Ingrid Reichel
Bye-bye Muse - Der 100. Geburtstag einer Künstlerin
oder
Vom kläglichen Versuch die Kunstgeschichte zu feminisieren
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Meret Oppenheim:
Porträt mit Tätowierung, 1980
Privatsammlung, Bern
Foto: Heinz Günter Mebusch,
Düsseldorf © VBK, Wien, 2013 |
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Meret Oppenheim
Retrospektive
Bank Austria Kunstforum, Wien
Pressekonferenz: 20.03.2013
Ausstellungdauer: 21.03.13 - 14.07.13
Kuratorin: Heike Eipeldauer
Ausstellungsorganisation: Lisa Ortner-Kreil
Die Ausstellung ist eine Kooperation mit dem Martin-Gropius-Bau, Berlin
Katalog zur Ausstellung:
Meret Oppenheim: Retrospektive
Hg. Heike Eipeldauer, Ingried Brugger, Gereon Sievernich
Ostfildern: Hatja Cantz, 2013. 312 S.
In deutscher und englischer Version
ISBN 978-3-7757-3510-0 (dt. Fassung)
Museumshop: € 29.-
Preis: € 39,80.-
Hat sich die Kunsthalle Wien bereits 2011 bemüht den Surrealismus mit ihrer Ausstellung „Salvador Dalí & Glenn Brown, Louise Bourgeois, Markus Schinwald, Francesco Vezzoli. Le surréalisme, c’est moi!“ in Zusammenhang zur Moderne zu bringen, so scheint der Surrealismus nach dem Dadaismus der 20er Jahre ein Revival zu erleben: Die Albertina bringt bis Mai 2013 eine ausgezeichnete und würdige Retrospektive von Max Ernst und das Kunstforum Bank Austria widmet bis Juli 2013 der 1985 in Basel verstorbenen deutsch-schweizerischen Künstlerin und Lyrikerin Meret Oppenheim die bislang wohl umfangreichste Ausstellung in Österreich.
Zwei Jahre Vorbereitungszeit kostete es der Kuratorin Heike Eipeldauer diese umfassende Retrospektive bestehend aus 200 Leihgaben verschiedener europäischen Museen und Privatsammlungen zusammenzustellen. Die Ausstellung wird anschließend nach Berlin wandern und vom 16.08.-01.12.13 im Martin-Gropius-Bau gezeigt.
Zum 100. Geburtstag der 1913 im einstigen Charlottenburg, dem heutigen Berlin, geborenen Oppenheim will das Kunstforum Bank Austria das Image der als Muse der Surrealisten und Schöpferin der mittlerweile zum Kultstatus emporgehobenen „Pelztasse“ (1936) ins rechte Licht rücken. Die Schau soll ihre künstlerische Position mit ihrem vielseitigen Werk seine souveräne Eigenständigkeit demonstrieren. So sind verteilt über ihre ganze Schaffenszeit Tuschezeichnungen, Ready-mades, Schmuckstücke und Entwurfsskizzen, Modeentwürfe, Möbelstücke, Masken, Skulpturen, surrealistische Malereien und Fotografien der Künstlerin zu sehen wie auch Fotografien von ihr wie die von Man Ray aus der Serie
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Man Ray: Aus der Serie - Érotique voilée, 1933/1960
Courtesy Galerie Johannes Faber
© Man Ray Trust/VBK, Wien, 2013 (Ausschnitt) |
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Meret Oppenheim: Bon appétit, Marcel!
(Die weiße Königin), 1966/1978
Sammlung Foster Goldstrom
Foto: Chris Puttere © VBK, Wien, 2013 |
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Meret Oppenheim: Das Leiden der Genoveva, 1939
Kunstmuseum Bern, Legat der Künstlerin
Foto: Peter Lauri, Bern
© VBK, Wien, 2013 |
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Érotique voilée (1933), auf denen Oppenheim jung und nackt mit Druckerpresse abgelichtet ist und das ihr den Ruf der „Muse der Surrealisten“ einbrachte. Schließlich zeigt das Kunstforum noch jene Fotografien von Hans Hammerskiöld und Margit Baumann, die kurz vor ihrem tödlichen Herzinfarkt aufgenommen wurden.
Meret Oppenheim war die älteste Tochter des Hamburger Arztes Erich A. Oppenheim und der Schweizerin Eva Wenger. Ihre Großmutter war Lisa Wenger (1858-1941), eine Malerin und bekannte Kinderbuchautorin (Joggeli söll ga Birli schüttle), die u.a. eine Schule für Porzellanmalerei führte. Ihre Tante Ruth Wenger war kurz mit Hermann Hesse verheiratet. Eingebettet in dieses kulturelle Ambiente beschloss Oppenheim 1931 selbst Künstlerin zu werden. 1933, mit 20 Jahren, ging sie nach Paris, wo sie Alberto Giacometti und Hans Arp kennenlernte. Bald freundete sie sich mit der surrealistischen Gruppe um André Breton und Marcel Duchamp an. Schließlich wurde sie 1934, so wird es auch in dieser Schau dokumentiert, Max Ernsts Geliebte für ein Jahr! Lassen Sie mich schnell nachrechnen: Sie war 21 Jahre alt, er 43!
Und hier liegt auch schon der „kleine“ feministischer Knackpunkt begraben, wenn man von Oppenheim als einer der wichtigsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts spricht. Sie war seine Geliebte … und nicht umgekehrt. Eine sprachliche Nuance, die sich wie ein Perpetuum mobile als Grammatikfehler stetig wiederholt und sich in den Hirnen fortpflanzt. Niemand spricht davon, dass Picasso der Geliebte von Dora Maar (damals 29) oder Françoise Gilot (damals 22/ er 62!) war, oder wenn wir nun bei Max Ernst bleiben wollen, er der Geliebte von so vielen Frauen war. In ihrem Werk „Gefährliche Musen“ (Berlin: edition ebersbach, 2007) geht die Kunsthistorikerin Karoline Hille auf die vielen Künstlerinnen, Sammlerinnen, Kunstkritikerinnen und Managerinnen ein, die Max Ernst als Musen verzehrte. Oppenheim kommt darin nicht vor, war sie zu unbedeutend für ihn? Und inwiefern konnte sie von dem großen Max Ernst profitieren, der selbst auf so viele Frauen angewiesen war, um zu reüssieren? War sie zu jung und zu mittellos ihm zu dienen? Stets blieben die Frauen an der Seite der Männer nur ein Schatten, bestenfalls wurden und werden sie nach wie vor als Graue Eminenzen dokumentiert. Fakt ist, dass männliche Künstler Frauen mit Geld, Einfluss und/ oder betörender Schönheit bedurften, um Karriere zu machen.*
Oppenheim war wie (fast) alle ihrer Kolleginnen Autodidaktin. Auf das WARUM? wird auch in dieser Schau nicht eingegangen. Dass nämlich Frauen im Allgemeinen nicht auf Kunstakademien aufgenommen wurden und sich das Aktstudium als Prüfstein der Sittlichkeit erwies**. Die einzige wahre Möglichkeit, sich als Frau, etwas in die Kunstszene zu integrieren und auch etwas zu lernen, war die gute und allbewährte weibliche Sexualpolitik. Daniel Spoerri erzählte in einem Interview anlässlich dieser Ausstellungseröffnung (Ausschnitt ausgestrahlt am 18.03.13 Kulturmontag, ORF2) Oppenheims Großzügigkeit bezüglich Sexualität, welche sie als Geschenk sah. Doch vergleichen wir Max Ernsts (1891-1976) oder Salvador Dalís (1904-1989) Ölgemälde mit Oppenheims, kann sie rein technisch mit ihnen nicht mithalten. Vielmehr war es ihre langwierige geographische wie künstlerische Distanzierung zu dem surrealistischen Männerclub und nicht deren Förderung, die sie und andere Künstlerkolleginnen wie Claude Cahun, Leonor Fini und Jacqueline Lamda eine selbstständige Arbeit ermöglichte. Einleuchtend zitiert die Kunsthistorikerin Abigail Solomon-Godeau in ihrem Essay „Fetishism Unbound“ die Kunsthistorikerin Whitney Chadwick, die die Problematik der Künstlerinnen zu dem surrealistischen Kreis aufzeigte und den Wortführer des Surrealismus André Breton nicht nur als großen Förderer, sondern auch in seiner Vereinnahmung charakterisierte: „Für Künstlerinnen war das idealisierte Frauenbild des Surrealismus ein Klotz am Bein, der nur schwer zu ignorieren war.“[1]
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Meret Oppenheim: Pelztasse, 1933
Quelle: Internet |
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Als Beispiel hierfür dient unter anderem die legendäre „Pelztasse“. Ein gemeinsamer Caféhaus-Besuch mit Dora Maar und Pablo Picasso brachte Oppenheim auf die Idee des mit Pelz überzogenen Teetassensets. Dass die Beziehungen zwischen den Frauen weniger dokumentiert wurden als die Beziehung zwischen den Frauen und der surrealistischen Männerelite, bestärkt Chadwicks Theorie, dass Oppenheims Pelzarmband und ihre Freundschaft zu Dora Maar für die Kreation der Pelztasse ausschlaggebend war und nicht Picassos Bemerkung, alles ließe sich in Pelz kleiden. Die Pelztasse brachte Oppenheim einen schnellen Erfolg, immerhin wurde sie noch im selben Jahr für die Sammlung des New Yorker Museum of Modern Art angekauft. Erst 1938 gab André Breton dem Werk seinen „offiziellen“ Titel: Le déjeuner en fourrure. Ein Titel, den er auf Édouard Manets skandalumwittertes Ölgemälde „Le déjeuner sur l’herbe“ (Frühstück im Grünen, 1863) und Leopold von Sacher-Masochs Erotikroman „Venus im Pelz“ (1898) bezog. Interessant ist hierbei wieder, dass der Protagonist des Romans die Frau entweder als Sklavin oder als Beherrscherin des Mannes, niemals aber als gleichberechtigte Partnerin, sah.
Es ist also kein Wunder, dass die Biografien der Künstlerinnen der surrealistischen Ära von Selbstmorden, Nervenzusammenbrüchen und Depressionen geprägt sind [2]. Auch Oppenheim schlitterte ab 1936, trotz frühen und schnellen Erfolgs, in eine schwere Krise, begleitet von finanziellen sowie, bedingt durch das angehende 3. Reich, existenziellen Sorgen, die sie in ihrem Schaffensprozess behinderten.
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Meret Oppenheim:
Maske mit »Bäh«-Zunge, o.J.
Privatsammlung
Foto: Stefanie Beretta, Verscio © VBK, Wien, 2013 |
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Käthe Kollwitz‘ schrieb in ihrem Tagebuch 1922**: „Die meisten Frauen empfangen eigentlich ihr Leben durch die Männer, bilden es sich wenigstens ein, treten in die Ehe und sind nun fest.“ Auch Meret Oppenheim war von 1949 bis zu seinem Tod 1967 mit Wolfgang La Roche verheiratet. Erst 1954 schien sie ihre Krise überwunden zu haben und sie bezog ein eigenes Atelier. Dort entstanden Kostüme und Masken zu Daniel Spoerris Inszenierung von Picassos Theaterstück „Wie man Wünsche am Schwanz packt.“ 1958 begann ihr intensives Schaffen, wobei sie auf Skizzen und Entwürfe der Pariser Zeit zurückgriff. 1967 wurde eine erste Retrospektive im Moderna Museet in Stockholm ausgerichtet. Den ersten Kunstpreis erhielt sie von der Stadt Basel 1974. 1983 wurde ein Brunnen auf dem Waisenhausplatz in Bern eingeweiht. Der Leiter des Martin-Gropius-Bau Gereon Sievernich wollte bei seiner Eröffnungsrede in Wien nicht einmal die Stadt nennen, weil die Bevölkerung so lange Jahre gegen den Brunnen rebellierte, obwohl der Brunnen, laut seiner Aussage mittlerweile große Akzeptanz gefunden habe.
Wir kehren zum löblichen Ansinnen des Kunstforums zurück, Oppenheims Werk in den rechten Blickwinkel zu setzen. Wie ist das möglich?, fragt man sich als Besucher der Schau. Will man hier die Fakten verklären, den bis heute anhaltenden Antifeminismus in der Kunstszene beschönigen oder gar verniedlichen? Obwohl die Kuratorin der Ausstellung Heike Eipeldauer hervorragende Arbeit bezüglich der Werkauswahl geleistet hat, kann das eigentliche Ansinnen nicht erfüllt werden. Meret Oppenheim, wie viele andere ihrer Berufskolleginnen ist und bleibt die Muse in diesem so männlich intellektualisierten Surrealismus. Oppenheim begann sich nicht nur von dieser Richtung zu distanzieren, sondern verleugnete bislang sogar gewisse Aspekte wie die Sexualität in Man Rays bereits oben genannter Fotoserie oder die Wichtigkeit der Pelztasse.
Dieser innere wie auch äußere kompromisslose Kampf kommt schließlich in der Ausstellung nicht zu tragen. Vielmehr bekommt man den Eindruck, Oppenheim wäre eine surrealistische Künstlerin, die sie aber de facto nicht war. Besonders eigenwillig mutet deshalb die Hängung des 1970 entstandenen kleinen Mixed-Media-Objekts „Andenken an das Pelzfrühstück“ (17 x 20 x 5 cm) an, welches in über 2 Meter Höhe in einer Ecke angebracht wurde und wegen starker Verspiegelung für den Betrachter kaum in Augenschein genommen werden kann. Dabei könnte es sich im Ausstellungskonzept, um die Darstellung Oppenheims Loslösung von der originären Pelztasse handeln, ein Vermerk hierzu fehlt jedoch. Umso wahrscheinlicher ist es, dass der Besucher einfach die Kostbarkeit übersieht und wenn, dann nicht versteht.
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Meret Oppenheim: Das Paar, 1956
Privatsammlung © VBK, Wien, 2013 |
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Viel besser wird das Ansinnen der Schau im Katalog umgesetzt. Besonders Solomon-Godeaus Essay über den Fetischismus ermöglicht den Zugang zu Oppenheims Kunst, indem sie die Verflechtung von Sexualität und Kunst veranschaulicht. Was viele Künstlerinnen verschiedener Richtungen des 20. Jahrhunderts verbindet, ist ihre Beschäftigung mit den Verlockungen des Fetischobjekts sowie die Einsicht, dass der in Bildern von Weiblichkeit allgegenwärtige Fetischismus den „Ängsten, Fantasien, und Begehren des männlichen Unbewussten„ entspringt, insofern also Frauen in ihrer Kunst männliche Fantasien verinnerlichen (Katalog: S. 46). Es ist wohl die von Oppenheim immer wieder angesprochene Androgynität, die an die Realisation des utopischen Wunschgedankens einer wechselseitigen partnerschaftliche Beziehung zwischen Mann und Frau glauben lässt.
Anlässlich der Überreichung des Kunstpreises der Stadt Basel 1974 bringt Oppenheim in ihrer Rede folgende Gesellschaftskritik an: „Bei den Künstlern ist man es gewöhnt, dass sie ein Leben führen, wie es ihnen passt - und die Bürger drücken ein Auge zu. Wenn aber eine Frau das Gleiche tut, dann sperren sie alle Augen auf. […] Die Freiheit wird einem nicht gegeben, man muss sie nehmen.“ (Katalog: S. 270)
Fazit: Die Schau erweist sich als wunderbare Werk-Retrospektive, scheitert jedoch am Versuch dem Publikum die Eigenständigkeit Meret Oppenheims näherzubringen. Zu sehr steht ihre Schönheit, ihre sogenannte Androgynität, ihre Sexualität und ihre Beziehungen zu den damals arrivierten Männern im Vordergrund. Zu wenig wird auf ihre Rebellion, Aggressivität und ihren skurrilen Humor eingegangen.
Vielleicht sollte man zukünftig die Dinge tatsächlich - ohne Pablo, Max, Marcel, André und wie sie alle heißen, näher treten zu wollen - von einer anderen Seite angehen, nämlich: Wie man unsere Wünsche NICHT am Schwanz packt! Die Kunstgeschichte kann nicht umgeschrieben und aus dem Kontext weg feminisiert werden, aber sie kann richtig gestellt werden, und dies ist leider nur im Katalog zur Ausstellung durch einige hervorragende Essays gelungen.
*Ein Gespräch mit Louise Bourgeois: Donald Kuspit. Bern: Piet Meyer Verlag, 2011. S. 98
**Malerinnen im 20. Jahrhundert. Bildkunst der „verschollenen Generation“. Geburtsjahrgänge 1890-1910. München: Hirmer Verlag, 2000. - Die Ausbildung der Malerinnen: S. 27-32; - Kollwitz Zitat: S. 24
[1], [2] Abigail Solomon-Godeau: „Fetishism Unbound“ (Katalog zur Ausstellung S. 45 ff), S. 49
Weitere Infos aus:
Women Artists. Künstlerinnen im 20. und 21. Jahrhundert: Hg. Uta Grosenick. Köln: Taschen Verlag, 2001. - S. 408 ff
Geschichte des Surrealismus: Maurice Nadeau. Reinbek: Rowohlts Enzyklopädie, 6. Auflg. 2002
LitGes, März 2013