91 / Hirn mit Ei / Prosa / Claire Corinne: Hirn mit Ei

Mager liegt der Intellekt am Boden des Gedankenzimmers.
Ausgehungert und verdorrt. Keine Nahrung, Flüssigkeit so gut wie aufgebraucht. Das Gehirn - ein Salatkopf- fängt zu welken an. Mühe macht der kleinste Satz. „Nein, danke.“
Nicht einmal schämen kann sich das Haus in dem das Gedankenzimmer zu Hause ist. Die Welt bleibt rätselhaft vor der (Augen)türe liegen. Innen spielt sich das Spiel von immer weniger werden ab. Die Wände des Zimmers warten auf die Flut, die von der Insel der Ideen- und Gedankenlosigkeit befreit. Nichts aber ist da, dass den Wänden flutendes Wasser gibt. Nicht einmal ein Rauschen als müde Simulation.
Die Nase in Mitten des Denkapparates vernimmt nichts. Frisch gemähter Rasen geht geruchslos an der Nase vorbei, findet sich in anderen wieder, nicht aber im eigenen Gedankenzimmer.
Der Intellekt bleibt wie von fremder Hand auf den Boden fixiert liegen. Ist da denn gar nichts mehr, dass einen Gedanken, einen Funken entfachen kann? Völlig unverhofft und nebenbei rollt, hart gekocht ein Ei durch die Augentüre an der Gedankenzimmerwand entlang. Rollt, rollt, rollt weiter bis es anstößt an dem ausgehungerten, am Boden liegenden Intellekt. Nach dem Aufprall - sanft, nicht wild – bleibt es liegen, als wollte es fragen „Wohin mit mir?“. Der Intellekt will fragen „Was willst du hier?“. Es fehlt ihm aber bei bestem Willen die Kraft.
Ei und Hirn,
Hirn und Ei.
Sehen einander an. Keiner so recht wissend was mit dem anderen anzufangen ist. Außer dem gemeinsamen Ort an dem sie sich befinden, scheint es kaum eine Gemeinsamkeit zu geben. Denkt der Intellekt.
Das Ei kann rollen, sich bewegen. Ein Hirn hingegen ist auf so vieles für Bewegung angewiesen. Das Ei hat eine Schale, die es schützt und zu gleich fragil und verwundbar macht.
Die hat das Hirn auch in ähnlicher Weise. Eine Gemeinsamkeit.
Das Ei kann Leben schaffen. Und was schafft das Gehirn?
Mit viel Glück kann es von Zeit zu Zeit einen Gedanken oder gar eine Idee gebären, die dann aber oft doch nur Luftschloss bleibt, während in den Ställen die Kücken piepen.
Das Denken über das Ei in all seinen Farben, Formen, Zuständen. Umständen und Haltungsformen fängt den eben noch so kümmerlich am Boden liegenden Intellekt zu nähren an. Ohne es zu merken richtet der Intellekt sich auf und beginnt im Gedankenzimmer auf und ab zu gehen.
Das Ei in der Hand des Intellekts steht für das Leben an sich und für das Vergehen, denkt der Intellekt bei sich. Für das Anfangen und Neu beginnen. Für das Enden und das Abschiedslied singen. Von verschiedenen Formen in sich selbst Gebrauch zu machen. Der Intellekt denkt lebendig. Heute auf dem Tagesplan: Hirn mit Ei.
(Hoffentlich fängt so tatsächlich denken an.)

Claire Corrine
Geb. 1990 in Wien, Schauspielerin, schreibt Lyrik und Prosa. Etcetera Nr 58/Niemand.
E-Mail: claire.corrine@gmx.at