Bildende

Meret Oppenheim: Retrospektive. Rez.: Ingrid Reichel

Ingrid Reichel
Bye-bye Muse - Der 100. Geburtstag einer Künstlerin
oder
Vom kläglichen Versuch die Kunstgeschichte zu feminisieren

 
Meret Oppenheim:
Porträt mit Tätowierung, 1980
Privatsammlung, Bern
Foto: Heinz Günter Mebusch,
Düsseldorf © VBK, Wien, 2013
 
 

Meret Oppenheim
Retrospektive

Bank Austria Kunstforum, Wien
Pressekonferenz: 20.03.2013
Ausstellungdauer: 21.03.13 - 14.07.13
Kuratorin: Heike Eipeldauer
Ausstellungsorganisation: Lisa Ortner-Kreil
Die Ausstellung ist eine Kooperation mit dem Martin-Gropius-Bau, Berlin

Katalog zur Ausstellung:
Meret Oppenheim: Retrospektive
Hg. Heike Eipeldauer, Ingried Brugger, Gereon Sievernich

Ostfildern: Hatja Cantz, 2013. 312 S.
In deutscher und englischer Version
ISBN 978-3-7757-3510-0 (dt. Fassung)
Museumshop: € 29.-
Preis: € 39,80.-

Hat sich die Kunsthalle Wien bereits 2011 bemüht den Surrealismus mit ihrer Ausstellung „Salvador Dalí & Glenn Brown, Louise Bourgeois, Markus Schinwald, Francesco Vezzoli. Le surréalisme, c’est moi!“ in Zusammenhang zur Moderne zu bringen, so scheint der Surrealismus nach dem Dadaismus der 20er Jahre ein Revival zu erleben: Die Albertina bringt bis Mai 2013 eine ausgezeichnete und würdige Retrospektive von Max Ernst und das Kunstforum Bank Austria widmet bis Juli 2013 der 1985 in Basel verstorbenen deutsch-schweizerischen Künstlerin und Lyrikerin Meret Oppenheim die bislang wohl umfangreichste Ausstellung in Österreich.

Zwei Jahre Vorbereitungszeit kostete es der Kuratorin Heike Eipeldauer diese umfassende Retrospektive bestehend aus 200 Leihgaben verschiedener europäischen Museen und Privatsammlungen zusammenzustellen. Die Ausstellung wird anschließend nach Berlin wandern und vom 16.08.-01.12.13 im Martin-Gropius-Bau gezeigt.

Zum 100. Geburtstag der 1913 im einstigen Charlottenburg, dem heutigen Berlin, geborenen Oppenheim will das Kunstforum Bank Austria das Image der als Muse der Surrealisten und Schöpferin der mittlerweile zum Kultstatus emporgehobenen „Pelztasse“ (1936) ins rechte Licht rücken. Die Schau soll ihre künstlerische Position mit ihrem vielseitigen Werk seine souveräne Eigenständigkeit demonstrieren. So sind verteilt über ihre ganze Schaffenszeit Tuschezeichnungen, Ready-mades, Schmuckstücke und Entwurfsskizzen, Modeentwürfe, Möbelstücke, Masken, Skulpturen, surrealistische Malereien und Fotografien der Künstlerin zu sehen wie auch Fotografien von ihr wie die von Man Ray aus der Serie

 
Man Ray: Aus der Serie - Érotique voilée, 1933/1960
Courtesy Galerie Johannes Faber
© Man Ray Trust/VBK, Wien, 2013 (Ausschnitt)
 
 
Meret Oppenheim: Bon appétit, Marcel!
(Die weiße Königin), 1966/1978
Sammlung Foster Goldstrom
Foto: Chris Puttere © VBK, Wien, 2013
 
 
Meret Oppenheim: Das Leiden der Genoveva, 1939
Kunstmuseum Bern, Legat der Künstlerin
Foto: Peter Lauri, Bern
© VBK, Wien, 2013
 

Érotique voilée (1933), auf denen Oppenheim jung und nackt mit Druckerpresse abgelichtet ist und das ihr den Ruf der „Muse der Surrealisten“ einbrachte. Schließlich zeigt das Kunstforum noch jene Fotografien von Hans Hammerskiöld und Margit Baumann, die kurz vor ihrem tödlichen Herzinfarkt aufgenommen wurden.

Meret Oppenheim war die älteste Tochter des Hamburger Arztes Erich A. Oppenheim und der Schweizerin Eva Wenger. Ihre Großmutter war Lisa Wenger (1858-1941), eine Malerin und bekannte Kinderbuchautorin (Joggeli söll ga Birli schüttle), die u.a. eine Schule für Porzellanmalerei führte. Ihre Tante Ruth Wenger war kurz mit Hermann Hesse verheiratet. Eingebettet in dieses kulturelle Ambiente beschloss Oppenheim 1931 selbst Künstlerin zu werden. 1933, mit 20 Jahren, ging sie nach Paris, wo sie Alberto Giacometti und Hans Arp kennenlernte. Bald freundete sie sich mit der surrealistischen Gruppe um André Breton und Marcel Duchamp an. Schließlich wurde sie 1934, so wird es auch in dieser Schau dokumentiert, Max Ernsts Geliebte für ein Jahr! Lassen Sie mich schnell nachrechnen: Sie war 21 Jahre alt, er 43!

Und hier liegt auch schon der „kleine“ feministischer Knackpunkt begraben, wenn man von Oppenheim als einer der wichtigsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts spricht. Sie war seine Geliebte … und nicht umgekehrt. Eine sprachliche Nuance, die sich wie ein Perpetuum mobile als Grammatikfehler stetig wiederholt und sich in den Hirnen fortpflanzt. Niemand spricht davon, dass Picasso der Geliebte von Dora Maar (damals 29) oder Françoise Gilot (damals 22/ er 62!) war, oder wenn wir nun bei Max Ernst bleiben wollen, er der Geliebte von so vielen Frauen war. In ihrem Werk „Gefährliche Musen“ (Berlin: edition ebersbach, 2007) geht die Kunsthistorikerin Karoline Hille auf die vielen Künstlerinnen, Sammlerinnen, Kunstkritikerinnen und Managerinnen ein, die Max Ernst als Musen verzehrte. Oppenheim kommt darin nicht vor, war sie zu unbedeutend für ihn? Und inwiefern konnte sie von dem großen Max Ernst profitieren, der selbst auf so viele Frauen angewiesen war, um zu reüssieren? War sie zu jung und zu mittellos ihm zu dienen? Stets blieben die Frauen an der Seite der Männer nur ein Schatten, bestenfalls wurden und werden sie nach wie vor als Graue Eminenzen dokumentiert. Fakt ist, dass männliche Künstler Frauen mit Geld, Einfluss und/ oder betörender Schönheit bedurften, um Karriere zu machen.*

Oppenheim war wie (fast) alle ihrer Kolleginnen Autodidaktin. Auf das WARUM? wird auch in dieser Schau nicht eingegangen. Dass nämlich Frauen im Allgemeinen nicht auf Kunstakademien aufgenommen wurden und sich das Aktstudium als Prüfstein der Sittlichkeit erwies**. Die einzige wahre Möglichkeit, sich als Frau, etwas in die Kunstszene zu integrieren und auch etwas zu lernen, war die gute und allbewährte weibliche Sexualpolitik. Daniel Spoerri erzählte in einem Interview anlässlich dieser Ausstellungseröffnung (Ausschnitt ausgestrahlt am 18.03.13 Kulturmontag, ORF2) Oppenheims Großzügigkeit bezüglich Sexualität, welche sie als Geschenk sah. Doch vergleichen wir Max Ernsts (1891-1976) oder Salvador Dalís (1904-1989) Ölgemälde mit Oppenheims, kann sie rein technisch mit ihnen nicht mithalten. Vielmehr war es ihre langwierige geographische wie künstlerische Distanzierung zu dem surrealistischen Männerclub und nicht deren Förderung, die sie und andere Künstlerkolleginnen wie Claude Cahun, Leonor Fini und Jacqueline Lamda eine selbstständige Arbeit ermöglichte. Einleuchtend zitiert die Kunsthistorikerin Abigail Solomon-Godeau in ihrem Essay „Fetishism Unbound“ die Kunsthistorikerin Whitney Chadwick, die die Problematik der Künstlerinnen zu dem surrealistischen Kreis aufzeigte und den Wortführer des Surrealismus André Breton nicht nur als großen Förderer, sondern auch in seiner Vereinnahmung charakterisierte: „Für Künstlerinnen war das idealisierte Frauenbild des Surrealismus ein Klotz am Bein, der nur schwer zu ignorieren war.“[1]
 

 
Meret Oppenheim: Pelztasse, 1933
Quelle: Internet
 

Als Beispiel hierfür dient unter anderem die legendäre „Pelztasse“. Ein gemeinsamer Caféhaus-Besuch mit Dora Maar und Pablo Picasso brachte Oppenheim auf die Idee des mit Pelz überzogenen Teetassensets. Dass die Beziehungen zwischen den Frauen weniger dokumentiert wurden als die Beziehung zwischen den Frauen und der surrealistischen Männerelite, bestärkt Chadwicks Theorie, dass Oppenheims Pelzarmband und ihre Freundschaft zu Dora Maar für die Kreation der Pelztasse ausschlaggebend war und nicht Picassos Bemerkung, alles ließe sich in Pelz kleiden. Die Pelztasse brachte Oppenheim einen schnellen Erfolg, immerhin wurde sie noch im selben Jahr für die Sammlung des New Yorker Museum of Modern Art angekauft. Erst 1938 gab André Breton dem Werk seinen „offiziellen“ Titel: Le déjeuner en fourrure. Ein Titel, den er auf Édouard Manets skandalumwittertes Ölgemälde „Le déjeuner sur l’herbe“ (Frühstück im Grünen, 1863) und Leopold von Sacher-Masochs Erotikroman „Venus im Pelz“ (1898) bezog. Interessant ist hierbei wieder, dass der Protagonist des Romans die Frau entweder als Sklavin oder als Beherrscherin des Mannes, niemals aber als gleichberechtigte Partnerin, sah.
Es ist also kein Wunder, dass die Biografien der Künstlerinnen der surrealistischen Ära von Selbstmorden, Nervenzusammenbrüchen und Depressionen geprägt sind [2]. Auch Oppenheim schlitterte ab 1936, trotz frühen und schnellen Erfolgs, in eine schwere Krise, begleitet von finanziellen sowie, bedingt durch das angehende 3. Reich, existenziellen Sorgen, die sie in ihrem Schaffensprozess behinderten.

 
Meret Oppenheim:
Maske mit »Bäh«-Zunge, o.J.
Privatsammlung
Foto: Stefanie Beretta, Verscio © VBK, Wien, 2013
 

Käthe Kollwitz‘ schrieb in ihrem Tagebuch 1922**: „Die meisten Frauen empfangen eigentlich ihr Leben durch die Männer, bilden es sich wenigstens ein, treten in die Ehe und sind nun fest.“ Auch Meret Oppenheim war von 1949 bis zu seinem Tod 1967 mit Wolfgang La Roche verheiratet. Erst 1954 schien sie ihre Krise überwunden zu haben und sie bezog ein eigenes Atelier. Dort entstanden Kostüme und Masken zu Daniel Spoerris Inszenierung von Picassos Theaterstück „Wie man Wünsche am Schwanz packt.“ 1958 begann ihr intensives Schaffen, wobei sie auf Skizzen und Entwürfe der Pariser Zeit zurückgriff. 1967 wurde eine erste Retrospektive im Moderna Museet in Stockholm ausgerichtet. Den ersten Kunstpreis erhielt sie von der Stadt Basel 1974. 1983 wurde ein Brunnen auf dem Waisenhausplatz in Bern eingeweiht. Der Leiter des Martin-Gropius-Bau Gereon Sievernich wollte bei seiner Eröffnungsrede in Wien nicht einmal die Stadt nennen, weil die Bevölkerung so lange Jahre gegen den Brunnen rebellierte, obwohl der Brunnen, laut seiner Aussage mittlerweile große Akzeptanz gefunden habe.

Wir kehren zum löblichen Ansinnen des Kunstforums zurück, Oppenheims Werk in den rechten Blickwinkel zu setzen. Wie ist das möglich?, fragt man sich als Besucher der Schau. Will man hier die Fakten verklären, den bis heute anhaltenden Antifeminismus in der Kunstszene beschönigen oder gar verniedlichen? Obwohl die Kuratorin der Ausstellung Heike Eipeldauer hervorragende Arbeit bezüglich der Werkauswahl geleistet hat, kann das eigentliche Ansinnen nicht erfüllt werden. Meret Oppenheim, wie viele andere ihrer Berufskolleginnen ist und bleibt die Muse in diesem so männlich intellektualisierten Surrealismus. Oppenheim begann sich nicht nur von dieser Richtung zu distanzieren, sondern verleugnete bislang sogar gewisse Aspekte wie die Sexualität in Man Rays bereits oben genannter Fotoserie oder die Wichtigkeit der Pelztasse.
Dieser innere wie auch äußere kompromisslose Kampf kommt schließlich in der Ausstellung nicht zu tragen. Vielmehr bekommt man den Eindruck, Oppenheim wäre eine surrealistische Künstlerin, die sie aber de facto nicht war. Besonders eigenwillig mutet deshalb die Hängung des 1970 entstandenen kleinen Mixed-Media-Objekts „Andenken an das Pelzfrühstück“ (17 x 20 x 5 cm) an, welches in über 2 Meter Höhe in einer Ecke angebracht wurde und wegen starker Verspiegelung für den Betrachter kaum in Augenschein genommen werden kann. Dabei könnte es sich im Ausstellungskonzept, um die Darstellung Oppenheims Loslösung von der originären Pelztasse handeln, ein Vermerk hierzu fehlt jedoch. Umso wahrscheinlicher ist es, dass der Besucher einfach die Kostbarkeit übersieht und wenn, dann nicht versteht.

 
Meret Oppenheim: Das Paar, 1956
Privatsammlung © VBK, Wien, 2013
 

Viel besser wird das Ansinnen der Schau im Katalog umgesetzt. Besonders Solomon-Godeaus Essay über den Fetischismus ermöglicht den Zugang zu Oppenheims Kunst, indem sie die Verflechtung von Sexualität und Kunst veranschaulicht. Was viele Künstlerinnen verschiedener Richtungen des 20. Jahrhunderts verbindet, ist ihre Beschäftigung mit den Verlockungen des Fetischobjekts sowie die Einsicht, dass der in Bildern von Weiblichkeit allgegenwärtige Fetischismus den „Ängsten, Fantasien, und Begehren des männlichen Unbewussten„ entspringt, insofern also Frauen in ihrer Kunst männliche Fantasien verinnerlichen (Katalog: S. 46). Es ist wohl die von Oppenheim immer wieder angesprochene Androgynität, die an die Realisation des utopischen Wunschgedankens einer wechselseitigen partnerschaftliche Beziehung zwischen Mann und Frau glauben lässt.

Anlässlich der Überreichung des Kunstpreises der Stadt Basel 1974 bringt Oppenheim in ihrer Rede folgende Gesellschaftskritik an: „Bei den Künstlern ist man es gewöhnt, dass sie ein Leben führen, wie es ihnen passt - und die Bürger drücken ein Auge zu. Wenn aber eine Frau das Gleiche tut, dann sperren sie alle Augen auf. […] Die Freiheit wird einem nicht gegeben, man muss sie nehmen.“ (Katalog: S. 270)

Fazit: Die Schau erweist sich als wunderbare Werk-Retrospektive, scheitert jedoch am Versuch dem Publikum die Eigenständigkeit Meret Oppenheims näherzubringen. Zu sehr steht ihre Schönheit, ihre sogenannte Androgynität, ihre Sexualität und ihre Beziehungen zu den damals arrivierten Männern im Vordergrund. Zu wenig wird auf ihre Rebellion, Aggressivität und ihren skurrilen Humor eingegangen.
Vielleicht sollte man zukünftig die Dinge tatsächlich - ohne Pablo, Max, Marcel, André und wie sie alle heißen, näher treten zu wollen - von einer anderen Seite angehen, nämlich: Wie man unsere Wünsche NICHT am Schwanz packt! Die Kunstgeschichte kann nicht umgeschrieben und aus dem Kontext weg feminisiert werden, aber sie kann richtig gestellt werden, und dies ist leider nur im Katalog zur Ausstellung durch einige hervorragende Essays gelungen.

*Ein Gespräch mit Louise Bourgeois: Donald Kuspit. Bern: Piet Meyer Verlag, 2011. S. 98
**Malerinnen im 20. Jahrhundert. Bildkunst der „verschollenen Generation“. Geburtsjahrgänge 1890-1910. München: Hirmer Verlag, 2000. - Die Ausbildung der Malerinnen: S. 27-32; - Kollwitz Zitat: S. 24
[1], [2] Abigail Solomon-Godeau: „Fetishism Unbound“ (Katalog zur Ausstellung S. 45 ff), S. 49
Weitere Infos aus:
Women Artists. Künstlerinnen im 20. und 21. Jahrhundert: Hg. Uta Grosenick. Köln: Taschen Verlag, 2001. - S. 408 ff
Geschichte des Surrealismus: Maurice Nadeau. Reinbek: Rowohlts Enzyklopädie, 6. Auflg. 2002

LitGes, März 2013

Meret Oppenheim: Retrospektive. Rez.: Ingrid Reichel

Multiple Portraits: Chuck Close. Rez.: Ingrid Reichel

Ingrid Reichel
Meister der Verpixelung

 
Chuck Close: Self-Portrait, 2000
Siebdruck: 163,8 x 137,1 cm
Brand X Editions, Drucker: Robert Blanton und Thomas Little
Pace Editions, Inc., New York, publisher
© Chuck Close, courtesy Pace Prints
 

Multiple Portraits
Chuck Close

Museum der Moderne (MdM) Mönchsberg, Salzburg
Ausstellungdauer: 27.10.12 - 17.02.13
KuratorInnen: Toni Stooss, Tina Teufel, Veit Ziegelmaier
Ausstellungsorganisation: Parrish Art Museum, Southampton/ New York
Konzept: Terrie Sultan

Das MdM am Mönchsberg erweist sich nach Rotterdam als zweite europäische Station dieser sehr gelungenen Überblicksausstellung der Werke von 1972-2012 des bekannten US-Künstlers Chuck Close.
Close, der 1940 in Monroe/ Washington (USA) geboren wurde, erhielt sein Diplom als Master of Fine Arts 1964. Seit den 70ern ist er für seinen Fotorealismus bekannt. Close arbeitet mit guten Fotografien seiner Bildobjekte. Doch er projiziert nicht wie z.B. Helnwein das Foto auf die Leinwand, sondern bedient sich der altbewährten Rastermethode, die jedes Kind in der Schule im Zeichenunterricht lernt. Dennoch blieb Close nicht beim "einfachen" Fotorealismus, sondern bediente sich dieses Rasters zur Verpixelung der Bilder zu einem Zeitpunkt als es noch keinen Personalcomputer mit diesen hervorragenden Fotobearbeitungsprogrammen gab. Close ist ein Genie der Moderne, der die PC-Pixels sichtbar machte, sie für die Kunstwelt vorwegnahm und integrierte. Heute ist es für die breite Bevölkerungsmasse keine Hexerei mehr, man geht in das Menü des Fotoprogramms, klickt auf Filter und hat Effekte à la Close zur Verfügung. Doch den Rang als Erster seine Vorstellungsgabe genützt zu haben, die ihm zum Erfinder dieser Kunstrichtung der Bild-Verpixelungen machten, wird ihm keiner mehr streitig machen können, auch wenn Close als Nachfolger der OP Art gedeutet werden kann.
In dieser Schau sind ausnahmslos, wie es der Titel schon verspricht, an die 150 Portraitarbeiten von Freunden, Künstlerkollegen (wie z.B. Roy Lichtenstein und Alex Katz (*1927) und vor allem Selbstportaraits zu sehen. Obwohl Close seit 1988, wegen eines geplatzten Blutgefäßes in der Wirbelsäule rechtsseitig querschnittgelähmt an den Rollstuhl gefesselt ist, arbeitet er unermüdlich und souverän an großformatigen Bildern weiter.
Die Technik mag wohl Chuck Closes damalige künstlerische Intention längst überholt haben, es bleibt dennoch die Tatsache seiner manuellen Fertigkeit unbestritten. Sowie bei Künstlerfreund Alex Katz setzt sich auch in Closes Œuvre die hohe Kunst des Kunstdrucks durch. Wie in einem Lehrbuch zeigt diese Ausstellung die Vielfältigkeit der Druckmöglichkeiten und ihre Meisterschaft darin.

 
Chuck Close: Emma, 2002
113-farbiger japanischer Ukiyo-e Holzschnitt: 109,2 x 88,9 cm
Pace Editions Ink, New York,
Drucker: Yasu Shibata
© Chuck Close, courtesy Pace Prints
 

Highlight der Ausstellung ist Emma, die Nichte von Close als Baby. Der 113-farbige japanische Ukiyo-e Holzschnitt "Emma" (2002) - angefertigt vom japanischen Künstler und Druckexperten Yasu Shibata (Druck: Pace Editions, Inc., New York) - ist dem Originalölbild "Emma" (2000) gegenübergestellt. Zudem werden acht Holzdruckstöcke zur Veranschaulichung ausgestellt. So kann man eine Ahnung von dem gigantischem Aufwand und der hohen Qualität der Drucke in dieser Schau bekommen.
Auch am Bsp. von "Roy" (2002), dass das Portrait des US-Künstlers Roy Lichtenstein (1923-1997) darstellt, zeigt man beginnend vom Messinggitter, die vielen Mylar-Schablonen (Polyester-Folie) und die jeweiligen Druckzwischenergebnisse nach jeder Folie, die zum Endprodukt benötigt wurden.
Ein Video von Eli Obus "Making of Chuck Close's Roy Lichtenstein Paper Edition" zeigt im Zeitraffer das mühsame Verfahren. Eine Kurzversion des Films gibt es auf YouTube zu sehen. Ein weiterer interessanter Film (120 min.) in der Ausstellung zeigt Close beim Malen.
Von Zustandsdrucken bis zu dem signierten Enddruck, von Weichgrundradierungen, Holzdrucken mit Druckstöcken oder in Schablonentechnik, Reliefdrucke, Siebdrucke, Linoleumdrucke im Eliminationsverfahren, Mezzotinti, Fingerprints, Lithografien, Aquatinta, Teppiche und Jacquard Tapisserien kann man sich vom reichhaltigen Œuvre des amerikanischen Superstars überzeugen.
Für die jüngsten der Besucher wurde mit einer netten und aufschlussreichen Kinderecke gesorgt.
Eine Ausstellung, die man sich nicht entgehen lassen sollte!

Einziger negativer Kritikpunkt: Aus finanziellen Gründen konnte das MdM keinen Katalog publizieren. Auch konnte der Museumsshop keinen einzigen Katalog zum ausgestellten Künstler vorweisen, da diese offensichtlich vergriffen sind. Ebenfalls wurde der gezeigte Film nicht als DVD zum Kauf angeboten.

LitGes, Dez. 2012

 

Multiple Portraits: Chuck Close. Rez.: Ingrid Reichel

Der männliche Körper. Rez.: Ingrid Reichel

Ingrid Reichel
Der männliche Körper
Zwei Ausstellungen unter die Lupe genommen

 
   
 

„Nackte Männer von 1800 bis heute“ im Leopold Museum, Museumsquartier Wien (19.10.12 - 28.01.13)
„Der nackte Mann“ im Lentos Kunstmuseum Linz (26.10.12-17.02.13)

Innerhalb nur weniger Tage eröffneten im Oktober 2012 zwei renommierte österreichische Museen Ausstellungen mit beinahe wortidenten Titeln, die sich mit dem männlichen Körper - also in seiner Nacktheit - von Grund auf befassten: Das Leopold Museum im Museumsquartier Wien und das Lentos in Linz.
Ein Vergleich der beiden Ausstellungen bietet sich daher an und wurde von einigen Kritikern auch in diversen Zeitungen gebracht. Was zunächst aussah wie ein Wettstreit zwischen den Museen, stellte sich bald als vielfaltige Aufarbeitung eines schon langst überfälligen, brisanten Themas heraus.
Warum die beiden Museen sich nicht zusammengeschlossen hatten?, mochte man sich zunächst fragen. Erst als Direktorin Stella Rollig für die Ausstellung im Lentos Tobias G. Natter, Direktor des Leopold Museums um Leihgaben u.a. eines Schieles bat, wurde man des gleichen Vorhabens gewahr.
Eine nachträglich angebotene Kooperation mit dem Museum Leopold schlug das Lentos aus, da es bereits mit dem Ludwig Museum der Gegenwart in Budapest gemeinsame Sache machte.
Interessant bei den beiden Ausstellungen ist, dass, obwohl etliche gleiche Künstler - jedoch mit verschiedenen Werken - zur Aufarbeitung des Themas herangezogen wurden, dennoch ein völlig andere Perspektive zum Thema geboten wurde.
Es ließe sich kurz und bündig zusammenfassen, dass das Museum Leopold eine seriöse, sachliche Basis eines kunsthistorischen Blickwinkels vermittelte, wahrend das Lentos seinen Schwerpunkt auf die Aufarbeitung des gesellschaftlichen Tabus im sozialgesellschaftlichem Background des männlichen Körpers an sich legte und gleichzeitig die irritierende Frage hinterließ: Was ist männlich?
Beide Ausstellungen stellten somit eine Ergänzung zueinander dar. Hierzu lieferten die Museen Lentos und Leopold jeweils für sich einen bemerkenswerten Ausstellungskatalog mit aussagekräftigen Textbeitragen.*
Bei genauerer Betrachtung konnte man schon in den geringfügigen Titelabweichungen einen klaren Unterschied feststellen. „Nackte Männer. Von 1800 bis heute“ weist bereits grammatikalisch auf eine undefinierte Subjektwahl.

Es geht also um die generelle Analyse des nackten männlichen Körpers in einem bestimmten Zeitabschnitt. Mit dem Titelattribut „Von 1800 bis heute“ druckten die Kuratoren Elisabeth Leopold und Tobias G. Natter ein klares Understatement aus. Befanden sich in der Schau doch Skulpturen wie die ägyptische „Standfigur des Hofbeamten Snofruneter“ um 2400 vor Chr. [1] oder der Abguss des „Jüngling vom Magdalensberg“ aus dem 16. Jahrhundert [2] sowie auch Gemälde aus dem Klassizismus „Der Aktsaal der Wiener Akademie im St. Anna-Gebäude“ (1787) von Martin Ferdinand Quadal und „Dädalus und Ikarus“ (1799) von Charles Paul Landon, die die Zeit des Klassizismus und der Aufklärung weit übertrafen. Die ausgezeichneten Exponate aus der eigenen Sammlung - wie Meisterwerke von Anton Kolig und Richard Gerstl, und natürlich

Schiele - sowie Leihgaben inländischer und ausländischer Institutionen und privater Sammlungen, die man in dieser Schau sehen konnte, beweisen die ausgezeichnete historische Recherche zur Klassischen Moderne, dem zweiten Schwerpunkt der Schau. Als Raritäten konnte man die „Sieben Badende“ [3] von Paul Cézanne oder auch „Badende Männer“ [4] von Edvard Munch anfuhren, als Kuriosität der „Heilige Sebastian“ [5], ein Selbstportrait des Malers Alfred Courmes (1934) u.v.a.m. Aufschlussreich präsentiert sich der kurze Essay des Kurators Tobias G. Natter und Stefan Kutzenberger „Geschlechterkampf und Verweigerung“ (Katalog Leopold: S. 261), in dem mit nur wenigen Ausnahmen wie Alfred Kubins „Krampf“ (1900) oder Gustav Klimts „Kuss“ (Studie, 1902) darauf hingewiesen wird, dass vor und noch um 1900 die Sexualität des Mannes immer hinter dem „schonen Geschlecht“, also den Frauenkörpern versteckt wurde und somit der Mann die Rolle eines Statisten einnahm.

Der dritte Schwerpunkt der Ausstellung im Leopold Museum richtete sich auf die Zeit nach 1945. Besonders dabei hervorzuheben ist die Perspektive des weiblichen Blicks. Alexandra Matzner analysiert in ihrem Essay (S. 271), diesen und zwar jüngsten Blick in der Kunstgeschichte, da Frauen der Zugang zu den Akademien Europas jahrhundertelang verwehrt blieb. Ausnahme blieb die Malerin Angelika Kaufmann, die bei der Tätigkeit einen männlichen Gipstorso abzeichnend malerisch von Nathaniel Dance festgehalten wurde (1764-66). Anhand von Louise Bourgeois und Maria Lassnig [7] beschreibt Matzner, wie sich erst in den 1970er Jahren eine neue Perspektive des weiblichen Blicks auf den Mann, seinen Körper und dessen männliche Attribute entwickelte.
Einerseits entfaltete sich eine Art weiblicher Beschützerinstinkt, andererseits eine Identifizierung der Frau mit dem um sein Schicksal ringenden Mann.

Viel selbstverständlicher konnten Künstlerinnen aus der spateren Generation, wie Matzner am Beispiel der 1970 geborenen österreichischen Künstlerin Elke Krystufek zeigt, mit der männlichen Nacktheit umgehen und damit das weibliche Begehren in Zusammenhang bringen. Die zwischen Voyeurismus und heimlicher Überwachung tendierende Videoinstallation der 1963 geborenen Polin Katarzyna Kozyra, welche bereits 1999 auf der Biennale in Venedig präsentiert worden war, wurde im Museum Leopold wie auch im Lentos aufgebaut. In einem intimen achteckigen Raum zeigt Kozyra vielmehr dokumentarisch als sinnlich die Situation eines männlichen Dampfbades in Budapest. Ein Video bezeugt, wie sie sich hierfür mühsam als Mann verkleidete, um vor Ort männliche Körper jenseits des üblichen Schönheitsideals bei der Routine der Körperpflege versteckt zu filmen.
Die US-Fotografin Nan Goldin hingegen dokumentierte die exzessiven 1980er Jahre der New Yorker Subkultur. Mit dem Stonewall-Aufstand und der Aids-Krise thematisierte sie die Schwulen- und Transsexuellen-Szene.

Als Gegenpart zeigte das Leopold Museum auch den männlichen Blick, der jedoch nur von der homoerotischen Perspektive wahrgenommen wird/wurde. So sind Werke von Jean Cocteau, Pierre Molinier, David Hockney, Gilbert & George, Andy Warhol und als absolutes Highlight „Man at a washbasin“ (1989/90) von Francis Bacon zu sehen. Der vom Lentos gewählte Titel „Der nackte Mann“ ging hingegen mit seinem sich im Singular befindenden definiten Artikel eindeutig auf die Konkretisierung des Individuums ein. Dementsprechend zerstückelten die drei Kuratorinnen Sabine Fellner, Elisabeth Nowak-Thaller und Stella Rollig den männlichen Körper in „Einzelteile“ und gaben damit einen viel intensiveren emotionellen Zugang zum Thema ab. So zergliederten sie den nackten Mann subtil in all seine Kontroversen. Einerseits wurde das männliche Ich, die künstlerische Darstellung des Aktes, das Posieren, das männliche Machtstreben samt Bizeps- und Penis-Fixiertheit, der Adam als Urbild der Menschheit mit der fragilen Seite des hüllenlosen Mannes durch den Knaben, das Alter, die Homosexualität und den Schmerz konfrontiert.

Der nackte Mann schien bis dahin unsichtbar. Die Lentos Ausstellung erzählt vom Mann, der sich von der jahrhundertalten Überlieferung des mythologischen Helden und christlichen Märtyrers entfernte, und sich durch die Dekonstruktion der traditionellen männlich orientierten Werte in eine Identitätskrise manövrierte. Die Suche nach Alternativen zeigt die Auseinandersetzung mit Schwache und Verletzlichkeit, weist auf Gefühle des Begehrens und Sinnlichkeit.
Die Schau enthüllt, wie sich der Mann seit dem letzten Jahrhundert neu erfindet, aber auch wie selbstbewusste Künstlerinnen sich ein Sujet eroberten, das ihnen lange verboten war. (Katalog Lentos: S. 6)
Besonders interessant bei der Eröffnung der Ausstellung bot sich der Raum mit dem Titel „Penis“. Der von außen bereits kaum übersehbare Videobeitrag „An Druck auf die Eier“ (1999) des 1971 in Fürstenfeld geborenen Franz Kapfer entmutigte schon viele Besucher den Raum zu betreten.
Ein nackter Mann mit einer Hoden-Badehaube am Kopf und einem um die Lenden umgeschnallten ein Meter langen schwarzen Penis muht sich im Kreis herumschwirrend mit der Last, die er zu ertragen hat, ab. In der finstersten Ecke des Raums befand sich eine Mini-Videoskulptur „On/ Off“ (1999) der 1970 in St. Petersburg geborenen Künstlerin Anna Jermolaewa. Das Video zeigt den Vorgang wie ein gewöhnlicher Lichtschalter ein- und ausgeschaltet wird. Bei genauerem Hinsehen erkennt man, dass es sich bei dem in Aktion befindenden vermeintlichen Finger, um einen erigierten (nackten) Penis handelt. Dieses 15 Sekunden Video verursachte besonderen Ekel bei den wenigen Betrachtern. So kann Jermolaewas ausgestellte Arbeit als symbolisch repräsentativ gewertet werden.
Das Körper- und Sexualbewusstsein bei Mann und Frau unserer heutigen Gesellschaft durfte sich noch bei der mehr in Pastellfarben angelegten Sexualität der Impressionisten aufhalten und zeigt eine absolute Gespaltenheit zwischen Theorie und Praxis und nicht ein befremdetes mit Abscheu gezeichnetes Abwenden.

Überhaupt konnte man während der von Besuchern überfüllten Eröffnung der Ausstellung allgemein feststellen, dass alles, was sich in Zusammenhang mit der Sexualität nur erahnen ließ, mit großem Abstand überhaupt wahrgenommen werden wollte oder gar gemieden wurde. Beispielhaft sind hierfür Fotografien der Wiener Aktionisten Rudolf Schwarzkogler und Gunter Brus (Kat. Lentos: S. 306/ S. 294), die auch im Museum Leopold mit anderen Fotografien vertreten und im Lentos unter dem Schwerpunkt „Schmerz“ zu sehen waren. In diesem Zusammenhang besonders hervorzuheben ist die bekannte und detailfreudige Bleistiftzeichnung ohne Titel (1979) des finnischen Künstlers Tom of Finland (Katalog Lentos: S. 144). Sie wurde mit einem schwarzen Tüllstoff verhängt präsentiert. Um sie zu sehen, musste der Betrachter aktiv werden und selbst den Vorhang lüften. Dabei konnte allerdings der psychologische Effekt, als Voyeur enttarnt zu werden, eintreten. Konfrontiert mit den vielen Aspekten des nackten Mannes war die stetig wachsende Verunsicherung bei den Besuchern fühlbar. So verursachte die Mixed Media Skulptur „Mann in Decken“ (2001) des 1958 australischen Künstlers Ron Mueck, welche auf einem niedrigen Sockel präsentiert wurde, bereits Unbehagen aus. Dabei handelt es sich um einen mittelalterlichen erwachsenen nackten Mann, der wie ein Baby in Originalgroße in rosa Decken gehüllt in einem Körbchen in Embryostellung schlummert. Alleine der Ausbruch mancher Besucher: „Jo, schau wie niedlich“, loste bei den angehenden Betrachtern Argwohn aus und vermied hinzusehen oder gar hinzugehen. So in etwa ließe sich noch lange die Ambivalenz, die diese Schau verursachte, beschreiben.

Es liegt wohl an den drei Kuratorinnen, wie subtil sie in diesem Konzept vorgegangen sind. Letztendlich kann ich persönlich behaupten bei der Eröffnung eine doppelseitige Ausstellung präsentiert bekommen zu haben. Zum einen die Ausstellung der Werke an sich, zum anderen das Verhalten der Besucher, das bisweilen eigenartig befremdend wirkte, nicht aber die Künstler mit ihren Werken an sich.

Natürlich fehlten in beiden Ausstellung nicht die berühmten „Human locomotion photographs“ des britischen Fotografen und Pioniers der Fototechnik Eadweard Muybridge, dessen „Hauptaugenmerk dem menschlichen Körper und seiner Muskulatur galt. Seine Serienaufnahmen von nackten und angezogenen männlichen wie weiblichen Menschen, auch Kindern und Behinderten galten als revolutionär und ermöglichten vielen Menschen in den verschiedensten Berufssparten eine Weiterentwicklung. Nicht zuletzt galt und gilt er nach wie vor für Künstler als eine Ikone, seine Sammlung als Bibel, weil er ihnen verhalf, die Richtung zu einer neuen Betrachtungsweise einzuschlagen. Zuletzt war Francis Bacon einer der Maler, die diese Bewegungsablaufe am modernsten umzusetzen vermochten.“ [8]

Außerordentlich ist, dass sich beide Ausstellungen ebenfalls mit dem Körperkultur unter dem Nationalsozialismus befassten. Erwähnenswert ist hierbei der Essay von Paula Diehl im Lentos-Katalog S. 37 ff. Zwei bemerkenswerte Ausstellungen über die Entwicklung des männlichen Körpers und somit auch der weiblichen und männlichen Sexualität der Gegenwart, die bereits 100 Jahre zuvor mit Klimt, Schnitzler und Freud schon einmal in Osterreich ihren Anfang genommen hatte und für die Zukunft wegweisend war.

* Hg. Tobias G. Natter und Elisabeth Leopold: Nackte Männer von 1800 bis heute. München: Hirmer Verlag, 2012. 348 S.
Hg. Lentos Kunstmuseum Linz & Ludwig Museum der Gegenwart Budapest: Der nackte Mann - The naked man. Zwei Volumen. Nürnberg: Verlag für moderne Kunst, 2012.

[1] ägyptisch, Altes Reich, spate 5. Dynastie, um 2400 v. Chr. Kalkstein, bemalt. Kunsthistorisches Museum Wien mit MVK und OTM, Ägyptisch-Orientalische Sammlung.
[2] Abguss des 16. Jhdts. nach römischen Original. Bronze, Hohlguss. Kunsthistorisches Museum Wien, Antikensammlung.
[3] um 1900. Öl auf Leinwand. Fondation Beyeler, Riehen/Basel.
[4] 1915. Öl auf Leinwand. Munch Museum, Oslo
[5] 1934. Öl auf Leinwand. Centre Pompidou, Paris
[7] Louise Bourgeois: franz.-US-Bildhauerin (1911-2010); Maria Lassnig: österr. Malerin und Medienkünstlerin (geb. 1919)
[8] Aus der LitGes Rezension (Ingrid Reichel): Eadweard Muybridge.
The Human and Animal Locomotion Photographs. Hans Christian Adam (Ed.). Koln: Taschen Verlag, 2010.

Erschienen im etcetera Nr. 52/ Körper/ Mai 2013

Der männliche Körper. Rez.: Ingrid Reichel

ÜberLeben: Xenia Hausner. Rez.: Ingrid Reichel

Ingrid Reichel
Das Rätsel um die Rekonstruktion

 
     

ÜberLeben
Xenia Hausner

Essl Museum, Klosterneuburg, Großer Saal und Rotunde
Pressekonferenz:10.2012, 10 Uhr
Ausstellungsdauer: 24.10.2012-20.01.2013
Kurator: Günther Oberhollenzer

Überleben: Xenia Hausner
Hg. Essl Museum

Wien: Brandstätter Verlag, 2012. 120 S.
Zweisprachig Deutsch/Englisch
ISBN: 978-3-85033-715-1
Preis: € 29,90.-; Museumsshop: € 25.-

Xenia Hausner wurde 1951 in Wien geboren. Sie studierte Bühnenbild an der Akademie der Bildenden Künste in Wien sowie an der Royal Academy of Dramatic Art und sie ist die Tochter des Malers Rudolf Hausner. Eine Information, die man verschweigen könnte, denn Xenia Hausner hat so gar nichts mit dem Wiener Phantastischen Realismus zu tun, den ihr Vater vertrat, dennoch zeigt die Verwandtschaft, ihre genetisch verankerte Disposition zum malerischen Können, vor allem, wenn man auf diese Sorgfalt - von der Kunstkritiker Rainer Metzger in seinem Essay "Vom Werk zum Œuvre" behauptet, sie sei unerhört - mit der sie ihre Bilder vollendet, verweist. Xenia Hausner kann man jedoch nicht als reine Malerin betiteln. Auch wenn es ihr schlussendlich immer nur um Malerei geht, ist sie doch eine Multimediakünstlerin. Sie vereint Pinsel, Fotoapparat und all ihr Wissen über das Bühnenbild zu einem Gesamtkunstwerk. In einem Interview kurz vor der Ausstellung (ausgestrahlt im ORF 2 in der Sendung Kulturmontag am 22.10.12) berichtete sie, dass sie von einigen Kunsthistorikern belächelt wird. Warum genau kam bei dem Interviewausschnitt nicht heraus, Hausner erwähnte lediglich, dass ihre Ansichten als naiv abgetan würden. Auch Kurator Günther Oberhollenzer sprach wie auch die drei Autoren im Katalog davon, dass Hausners Œuvre nicht als zeitgemäß eingestuft wird. Den Trends des Kunstmarkts zum Trotz, gilt Hausner als eine der erfolgreichsten österreichischen Künstlerinnen. Zu sehen sind 14 großformatige Mixed Media, Acryl- und Ölgemälde von 2001 bis 2012, vorwiegend jedoch der letzten drei Jahre.

 
Xenia Hausner: Pensée Sauvage, 2011
Öl auf Dibond, 140 x 213 cm
Courtesy Xenia Hausner
© VBK, Wien, 2012
Fotonachweis: Archiv der Künstlerin
 

In ihrem Atelier arrangiert sie Situationen als Momentaufnahmen, ihre Modelle sind vorwiegend Frauen, die hierfür als Darstellerinnen fungieren. Oft verwendet sie für ihre Inszenierungen Fotos, die sie auf ihren vielen Auslandsreisen gemacht hat. Schließlich hält sie die fertige Komposition fotografisch fest. Die Personen stehen weiter Modell und werden auf das Tafelbild gemalt. Hausner selbst nennt ihre Werke Rekonstruktionen. Herkömmlich arbeitet Hausner mit Acryl auf Hartfaserplatten, die sie dann multimedial, wie z.B. mit Karton anstückelt oder kaschiert. Seit 2007 scheint sie die Öltechnik auf Dibond zu bevorzugen. Dibond ist eine leichte Aluminiumverbundplatte, die für hochwertige und langlebige Fotoprints verwendet wird. So befindet sich unterhalb der Ölmalerei bereits gedruckt die fotografische Vorlage, welche Hausner in ihren gewohnten kräftigen farbigen Pinselstrichen teilweise völlig übermalt, gar verändert oder völlig transparent durchschimmern lässt.

 
Xenia Hausner: ÜberLeben, 2012
Installationsansicht, Rotunde Essl Museum
© VBK, Wien, 2012
Fotonachweis: Günther Oberhollenzer
 

Repräsentativ für den Titel der Ausstellung steht die Installation in der Rotunde im Museum Essl: ÜberLeben. Ein Wortspiel wie schon in vergangenen Ausstellungen. Einerseits geht es um das Leben an sich, andererseits um das Überleben. Hausner weist mit dieser Installation auf unsere doch sehr in Sicherheit lebende Gesellschaft hin, die den Gefahren ausweicht bzw. die existentiellen Nöte verdrängt, denen andere Menschen auf dem Planeten permanent ausgesetzt sind. Wie das Schwert des Damokles führt uns Hausner eine leichtgewichtige Imitation eines Tonnen schweren Steines vor, die über dem Bodenfoto von zwei friedlich schlummernden Frauen hängt und sie zu zerquetschen droht.

Hausner stellt kontroverse Gefühle ins Bild wie Bedrohung und Unbetroffenheit, Tod und Zuversicht, Leid und Kälte, Sehnsucht und Gleichgültigkeit … Die Figuren sind immer angezogen, sauber und adrett, egal welcher Begebenheit sie ausgesetzt sind. Auch sind in ihren großformatigen Gemälden die Protagonisten überlebensgroß. Accessoires, die das Umfeld räumlich gestalten, werden dagegen perspektivisch in ihrer Größendimension falsch dargestellt. So wirken, um ein Beispiel zu nennen, in Pensée sauvage (2011) die Zahnputzbecher samt Zahnbürsten im Hintergrund größer als die beiden Köpfe der Hauptdarsteller im Vordergrund.

Hausner greift gerne in die Trickkiste der Assoziationsketten, wenn sie für ihre Rekonstruktionen Titel von literarischen Werken, ohne einen Bezug zu ihrem Inhalt herzustellen, verwendet: Pensée sauvage, ein philosophischer Essay des französischen Philosophen Claude Lévi-Strauss; Wem die Stunde schlägt, ein Roman des US-Autors Ernest Hemingway; An education, ein Filmdrehbuch des britischen Autors Nick Hornby, welches auf eine autobiografische Erzählung der britischen Journalistin Lynn Barber basiert; Unter Strom, ein Reisebericht des US-Journalisten und Kunstkritikers Tom Wolfe u.v.m.

Hausners Bildsprache ist dramatisch, fordert ausgeprägte Schauspielleistung und enthält viel Wortwitz. Es ist daher verwunderlich, dass der ansonsten bildnerisch gut gestaltete Katalog zur Ausstellung wenig Qualität in seinen Texten aufweist. Wortkomplexe Satzkonstruktionen, voll überintellektualisierter Sprachgewalt entmutigen den Leser und verwirrten offensichtlich selbst die drei Autoren Rainer Metzger, Alexandra Matzner und Elmar Zorn, die übrigens auch in diesem Katalog leider wieder nicht biografisch vorgestellt wurden. In Rainer Metzgers Essay haben sich nebenbei Wort für Wort Satzwiederholungen von Seite 20 Mitte auf Seite 21 Ende eingeschlichen. Ein Fehler, der zwar in der englischen Übersetzung nicht vorkommt, aber unbedingt bei einer Neuauflage des Katalogs in der deutschen Version korrigiert werden sollte.

Einigkeit herrscht über die Bedeutung der Farbe und der Dramaturgie in Hausners Œuvre und über ihr malerisches Talent. Oftmals hat man jedoch das Gefühl, dass sich die Autoren weniger mit Hausners Werk an sich beschäftigen, als sie sich vielmehr darum bemühen, es für die Kunstgeschichte relevant zu integrieren und sie daher, um den heißen Brei reden, sich wiederholen und damit gegenseitig bestärken. Ein kurzes Resumé der wichtigsten Statements soll hier dennoch nicht fehlen:

Rainer Metzger gab drei Stichworte zu Hausners Kunst: Gute Arbeit, Referenz und Bild im Bild. So lobt Metzger die gute Arbeit als handwerkliche Fähigkeit der Künstlerin, als ob es diese vor dem Kunstmarkt zu verteidigen gelte. Unter Referenzen ergötzt sich der bekannte Kunsthistoriker und- kritiker seitenlang über das Figurative und der mise en abyme in der Geschichte der Malerei. Immerhin weist er schließlich doch noch auf die spielerische Komponente zwischen Figuration und Realität hin, erklärt die sprachliche Komponente durch die Bildbetitelungen, bringt hierzu ein detaillierteres Werkbeispiel aus dem Jahr 1995, welches in der Ausstellung nicht vorkommt, und nimmt Bezug zu dem Bild-im-Bild-Aufbau (mise en abyme) mit dem jüngeren Werk Land in Sicht (2006).

Kürzere Essays boten die Kunsthistorikerin Alexandra Matzner und der Kunstkritiker Elmar Zorn.
Matzner erörtert in ihrem Essay "Frauen ohne Eigenschaften?" die Stellung der Frauen in Hausners Bildern und fragt, ob sie nicht Stellvertreterinnen für unser aller Leben seien. Matzner spricht von Hausners lust- wie leidvollen Materialschlachten, von der Aufhebung der Grenze zwischen Fotografie und Malerei, deren hybride Form zu einem Trompe-l'œil verschmilzt. So werde dem Foto die Realität entzogen, der Ölfarbe der Realitätsbezug zugesprochen. Matzner vergleicht die Oberfläche der Gesichter und Körper in den Werken mit dem gesellschaftlichen Antlitz. Das selbstbewusste Schauen oder Angeschautwerden der Frauen auf den Bildern verwickle den Betrachter in einen stummen Dialog, wie auch das Fehlen einer einheitlichen Perspektive eine mentale und keine räumliche Beziehung suggeriere.

Der Kunstkritiker Elmar Zorn betitelte seinen kurzen Essay "Ecce pictus" und meint damit: Seht her, das ist die Malerei vom Bild des Lebens! Dieser von den Werken kommende suggestive Appell, mache die Faszination in Hausners Bildern aus, so Zorn, der Hausners Radikalität in der Malerei mit jenen von El Greco und Egon Schiele, die sich als große Außenseiter der Kunstgeschichte herausstellten, vergleicht. Hausner setze ihre Protagonisten in Farbzusammenstöße aus Körperexpressionen an die Grenze ihrer physischen und psychischen Entblößung. Zorn sieht die condition humaine in Hausners Werk verwoben und meint damit wohl, dass die Bedingungen der menschlichen Existenz in ihrem Überlebenskampf die optimale Dramatik in Hausners Bilder ergäben. Richtig wohltuend dagegen ist Günther Oberhollenzers Interview, der die Künstlerin selbst zu Wort kommen ließ.

Trotz kunsthistorischer ausschweifender Exkurse bleiben Metzger, Matzner und Zorn an der Oberfläche. Viele Fragen bleiben offen. So wird weder auf die üppige und gepflegte Stoffwahl noch auf die akribische Verhüllung der Körper eingegangen, von der Hausner getrieben zu sein scheint, als ob es gerade darum ginge, die Nacktheit zu verbergen, die so ein Kampf um die Existenz mit sich bringt. Mehr als die von Zorn erwähnte condition humaine ist also die menschliche Würde im Visier. Auch geht es in Hausners Werk nicht um die bereits oben zur Sprache gebrachte Sorgfalt in ihrer Malerei, als vielmehr um die Mühsal mit der die aufwendige Vorarbeit zur Malerei verbunden ist. Aufgabe der Kunsthistoriker wäre doch gewesen, das Rätsel um die Rekonstruktion zu lösen. Zumindest den Versuch zu unternehmen, die Frage zu beantworten, warum Hausner nicht nur mit Sorgfalt als vielmehr mit Ernsthaftigkeit diesen Aufwand an zeitintensiven und kostspieligen Vorarbeiten leistet, wenn man doch schon weiß, dass die Realisation schneller und einfacher ginge.

Weiters ist auch leider in diesem Katalog, wie so oft in Essl Katalogen, nur eine Minibiografie der Künstlerin zu finden. Sehr interessant sind dafür die erstmals veröffentlichten Polaroid-Aufnahmen, die den Arbeitsvorgang der Künstlerin dokumentieren. Der Katalog bleibt zumindest wegen seiner Farbqualität, seiner Auswahl an Bildmaterial, den reichen Detailansichten und Fotos ein geglückter Bildband.

Fazit: Eine gut konzipierte und sehenswerte Ausstellung einer engagierten, dynamischen und mit Phantasie überbordenden Künstlerin!

ÜberLeben: Xenia Hausner. Rez.: Ingrid Reichel

Personale: Eva Riebler. Rez.: Ingrid Reichel

Ingrid Reichel
Im Dialog

 

Personale: Eva Riebler
Galerie im Rathaus, St. Pölten
Vernissage: 16.10.2012, 18 Uhr
Ausstellungsdauer: 16.10.-13.11.2012

In dieser rundum gelungenen Schau in der Rathausgalerie St. Pölten sind bis 13. November 2012 über fünfzig Acrylwerke verschiedenen Formats, über zehn Kalteisenradierungen und vier Kleinplastiken zu sehen.
Eva Riebler hat sich seit Jahren dem Thema "Figur" gewidmet. Der Titel dieser Ausstellung "Figur fiktiv" ist somit eine Folge ihrer vergangenen Serien: "Figur abstrakt", "Figur in Rot" und "Figuren werfen".
Der Begriff "Figur" beinhaltet zum einen die physische Gestalt eines Menschen, zum anderen das Wesen eines Menschen. Eva Riebler benützt in ihrer Malerei genau diese zwei verschiedenen Aspekte. Man könnte dieses Thema auch als stetiges Spiel zwischen Differenzierung und Vereinigung beider Perspektiven betrachten.

Der Möglichkeit, dass die Abbildung der reinen Anatomie den menschlichen Körper zu einem Objekt reduziert, stellt Eva Riebler das Wesen als fiktionales Medium gegenüber. So lässt sie Körper ineinander gleiten, lässt sie durch farbliche Wiederholungen miteinander kommunizieren. Eva Riebler zeigt somit die gegenseitige Beeinflussung und Abhängigkeit in denen sich diese Figuren befinden. Damit entsteht spannungsreiche Fiktion, die Wünsche, Sehnsüchte, Träume, Ängste, Enttäuschungen aber auch Freude und Hoffnung widerspiegeln. Dabei sind Realismus und Details unerheblich. Vielmehr bildet die Abstraktion des Figurativem eine Symbiose mit den Abstrakta wie Gefühle und Regungen.

Interessant hierbei ist die Komposition ihrer Werke, die ein besonderes Augenmerk verdient. Bei genauerer Betrachtung wird die Fragilität ihres Aufbaus bewusst. Droht bei einem Bild, das Arrangement auf eine Seite zu kippen, naht ein anderes auseinanderzufallen. Doch keines der Befürchtungen ereignet sich. Stabil geben sie nur die Illusion wieder und versetzen den Betrachter in Alarmzustand, mahnen ihn zur Aufmerksamkeit. Hinzukommt, dass dieses Spiel der Balance einer permanenten Gratwanderung gleicht, die offensichtlich nicht bewusst geplant, sondern instinktiv erfolgt. Eva Riebler ist eine Künstlerin, die mit ihrer Malerei einer spontanen Aktion folgt, und die durch ihre tiefverwurzelte Intuition geleitet wird. Man könnte auch von höchst authentischer Malerei sprechen. Hier ist nichts minutiös vorbereitet, beschönigt oder gar konstruiert. Es ist das Werken im Affekt, das mit der eigenen Person hundert prozentig deckungsgleich ist. Mutig, ja nahezu brutal werden die Striche gesetzt und in Kombination mit den gewagten kräftigen Farbzusammenstellungen ergeben die Werke - jedes für sich - dennoch einen sanften Ruhepol.

Für Eva Riebler, die sich nebenbei mit skulpturalen Objekten und Stoffcollagen beschäftigt, bietet dies eine Quelle der unendlichen Inspiration. Der Körper als Gefäß oder Gebilde ist form- und modellierbar. Genussvolle, sinnliche Wahrnehmung spielen dabei eine genauso wesentliche Rolle wie das Erstellen der Werke an sich. Doch es liegt an Künstlern und Künstlerinnen wie Eva Riebler, dem Betrachter die Freiheit zu lassen, seine eigene Fiktion in das Bild zu transportieren. Somit entsteht eine persönliche Interdependenz, ein Geflecht also zwischen Betrachter und Werk.

Personale: Eva Riebler. Rez.: Ingrid Reichel