95 / Kafkaesk / Prosa / Dani Inger: Eine Bewerbung als Arbeitssuchender

Hohe Vertreter des Arbeitsamts!

Als Repräsentanten aller Arbeitssuchenden bitten Sie mich unablässig, mein unbefristetes Werben um eine Arbeitsstelle fortzusetzen und Ihnen meine diesbezügliche Vorgehensweise darzulegen.

Als sprachlich wie auch fachlich versierter Generalist mit einer Vielzahl an Studien, einem Dutzend flüssig gesprochener, geschriebener und sonst auch in jeglicher Hinsicht vollauf beherrschter Sprachen sowie jahrzehntelanger Arbeitserfahrung in einer Reihe von prestigeträchtigen Organisationen bin ich hierfür vollauf qualifiziert und komme Ihrem Ansuchen gerne nach, indem ich den einzig logischen Weg gehe:
Ich krümme meinen Rücken, strecke meinen Kopf weit nach oben, schiebe ihn mit einem Ruck tief in Ihr Arschloch und richte mir dort einen dauerhaften Wohnsitz ein.

Ich weiß, Sie wollen eine kurze und knackige Rede, die Sie mitreißt und Sie für mich begeistern lässt. Ich weiß, Ihre Zeit ist kostbar. Ich weiß, Sie lesen nicht gerne (zumindest nicht zusammenhängend oder aufmerksam). Ich weiß, Sie interessieren sich nicht wirklich für mich. Ich weiß, ich labere, drücke mich um das eigentliche Thema und halte die branchenübliche Zeitspanne von 8 Sekunden Lesezeit pro Bewerbungsschreiben dadurch nicht ein. Ich weiß, Sie würden viel lieber von meinem sozialen Hintergrund und schwerlichst erkämpften Aufstieg zur Gruppe der Bildungselite hören. Ich weiß. Nur kann ich damit leider nicht dienen.

Ich stamme aus gutem Hause, wenn auch nicht allzu gut, habe eine gute Bildung und eine halbwegs gute finanzielle elterliche Unterstützung erhalten, ohne wirklich genug Geld gehabt zu haben und somit trotzdem arbeiten hatte müssen. Von Orchideenfächern und allerlei anderer vonder Wirklichkeit entfremdeter Gebiete fasziniert, hatte ich eine verquere Vorstellung von der Wirklichkeit, was mich zu leichter Beute für die weite Arbeitswelt machte. Von den endlosen Möglichkeiten der Welt überzeugt, zumindest für ein wohlstandsverwahrlostes Bobokind, hatte ich mir keine sonderlich Gedanken über die am Arbeitsmarkt gefragten Kompetenzen, Verhaltensweisen und Schriebe gemacht. Es erforderte den Verbrauch eines Erbes, eines Bausparkontos und der gesammelten Summe von 10 Weihnachtsund Geburtstagsgeschenken, bis sich diese lebensfrohe Positivität behandeln ließ und die Erkenntnis einsetzte: Als intelligenter und gebildeter Mensch habe ich keine schick klingenden Titel auf meinen Lebenslauf schön aneinanderzureihen, abgesehen von jenen, die ich bereits habe, die aber niemanden interessieren. Weder Betriebswirtschaft noch Medizin oder Recht stehen als tonangebende Wörter an relevanter Stelle meines Lebenslaufes, der somit wertlos ist.

Intellektuell angehauchte und zum Denken motivierte Individuen hätten nur selten Platz in wichtigen Positionen mit entsprechendem Gehaltszettel. Vielmehr gehörten sie in ein Vorzimmer gesetzt, hätten Büromaterial zu bestellen, zu ordnen und gelegentlich auch einen Anruf zur Chefität durchzustellen. Diese Verwahrung ist zugegebenermaßen sehr effektiv zur Domestizierung von Angestellten aller Richtungen. Anfangs hatte ich damit auch gar kein Problem, hätte ohne Weiteres ein hauptsächlich zwischen 9 und 17 Uhr stattfindendes Leben gewählt, um die Erhaltung des familiären Friedens unter konstantem Verzicht aller persönlicher Freuden im Angesicht abstoßend langweiliger Tätigkeiten zu gewährleisten.
Konfrontiert mit der grenzenlosen Dummheit und Arroganz meiner Vorgesetzten und Kollegen wurde aber im Verlauf der Jahre klar, dass ich unweigerlich eingehen würde und eine andere Lösung finden musste. Rebellieren oder mich fügen? Als angemessenen Akt der Rebellion hätte ich nur Amok laufen können, alle Arschlöcher von ihrem Leben und die Welt von ihrer Anwesenheit befreien können. Doch wäre ich dann unweigerlich ins Schussfeld eines schießwütigen Ordnungshüters gelaufen und daraufhin in einem Krankenbett, Friedhof oder einer Zelle gelandet. Alles war besser als ein weiteres Gefängnis.
Ich fügte mich deshalb, wenn auch nicht ohne Gegenwehr, und fasste einen Beschluss: Besser einen Job suchen als einen solchen zu haben!

Aus diesem Grund gelobe ich Ihnen nun stets aufs Neue meine tiefste und unaufhörliche Anerkennung für die Ehren des allseits bekannten Arbeitsamts. Ich gelobe Ergebenheit und Hingabe. Ich gelobe, ein Dauerkunde zu bleiben! Ich gelobe selbstverständlich, mein Bestes hierfür zu geben. Mehrere Bewerbungen, selbstverständlich eine jede personalisiert und an die jeweiligen Empfänger angepasst, tagtäglich auszusenden, mehrere Stunden wirre und sich fast (aber nur fast!) gleichende Bewerbungsportale zu durchforsten, bei einem jeden Gespräch frisiert, gestylt und inhaltlich aufs Beste tipptopp vorbereitet zu erscheinen, Motivation, Positivität und Selbstbewusstsein an den Tag zu legen, um mich stets nur von meiner besten Seite zu präsentieren und niemals, niemals, niemals nie auch nur ein einziges Mal einen Flüchtigkeits-, Rechtschreib- oder sonstige durch selbstverständlich strengstens zu ahndende Unachtsamkeit entstehende und für fast keine Arbeit bedeutsamen oder sonst je relevant werdenden Fehler zu begehen. Kein falscher Schritt! Niemals!
Um diese hohen Standards auch tatsächlich gewährleisten zu können, war ich dazu verpflichtet, meine bereits vielfach erprobte Tätigkeit mit ungeteiltem Fokus fortzusetzen und auf immer und ewig als Arbeitssuchender um eine unbefristete Anstellung beim Arbeitsamt anzusuchen.

Fast 1631 Bewerbungsschreiben, 169 Gespräche und 2,3 Jahre Jugendpension trennen mich mittlerweile von meinem Dasein als Lohnsklave. Niemals hätte ich diese Zahl erreicht, hätte ich an Ansprüchen, menschlicher Würde und fairer Bezahlung als Kriterien festgehalten. Ich ergab mich der Demütigung, Herabwürdigung und Verachtung meiner Person in diesem Berufsfindungsprozess und beendete die Jobsuche, indem ich mich dieser zu 100 % verschrieb.
Wie sich diese Stellung von meiner vorigen Anstellung als Bürohilfslakai unterscheidet? Ganz und gar beträchtlich unterscheidet sich dies! Während ich zuvor buckeln musste, um eine sinnbefreite und von bürokratischen Prozessen dominierte Arbeit zu erledigen, so darf ich jetzt eine sinnarme und von bürokratischen Prozessen dominierte Arbeit erledigen, ohne tatsächlich Gefahr zu laufen, im Arschloch einer anderen Person stecken zu bleiben. Gebuckelt wird nur auf Papier, im Bewerbungsgespräch und vor dem Bildschirm, nicht mehr beim Tragen des Kaffees.
Über die Jahre krümmt sich der Rücken kontinuierlich, der Blick wandert nicht mehr nach oben und der Bauch wächst großzügig in alle Richtungen. Ein dicker Buckel macht das aufrechte Sitzen, Gehen und Stehen unmöglich, drückt mit gewaltigem Gewicht alles gen Boden und anderes als die sauber polierten Schuhe des Gegenübers zu sehen, erlaubt das nunmehr eingeschränkte Blickfeld ohnehin nicht mehr. Dies ist eine überaus nützliche Einstellung, die sich für den weiteren Lebensverlauf (denn den Lebenslauf interessiert niemanden) lohnen wird. Je mehr, länger und besser sie geprobt wird, desto eher stellt sich auch der restliche Körper darauf ein. Ohne Aufrichten kann man schließlich nichts richtigstellen. Und so ist es am Ende doch auch gut und richtig.
Dank dieser Haltung sowie meines andauernden Widerstands gegen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen bin ich überzeugt, einen wertvollen Mitarbeiter und einen noch wertvolleren Dienst für Sie leisten zu können. Denn als universell gebildeter und vielseitig einsetzbarer Mensch eigne ich mich hervorragend als Arbeitsloser: Ich kann nichts wirklich gut, aber auch nichts schlecht.

Auf jeden Fall habe ich mein Ziel hiermit erreicht und benötige eigentlich weder Ihr Urteil noch Ihre Zusage, ja noch nicht einmal eine Antwort. Meinen Fähigkeiten entsprechend bewerbe ich mich nur und auch bei Ihnen habe ich mich nur beworben. Denn arbeiten will ich nicht.

 

Dani Inger
Geboren in Linz, wohnhaft in Wien. Studien der Komparatistik, Linguistik und Internationalen Beziehungen.