95 / Kafkaesk / Prosa / Andrea Heinisch: Am Reparaturdock

Geht mir so, als ob ich auf eine heiße Herdplatte greifen würde. Kann ich nicht mitmachen. Kann ich mich mit meinen grünen, blauen und roten, ach ja: und gelben, gelb-wie-Schwefel-gelben Beulen nicht einmal hineinerfinden und anders, also echt, anders geht es ja nicht. Eine Schmerz-, eine Farb- und eine Platzfrage und außerdem lebe ich sowieso ein ganz anderes Leben. Lebe ich nur für mich, wie so ein Leben halt daherkommt mitsamt seinen Stockwerken und Fenstern und Türen. Zimmern und so weiter und ich halte alles sauber, wie es sich gehört. Fast alles, weil alles geht eh nie. Aber für euch: schmaler müsste es sein, klarer auf jeden Fall, fokussiert nennt ihr das, oder breiter. Viel breiter. Mindestens zwölf Straßenzüge breit. Für jeden einen. Da wäre dann sicher auch was für euch dabei. Was Passendes. Nicht nur das, das mir zugefallen ist, weil ich grad war, wo ich war, und weil ich keinen Schritt weitergegangen bin. Aus Mutwillen. Oder Mutunwillen, wie ihr wollt. Mir ist das egal. Ich weiß es sowieso besser, wie ihr ja auch. Weil ich mein Leben lang nur die war, die ich war, bin ich so. Von Geburt an. Hab ich das falsche Leben gelebt (dafür, für euch so) und jetzt: Keinen Fuß kann ich setzen, wie ihr nun einmal seid: Heiter oder klug, meistens beides, freudig in eurer Freude, elegant in eurer Wut, ungeformte Schönheit, ja, das geht auch. Gebildet allemal und ganz viel in Erfahrung gebracht, gesehen, gehört, erlebt und dann: viel arbeiten und in Geduld geübt haben oder gezähmte Ungeduld im Vorgarten ausgebreitet haben auch für die, die zufällig vorbeikommen und schnell einmal ein paar Seiten aufschlagen wollen, man weiß ja nie. Alles gemacht habt ihr immer genau so oder genau im Gegenteil, in jedem Fall liegt ihr gut im Ohr, noch besser in den Augen.
Wie oft muss man das üben, bis es sitzt. Es: das Gesicht. Sie: die Arme beim Gestikulieren, die Finger. Wie spreizt man die Finger genau richtig: nicht ausdruckslos, einfach nur angewachsen, wie sie nun einmal da sind zum Apfelschälen, aber auch nicht affektiert wie die einfachen Leute den kleinen Finger wegspreizen, wenn sie eine noble, eine so richtig dünnwandige Kaffee- oder gar: Teetasse in die Hand bekommen: Da, trink doch was. Und er: der Körper, dass er passt, koste es was es wolle, und das Ganze immer schön ins Licht getaucht: in ein warmes (das Gefühl) oder helles (die Erleuchtung oder, wenn wir nichts mehr glauben: das Wissen). Keinesfalls heiß. Wenn schon heiß, dann bitte keine ordinäre Herdplatte, wie du sie von deiner Großmutter kennst, sondern kultiviert bis zum Schluss: Bis es nicht mehr geht, aber dann: dezentes Implodieren, direkt ins Designergewand hinein, oder Amoklaufen, Flächenbrand oder vielleicht doch ein kleines Kaminfeuer im Winterurlaub auf der Alm. Das gibt auch schöne Bilder.
Ich aber krieg‘ gleich den Mund nicht zu wegen des Gähnens, weil ihr so langweilig seid, und die Augen krieg‘ ich nicht auf, weil ich euch nämlich am besten gleich gar nicht sehen will. Nicht wirklich. Die Hälfte oder mehr soll mir entgehen. Entgeht mir. Läuft mir aus den Augenwinkeln. Läuft aus und davon. Auf Nimmerwiedersehen. Läuft weg, schwärzt mich an, verrät mich an die Erstbesten, die ihm begegnen, während ich herumhänge, immer noch auf Spielplätzen unterwegs. Auf Schaukeln (himmelhoch!) und Wippen (mal so, mal so). Hänge mich an Stangen, übe zum tausendsten Mal den Felgaufschwung. Zähle dann aber jeden Morgen nach, ob ich überhaupt noch alle Zehen habe und Finger. Ob ich nicht ein paar Teile verloren habe oder mir welche gewachsen sind in der Nacht, wo ich in Träumen gefangen war, am Reparaturdock, wie willenlos.
Eines noch, speziell für dich: Lass dich nicht täuschen. Nicht von meinem Gähnen und nicht von meinem Lachen, weil ja: lachen kann ich auch. Doch ist der Mund erst einmal offen, frisst er dich auch schnell einmal. Bist schließlich ja auch nur ein Happen. Kriegst ein Ehrengrab, darfst dir die Farbe aussuchen. Doch, Farbe muss sein, das Schwarz bleibt draußen, das ist der Deal. Es bleibt draußen wie das Rot auf den Bettlaken, die schon straff gezogen sind für die nächste Nacht, die bereits auf den weißen Buchseiten klebt, die mich immer noch kalt lassen wie die Eiszapfen, die du mir im Winter vom Dach gebrochen hast. Die gefangen in meiner Hand langsam zu Wasser geschmolzen sind, das mir in den Nächten aus den Augenwinkeln gelaufen ist. Auf und davon. Wir aber (ich meine mich), wir sind schon längst weiter. Wo uns im Hintergrund was blüht. Ein Sonnenauf- oder -untergang, vielleicht sogar ein Schicksal oder wenigstens etwas in der Art. Verlockender ist das allemal.

 

Andrea Heinisch
1959 in Wien geboren, Studium der Germanistik und Geschichte in Salzburg, lebt und schreibt in Wien und im Waldviertel. Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften und Anthologien, 2023 Henriette lächelt. Roman (Picus). www.andreaheinisch.at