91 / Hirn mit Ei / Prosa / Franz-Xaver Rohracher: Eierspeis

Herausgeputzt, das Ei herausgepellt, kommt er an. Selbst ein halbes Ei wär besser als diese leere Schale. Nur sein Gesicht strahlt täuschenderweise wie ein Dotter und schreit: Ich bin das Gelbe vom Ei!
Er brütete den ganzen Weg darüber, was er sagen soll. Ist das Ei faul, hilft das ganze Brüten nichts. Bei seiner Ankunft im Restaurant hat er so viel vorzuweisen wie bei seinem Aufbruch. Dicke Eier und dünne Phrasen. Am Tisch ihr gegenübersitzend führt er einen Eiertanz auf. Sonst tanzt er nur mit Mädels in der Disko und die auch nur von hinten an.
Dann ist er auf Aufriss. Schlau ist er nicht, dafür unauffällig wie ein Fuchs im Hühnerstall. So reißt er nicht viel. Vorher sagt er: Fuchs und Henne!, nachher nur noch: Mensch ärgere dich nicht!
Diese Henne lässt den Fuchs in den Stall. Sie weiß, dass ihm die Zähne fehlen. Er lässt die Schale nicht fallen, ist zu seinem Pech aber nicht schwer zu durchschauen. Dieses Ei will klüger sein als die Henne. Dazu fehlt ihm Hirn. Hirn mit Ei ist heutzutage eine seltene Delikatesse, Eier ohne Hirn gibt es dagegen wie Sand am Meer. Das weiß die Henne, nicht erst seit ihr auf der Straße nachgekräht wird.
Er weiß: Die Henne trägt aus. Und legt. Dazu sind Hennen nun einmal da. Hat die Henne ein Ei gelegt gackert sie. Es gibt auch Hennen, die immer gackern, Ei hin oder Ei her. Die meisten Frauen sind solche Hennen. So sieht es dieser Hahn. Ein Kikeriki ist mehr wert als ein Gackern. Ein Hahn wiegt alle Hennen im Stall auf. Das Kikeriki läutet den Tag ein, strotzt also vor Manneskraft. Vom Gackern hat keiner was – na bitte, sparen wir uns das. Er ist ausgestattet mit zwei Fabergé-Eiern, die seit seiner Pubertät Goldes wert produzieren. Ihr Vorrat an Eiern hingegen ist begrenzt, so also auch ihr Wert. Sein Samen säht Leben, ist der Keim des Lebens, wie auch Salmonellen Keime sind.
In ihm keimt die Gewissheit: Er wird heute flachgelegt. Sie ist eine Legehenne, da ist er sich sicher. Nur wenn sie legt, kann etwas schlüpfen. Legt sie nicht, kommt auch nichts dabei heraus. Er muss es rauslassen und hofft auf Erleichterung seiner schweren Fracht. Sie ist hoffnungslos verliebt, weiß er ihre Signale falsch zu deuten. Ungelegte Eier sind hoffnungsvoll. Solange sie voll ungelegter Hoffnung ist, wird man sie noch behandeln wie ein rohes Ei. Das hat den Vorteil, dass sie sich in die Vorstellung verkrallen kann, geliebt zu werden. Liebe und vorgespielte Liebe gleichen sich gelegentlich wie ein Ei dem anderen. Vorgespielte Liebe und entzogene Liebe nicht. Er hat vor, Liebe zu machen und dann abzuziehen, sie sitzen zu lassen, wie die Glucke auf ihren Eiern. Noch während er sich wie auf Eierschalen aus ihrem Zimmer stehlen wird, wird er in ihren Träumen als goldener Gockel erscheinen. Erst wenn sie aufwacht, wird sie bemerken, dass sie ihm auf den Leim gegangen ist.
Auf die Eier kann sie ihm dann nicht mehr gehen. Jetzt geht sie erst einmal auf die Toilette. Lang will er nicht mehr herumeiern, es ist an der Zeit, zur Sache zu kommen. Die Tafel biegt sich vor leeren Tellern und Cocktailgläsern. Sie hatte Appetit auf teuer Speis und Trank, er hat Appetit auf sie. Er wird einige Eier hinblättern müssen. Dafür darf er ihr später seinen Schwanz zur Nachspeise servieren, was naturgemäß vor allem ihn selbst freuen wird.
Sie wird wohl ein Ei legen, denkt er noch, als sie schon eine Weile auf sich warten lässt. Das Ei hat er sich selbst gelegt.
Er ist der Sitzengelassene. Der gerupfte Gockel klebt angeknackst am Tisch wie das Ei des Kolumbus. Zurückkehren wird sie nicht. Sie hat dem schenkenden Gaul tief genug ins Maul geschaut.

Franz-Xaver Rohracher
Jahrgang 1991; aus Innsbruck; Lehramtsstudium Mathematik, Deutsch und Physik an der Universität Innsbruck; mehrjährige Lehrtätigkeit an Gymnasien in Wien; seit 2022 Veröffentlichungen in diversen Magazinen und Anthologien; lebt in Mondsee, Innsbruck, Wien.
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