf dein leben gäbe es eine leihfrist.
einmal bringe ich dir das foto eines grabsteins aus dem urlaub mit
man müsste noch klären, worauf sich das andenken seinerzeit bezog
(auf das foto auf den stein auf den namen auf dich auf mich)
fazit: ich werde dir ein gedächtnis gewesen sein,
ohne mich daran erinnern zu können.

deine parallelexistenz: das erzählte wunderkind, nachlass eines
gelöcherten verstandes. die zeit lies das schon durchschimmern
in jenen sommern, in denen du mir weihnachtslieder sangst.
ich erbe: ein vergessen, das erlöst und die angst davor.

viertes bild
the blood of the covenant is thicker than the water of the womb
liquorräume hyperintens gewichten: eine reine einstellungssache
in abwesenheit emotionaler sättigungsimpulse trägst du
jedes gedächtnis auf: eine kumulation sagittal geschichteter vorräte.
man könnte auch sagen: vita consecrata, mutterschwester wessen,
tausend menschen und doch keinen durch die röhre gepresst
gibst einblicke ins soziale skelett eines dorfes (ein detailliertes
inventar dient der abgrenzbarkeit unbekannter strukturen).
dann dein letzter schnitt coronal, flau-scharfe
bilder schirmen zimmer gegen die isolation
es bleibt bindung an kommunität als gewählte lebensform
und ich als rückfaltungsartefakt (kann mich nicht mehr in deinem
blickwinkel, aber noch innerhalb der empfangsspule lokalisieren).

ich erbe: eine zweite mutter, das röntgenbild eines gestauchten lebensentwurfs.

fünftes bild
auf den feldern schwitzt du mehl, es sind deine haare,
wo man den topf aufsetzt, begreife das als entthronung
in die bach setzt du wehr, bruderlunge unter wasser
du fühlst: man trage ihm selbst den schaden noch nach
es hagelt dann etwas, doch rührt niemand die butter an.
auch das brot, das schimmelfell streichelst lieber,
dein löffelloser mund sich beeilend, wissen aufzusaugen
mit ausgebrochenen krumen, wie speichel in der regenrinne.
man nennt das milchmut. also die scham oben abschöpfen,
oder die stärke. später er, wohin du überlaufen kannst, doch
immer klafft etwas. und du lernst, alles von den rändern her zu fassen
und zusammenzuhalten. (auch hohle bäuche, erst deinen, dann meinen).

was du dir eingepflanzt hast, mein doublebind:
ich ernte es und verwurzele es tief in mir.

sechstes bild
seid vorgegangen: [in] mir, als wehen durch die historie
sie ist einer der körper, den ihr durchlaufen musstet:
bäucheebnen fürs nachgeburtswerden

einer erbträger*in doppelter kreuzigung
(stirn bauch linke schulter rechte schulter,
das ist prozedural erinnert, also leiblich).

mein blick auf mich selbst:
fruchtwassergeschärft über der kornea.
durch unsichtbares in mir sehen
habe ich nicht nur einen nabel,
ab dem ich mich bilden konnte.

Lea Menges (they/them)
Geb.1997. Psychologiestudium in Straßburg, Wien, Osnabrück. Lebt und arbeitet in Wien. Schreibt Lyrik, Essay, Kurzprosa über queerfeministische Identität, Körperlichkeit und Psyche. Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien, zuletzt Jahrbuch der Lyrik 2023. Teilnahme an den open poems 2023. Sonst vor und hinter der Kamera zu finden. lea.menges97@gmail.com

1. Platz EVA MENGES:
frauenbild(er)

Die Lyrik der jungen Eva Menges besticht durch ihre Klarheit. Eine Sprache, die Wasser schneidet, kommt hier zu Wort. Da werden Frauenbilder aufgezeigt, kritisch beleuchtet und in einen historischen Kontext gestellt: von Cäsar ist da die Rede, aber auch vom Sich- Verorten in der Gegenwart. Was bleibt sind Auqarelle, die klingen. Traurig und trotzig. Verletzt und offen. Eine filmische Darstellung löst eine malerische ab - Erinnerungen werden abgetatset, gehen verloren. Die Blickwinkel changieren wie die Wortwahl; hier werden englische Zitate beigemengt, da mit philosophischen Begriffen der Postmoderne wie "Hyperintern" oder "liquorräume" gearbeitet.
Ein gelungenes Werk! Sophie Reyer